Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Die akademische Uunstausstellung in Berlin. erläutert. Auch in diesem Jahre ist seine "Verhaftung" wieder weitaus das beste Die akademische Uunstausstellung in Berlin. erläutert. Auch in diesem Jahre ist seine „Verhaftung" wieder weitaus das beste <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150768"/> <fw type="header" place="top"> Die akademische Uunstausstellung in Berlin.</fw><lb/> <p xml:id="ID_112" prev="#ID_111" next="#ID_113"> erläutert. Auch in diesem Jahre ist seine „Verhaftung" wieder weitaus das beste<lb/> aller zur Ausstellung gelangten Genrebilder, wie wir mit einer Einschränkung<lb/> sagen wollen, die vielleicht manchem, der mit unsern obigen Ausführungen über¬<lb/> einstimmt, überflüssig erscheinen dürfte. Die Scene spielt auf dem Vorplatze<lb/> eines schlichten, einstöckigen Hauses. Es ist Herbsteszeit, rauh und stürmisch,<lb/> und der Wind wirbelt die gelben, dürren Blätter im Kreise umher. Frauen,<lb/> Mädchen und Kinder drängen sich im Halbkreis um das Haus; alle zeigen<lb/> Theilnahme, sogar Trauer in den Mienen. Vielleicht steht die Frau, die sich<lb/> mühsam am Thürpfosten aufrecht erhält und vor Scham nicht aufzublicken wagt,<lb/> in ungegründeten Verdacht, vielleicht übertönt auch im Herzen des Volks die<lb/> Stimme des Mitleids die der Gerechtigkeit. Auf der Treppe steht ein Gens¬<lb/> darm, welcher der Verhafteten winkt. Im Hintergrunde links sieht man einen<lb/> offenbar zum Hause gehörigen Mann, der weinend sein Antlitz in den Händen<lb/> verbirgt. Es bleibt der Phantasie des Beschauers überlassen, sich die Fäden<lb/> der Criminalnovelle selbst zu spinnen. Dem Maler kam es nur darauf an, den<lb/> Eindruck zu schildern, welchen ein ungewöhnliches, tragisches Ereigniß auf den<lb/> Chorus der Unbetheiligten macht. Was er darstellt, ist nichts als die schlichte<lb/> Wahrheit, wie sie ihm vielleicht die zufällige Beobachtung eines wirklichen Vor¬<lb/> ganges geboten hat. Aber die fein abgewogene Komposition, die Mannich-<lb/> faltigkeit der Charakteristik, der ergreifende Ausdruck und die Stimmungsgewalt<lb/> heben das Gemälde weit über die Sphäre des niedern Realismus. Bokelmcmn<lb/> ist kein Maler, der den glitzernden Schaum von der Oberfläche des Lebens<lb/> schöpft, sondern der in die Tiefen der menschlichen Seele eindringt und seine<lb/> Figuren von innen herausgestaltet. Was das heißen will, zeigt am deutlichsten<lb/> ein Vergleich mit einem Gemälde von Franz Skarbina, einem Berliner Genre¬<lb/> maler, der den Mangel an Charakterisirungskunst durch eine möglichst starke<lb/> Chargirung zu ersetzen sucht. Er holt seine Figuren gewöhnlich aus einer Ge¬<lb/> sellschaft heraus, die in Tracht und Gebahren an und für sich schon die Ueber¬<lb/> treibung liebt, so daß es auf ein bischen Caricatur mehr oder weniger nicht<lb/> ankommt. Sein Bild „Mittags 12 Uhr in Ostende" schildert das lebendige<lb/> Treiben am Badestrande mit der Gewissenhaftigkeit des Photographen und des<lb/> fortgeschrittensten Damenschneiders zugleich. Damen, die sich in so extravaganten<lb/> Toiletten, in so schreienden Farben gefallen, sind über alle Skrupel hinaus,<lb/> die einem etwas zarter besaiteten Frauengemüth angesichts dieser völligen Uu-<lb/> genirtheit zwischen Damen und Herren ausstoßen würden. Die Situationen,<lb/> welche der Maler mit augenscheinlicher Behaglichkeit schildert, entziehen sich jeder<lb/> Beschreibung. Es ist ein modernes Bacchanal in Schwimmhosen und Bade-<lb/> hemden, wie es frivoler und widerwärtiger nicht gedacht werden kann- Der<lb/> Humor verzerrt sich zu faunischem Grinsen, und selbst das harmlose Lachen der<lb/> Kinder wird zur Grimasse. Läßt man freilich diese moralischen Bedenken fallen,<lb/> so muß man anerkennen, daß der Maler seine brünette Gesellschaft mit großer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
Die akademische Uunstausstellung in Berlin.
