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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zwei Illolim'o-Biogrciphicu,

heutiger Verhältnisse und Zustünde, des Gründerthnms, der Regieverhältnissc
des Posener Theaters, der Recensionen Frenzels und Blumenthals und vieles
andern in die Darstellung vergangener Zeiten,

Von all solchen Untugenden hält sich die Darstellung Lotheißens frei.
Allerdings könnte auch bei ihm die Gesammteomposition künstlerischer sein. Die
Abschnitte, die er nach dem Schlüsse vo" Mvlivres Leben nachbringt, hätten
sich zu einem großen Theile in die Biographie selbst mit verarbeiten lassen,
wodurch das Ganze abgerundeter geworden wäre. Doch erfreuen wir uns auch
so der wohlgelungenen Arbeit, in der wir wenigstens die Forderung einer wissen¬
schaftlichen Lebensbeschreibung Moliöres in deutscher Sprache endlich erfüllt und
so den besten Beweis, daß eine solche möglich sei, gegen Mahrenholtz erbracht
sehen. Mahrenholtz selbst spricht sich über diesen Punkt nicht aus, obwohl er
in dem Vorworte den Mangel einer Moliöre-Biographie hervorgehoben hat, citirt
er doch merkwürdigerweise Lotheißen in seinein Buch mehrmals, so daß man an¬
nehmen muß, daß er in überängstlicher Auffassung des Ausdruckes seine Arbeit
mit dem Vorworte begonnen habe. Und wirklich: dasselbe ist datirt vom
24. Oetober 1880, während am Schlüsse des Ganzen zu lesen ist: Manuscript
abgeschlossen Mai 1881. Wir müssen also darauf verzichten, über diesen inte¬
ressanten Punkt etwas zu erfahren. Soviel aber kaun man sagen, daß auch nach
Mahrenholtz' "rein wissenschaftlichen" Studien Lotheißcn in wesentlichen Dingen
kaum jemals irre gegangen ist.

Gleich in dem ersten Datum, wonnt die Lebensbeschreibung jedes Menschen
naturgemäß anhebt, ist Lotheißcn eher genauer als Mahrenholtz. Während
dieser Molwre einfach am 15. Januar 1622 geboren werden läßt, hebt jeuer
ausdrücklich hervor, daß dies nur der uns überlieferte Tanftag sei. Man weiß
nun freilich, daß es katholischer Brauch war, zumal in früherer Zeit, möglichst
bald ucich der Geburt zu taufen, und so können wir uns auch bei Mahrenholtz'
wenn auch nicht "quellenmäßiger" Angabe beruhigen.

Jean Baptiste Molivre -- oder, wie er damals noch hieß, Poquelin, denn
Mvlivre ist nur später angenommener Künstlername -- war ein Pariser Kind
und stammte ans einer begüterten Bürgerfamilie. Ueber die Charaktereigen¬
schaften von Molares Eltern steht gar nichts fest. Trotzdem hat der große
Gencalogist am Main, der Goethe ans seinen Vorfahren nachträglich construirt
_ hAtte er vor 1749 gelebt, so würde er ihn prophezeit haben -- in
Mahrenholtz, der doch alle Mhthenbildung verabscheut, einen würdigen Nach¬
folger erhalten. Seine Ausführungen sind zu ergötzlich, als daß wir sie unsern
Lesern vorenthalten könnten. Da Moliöres Großmutter, sagt er, väterlicher¬
seits Verwandte hatte, die sich von Violinspiel erhielten, und da Musiker und
Komödianten Hand in Hand zu Wandel" pflegen, so ist durch diese Verwandt¬
schaft vielleicht°der Keim des spätern Schauspieler- und Dichterthums in Mv-
Mres Seele gesenkt worden! Freilich läßt sich auch Lotheißen hier, wo ihn


Zwei Illolim'o-Biogrciphicu,

heutiger Verhältnisse und Zustünde, des Gründerthnms, der Regieverhältnissc
des Posener Theaters, der Recensionen Frenzels und Blumenthals und vieles
andern in die Darstellung vergangener Zeiten,

Von all solchen Untugenden hält sich die Darstellung Lotheißens frei.
Allerdings könnte auch bei ihm die Gesammteomposition künstlerischer sein. Die
Abschnitte, die er nach dem Schlüsse vo» Mvlivres Leben nachbringt, hätten
sich zu einem großen Theile in die Biographie selbst mit verarbeiten lassen,
wodurch das Ganze abgerundeter geworden wäre. Doch erfreuen wir uns auch
so der wohlgelungenen Arbeit, in der wir wenigstens die Forderung einer wissen¬
schaftlichen Lebensbeschreibung Moliöres in deutscher Sprache endlich erfüllt und
so den besten Beweis, daß eine solche möglich sei, gegen Mahrenholtz erbracht
sehen. Mahrenholtz selbst spricht sich über diesen Punkt nicht aus, obwohl er
in dem Vorworte den Mangel einer Moliöre-Biographie hervorgehoben hat, citirt
er doch merkwürdigerweise Lotheißen in seinein Buch mehrmals, so daß man an¬
nehmen muß, daß er in überängstlicher Auffassung des Ausdruckes seine Arbeit
mit dem Vorworte begonnen habe. Und wirklich: dasselbe ist datirt vom
24. Oetober 1880, während am Schlüsse des Ganzen zu lesen ist: Manuscript
abgeschlossen Mai 1881. Wir müssen also darauf verzichten, über diesen inte¬
ressanten Punkt etwas zu erfahren. Soviel aber kaun man sagen, daß auch nach
Mahrenholtz' „rein wissenschaftlichen" Studien Lotheißcn in wesentlichen Dingen
kaum jemals irre gegangen ist.

Gleich in dem ersten Datum, wonnt die Lebensbeschreibung jedes Menschen
naturgemäß anhebt, ist Lotheißcn eher genauer als Mahrenholtz. Während
dieser Molwre einfach am 15. Januar 1622 geboren werden läßt, hebt jeuer
ausdrücklich hervor, daß dies nur der uns überlieferte Tanftag sei. Man weiß
nun freilich, daß es katholischer Brauch war, zumal in früherer Zeit, möglichst
bald ucich der Geburt zu taufen, und so können wir uns auch bei Mahrenholtz'
wenn auch nicht „quellenmäßiger" Angabe beruhigen.

Jean Baptiste Molivre — oder, wie er damals noch hieß, Poquelin, denn
Mvlivre ist nur später angenommener Künstlername — war ein Pariser Kind
und stammte ans einer begüterten Bürgerfamilie. Ueber die Charaktereigen¬
schaften von Molares Eltern steht gar nichts fest. Trotzdem hat der große
Gencalogist am Main, der Goethe ans seinen Vorfahren nachträglich construirt
_ hAtte er vor 1749 gelebt, so würde er ihn prophezeit haben — in
Mahrenholtz, der doch alle Mhthenbildung verabscheut, einen würdigen Nach¬
folger erhalten. Seine Ausführungen sind zu ergötzlich, als daß wir sie unsern
Lesern vorenthalten könnten. Da Moliöres Großmutter, sagt er, väterlicher¬
seits Verwandte hatte, die sich von Violinspiel erhielten, und da Musiker und
Komödianten Hand in Hand zu Wandel» pflegen, so ist durch diese Verwandt¬
schaft vielleicht°der Keim des spätern Schauspieler- und Dichterthums in Mv-
Mres Seele gesenkt worden! Freilich läßt sich auch Lotheißen hier, wo ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/469>, abgerufen am 20.10.2024.