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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Freiherr vom Stein und Herr Eugen Richter.

fortschrittlichen Bestrebungen. Das ist der Unterschied zwischen damals und heute.
Die Grundsätze von Stein und Hardenberg haben dieses kleine und arme Preußen
in den Stand gesetzt, Deutschland von den französischen Eroberern zu befreien.
Diese Grundsätze, so sehr auch vorübergehende Neactionsbestrebuugen sie zu
schmälern suchte", haben u. s. w. Als dann aus diese" Grundsätzen der deutsche
Zollverein erwachsen war und schließlich die deutsche Einheit entstand, da haben
solche Grundsätze in der Reichsgesetzgebung Eingang gefunden, um es dein Volke
zu erleichtern, die Mittel für Bestreitung der Reichsleistungen aufzubringen.
Der kaiserlichen Botschaft steht eine Reaction an der Stirn geschrieben, die uns
zurückführen will nicht bloß hinter 1866, nicht bloß hinter 1848, sondern hinter
1819. Die Botschaft verspricht sich von der Erfüllung ihrer Projecte eine
Festigung des Reiches durch gemeinsame und ergiebige Finanzen. Eine solche
falsche Wirthschaftspolitik kaun aber nur zur Gefährdung und Schwächung des
Reiches führen." (Frankfurter Zeitung.)

Das heißt denn doch die Fische in den Wald setzen und die Vögel schwim¬
men lehren! Soviel ist aus dem vorstehend gesagten doch wohl klar, daß
Herr Richter und seine Freunde die Grundsätze Steins gar nicht kennen; denn
sonst mußten sie vom Standpunkte der objectiven geschichtlichen Wahrheit aus
zu dem Geständnis; kommen, daß nicht die Fortschrittspartei, sondern der Reichs¬
kanzler der moderne Vertreter der Grundsätze Steins ist.

Wie Herr Richter es mit seiner Pflicht zu vereinbaren gedenkt, geschicht¬
liche Unrichtigkeiten von der Tribüne des Reichstages in die gesetzgeberische
Versammlung einer großen Nation, die sich auf ihr Wissen und ihre Wahrheit
vor ander" etwas zu gute thut, hinauszurufen, das mag er mit sich selber
ausmachen. Mag bloße rednerische Phrase oder wirkliche Unwissenheit vor¬
gelegen haben, in beiden Fällen ist eine solche Behandlung der tiefsten und
wichtigsten Fragen über die Zukunft des deutschen Reichs, noch dazu vorgetragen
mit der apodiktischen Gewißheit eines Generalpächters aller Weisheit, der Sache
wenig angemessen, und der urtheilsfähige, selbstbewußte Staatsbürger, dem die
Würde seiner Nation und seiner Volksvertretung etwas gilt, kann sich einer ge¬
wissen Beschämung solchen Vorkommnissen gegenüber nicht erwehren. Gerade
die Fortschrittspartei betont fortwährend die Würde und Macht der Volks¬
vertretung. Wenn es nach ihr ginge, müßte das Parlament dem Monarchen
indirect Vorschriften machen können, aus welchen Parteien er seine Räthe zu
berufen habe. Wer aber bei jedem Anlaß von der Würde u"d Svilveräuetät
der Volksvertretung spricht, der sollte mich selbst das Seinige dazu beitragen,
sie aufrecht zu erhalten. Es ist hohe Zeit, daß die parlamentarischen Redner
sachlicher werden. Wenn man auch im Reichstage und zum Theil im Lande
weiß, was von manchen Ausführungen dieser Herren zu halten ist, so haben
doch gerade die letzten Wahlen gezeigt, daß die liberalen Phrasen und ein ur¬
sächliches, marktschreierisches Wesen noch immer beim Volke für den Ausdruck


Freiherr vom Stein und Herr Eugen Richter.

fortschrittlichen Bestrebungen. Das ist der Unterschied zwischen damals und heute.
Die Grundsätze von Stein und Hardenberg haben dieses kleine und arme Preußen
in den Stand gesetzt, Deutschland von den französischen Eroberern zu befreien.
Diese Grundsätze, so sehr auch vorübergehende Neactionsbestrebuugen sie zu
schmälern suchte», haben u. s. w. Als dann aus diese» Grundsätzen der deutsche
Zollverein erwachsen war und schließlich die deutsche Einheit entstand, da haben
solche Grundsätze in der Reichsgesetzgebung Eingang gefunden, um es dein Volke
zu erleichtern, die Mittel für Bestreitung der Reichsleistungen aufzubringen.
Der kaiserlichen Botschaft steht eine Reaction an der Stirn geschrieben, die uns
zurückführen will nicht bloß hinter 1866, nicht bloß hinter 1848, sondern hinter
1819. Die Botschaft verspricht sich von der Erfüllung ihrer Projecte eine
Festigung des Reiches durch gemeinsame und ergiebige Finanzen. Eine solche
falsche Wirthschaftspolitik kaun aber nur zur Gefährdung und Schwächung des
Reiches führen." (Frankfurter Zeitung.)

Das heißt denn doch die Fische in den Wald setzen und die Vögel schwim¬
men lehren! Soviel ist aus dem vorstehend gesagten doch wohl klar, daß
Herr Richter und seine Freunde die Grundsätze Steins gar nicht kennen; denn
sonst mußten sie vom Standpunkte der objectiven geschichtlichen Wahrheit aus
zu dem Geständnis; kommen, daß nicht die Fortschrittspartei, sondern der Reichs¬
kanzler der moderne Vertreter der Grundsätze Steins ist.

Wie Herr Richter es mit seiner Pflicht zu vereinbaren gedenkt, geschicht¬
liche Unrichtigkeiten von der Tribüne des Reichstages in die gesetzgeberische
Versammlung einer großen Nation, die sich auf ihr Wissen und ihre Wahrheit
vor ander» etwas zu gute thut, hinauszurufen, das mag er mit sich selber
ausmachen. Mag bloße rednerische Phrase oder wirkliche Unwissenheit vor¬
gelegen haben, in beiden Fällen ist eine solche Behandlung der tiefsten und
wichtigsten Fragen über die Zukunft des deutschen Reichs, noch dazu vorgetragen
mit der apodiktischen Gewißheit eines Generalpächters aller Weisheit, der Sache
wenig angemessen, und der urtheilsfähige, selbstbewußte Staatsbürger, dem die
Würde seiner Nation und seiner Volksvertretung etwas gilt, kann sich einer ge¬
wissen Beschämung solchen Vorkommnissen gegenüber nicht erwehren. Gerade
die Fortschrittspartei betont fortwährend die Würde und Macht der Volks¬
vertretung. Wenn es nach ihr ginge, müßte das Parlament dem Monarchen
indirect Vorschriften machen können, aus welchen Parteien er seine Räthe zu
berufen habe. Wer aber bei jedem Anlaß von der Würde u»d Svilveräuetät
der Volksvertretung spricht, der sollte mich selbst das Seinige dazu beitragen,
sie aufrecht zu erhalten. Es ist hohe Zeit, daß die parlamentarischen Redner
sachlicher werden. Wenn man auch im Reichstage und zum Theil im Lande
weiß, was von manchen Ausführungen dieser Herren zu halten ist, so haben
doch gerade die letzten Wahlen gezeigt, daß die liberalen Phrasen und ein ur¬
sächliches, marktschreierisches Wesen noch immer beim Volke für den Ausdruck


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/496>, abgerufen am 15.01.2025.