erläutert. Auch in diesem Jahre ist seine „Verhaftung" wieder weitaus das beste
aller zur Ausstellung gelangten Genrebilder, wie wir mit einer Einschränkung
sagen wollen, die vielleicht manchem, der mit unsern obigen Ausführungen über¬
einstimmt, überflüssig erscheinen dürfte. Die Scene spielt auf dem Vorplatze
eines schlichten, einstöckigen Hauses. Es ist Herbsteszeit, rauh und stürmisch,
und der Wind wirbelt die gelben, dürren Blätter im Kreise umher. Frauen,
Mädchen und Kinder drängen sich im Halbkreis um das Haus; alle zeigen
Theilnahme, sogar Trauer in den Mienen. Vielleicht steht die Frau, die sich
mühsam am Thürpfosten aufrecht erhält und vor Scham nicht aufzublicken wagt,
in ungegründeten Verdacht, vielleicht übertönt auch im Herzen des Volks die
Stimme des Mitleids die der Gerechtigkeit. Auf der Treppe steht ein Gens¬
darm, welcher der Verhafteten winkt. Im Hintergrunde links sieht man einen
offenbar zum Hause gehörigen Mann, der weinend sein Antlitz in den Händen
verbirgt. Es bleibt der Phantasie des Beschauers überlassen, sich die Fäden
der Criminalnovelle selbst zu spinnen. Dem Maler kam es nur darauf an, den
Eindruck zu schildern, welchen ein ungewöhnliches, tragisches Ereigniß auf den
Chorus der Unbetheiligten macht. Was er darstellt, ist nichts als die schlichte
Wahrheit, wie sie ihm vielleicht die zufällige Beobachtung eines wirklichen Vor¬
ganges geboten hat. Aber die fein abgewogene Komposition, die Mannich-
faltigkeit der Charakteristik, der ergreifende Ausdruck und die Stimmungsgewalt
heben das Gemälde weit über die Sphäre des niedern Realismus. Bokelmcmn
ist kein Maler, der den glitzernden Schaum von der Oberfläche des Lebens
schöpft, sondern der in die Tiefen der menschlichen Seele eindringt und seine
Figuren von innen herausgestaltet. Was das heißen will, zeigt am deutlichsten
ein Vergleich mit einem Gemälde von Franz Skarbina, einem Berliner Genre¬
maler, der den Mangel an Charakterisirungskunst durch eine möglichst starke
Chargirung zu ersetzen sucht. Er holt seine Figuren gewöhnlich aus einer Ge¬
sellschaft heraus, die in Tracht und Gebahren an und für sich schon die Ueber¬
treibung liebt, so daß es auf ein bischen Caricatur mehr oder weniger nicht
ankommt. Sein Bild „Mittags 12 Uhr in Ostende" schildert das lebendige
Treiben am Badestrande mit der Gewissenhaftigkeit des Photographen und des
fortgeschrittensten Damenschneiders zugleich. Damen, die sich in so extravaganten
Toiletten, in so schreienden Farben gefallen, sind über alle Skrupel hinaus,
die einem etwas zarter besaiteten Frauengemüth angesichts dieser völligen Uu-
genirtheit zwischen Damen und Herren ausstoßen würden. Die Situationen,
welche der Maler mit augenscheinlicher Behaglichkeit schildert, entziehen sich jeder
Beschreibung. Es ist ein modernes Bacchanal in Schwimmhosen und Bade-
hemden, wie es frivoler und widerwärtiger nicht gedacht werden kann- Der
Humor verzerrt sich zu faunischem Grinsen, und selbst das harmlose Lachen der
Kinder wird zur Grimasse. Läßt man freilich diese moralischen Bedenken fallen,
so muß man anerkennen, daß der Maler seine brünette Gesellschaft mit großer
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