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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Ein halbasiatischer Roma".

Vorwurf, denn das Motiv ist eines der im Menschendasein ewig wiederkehrenden,
es ist groß genug, um für die verschiedensten Gestaltungen Raum zu lassen, und
es wird überall nur auf deu Dichter ankommen, der es ergreift, ihm neue Seiten
und Wirkungen abzugewinnen.

Vergegenwärtigen wir uns zuerst deu Verlauf des Romans "Ein Kampf
ums Rechte" Der Held desselben ist ein galizischer Bauer Taras Barabola,
aus der podvlischen Ebene stammend, den sein Schicksal nach dein Dorfe Znlawce
im Kreise Kolomea an der Grenze Galiziens, der Bukowina und Ungarns ver¬
schlagen hat. Es ist nach freudloser Jugend des Helden anscheinend ein freund¬
liches Schicksal gewesen, das ihm hier Hans und Hof verliehen. Taras Bara¬
bola ist der uneheliche Sohn einer armen Magd und eines Soldaten, der seine
Geliebte sammt ihrem Kinde verlassen hat. Er ist unter kläglichen Verhältnissen
aufgewachsen; er "hatte viele Püffe und Scheltworte zu ertrage", weil sein Vater
ein leichtfertiger Bursche gewesen. Den armen verschüchterten Wurm zu schimpfen
und zu schlagen erschien den Leuten von Nidowa als das passendste Mittel, die
eigne Tugend zu beweisen und die Sünde in ihrer Mitte zu bekämpfen." Seine
Mutter aber hat ihn trotz alledem im Glauben erzogen, daß er gut und gerecht
sein müsse und niemand böses zufügen dürfe, und der Knabe wie der junge
Bursche hat die Kraft eines unverdorbenen Herzens und eines eisernen Willens
daran gesetzt, sich in seinen dörflichen Umgebungen Achtung und Liebe zu ver-
dienen. Dies ist ihm in Nidowa wie in Zulawce gelungen: in letzterm Ort
hat er auch die Liebe der Auusia, der Tochter des reichen Iwan Woronka, ge¬
wonnen. Und obschon er gegen den Willen der nächsten Verwandten das Mädchen
erhält und den zweitgrößten Hof des Dorfes erheiratet, feindet ihn beinahe niemand
um seines Glückes willen an, man vergiebt ihn: seine sanfte unterwürfige Art,
die aus der Ebene stammt, man erkennt, daß er soviel Herz und Muth und
größere Klugheit und Gerechtigkeit besitzt als die trotzigen Leute von Zulawce,
die von Huzulenblute sind, zwar Ackerbau treiben, zur Kirche gehen, den Zehnten
liefern und die Frohnde leisten, "aber doch Huzulen bleiben, Vettern der Büren-
jäger im "Welyki Lys," dem ungeheuren tiefgrauen düstern Bergwald, der Ga-
lizien von Ungarn scheidet." Schon zu der Zeit, wo die Geschichte beginnt und
der Herr des Dorfes, Graf Georg Borecki in Paris, einen neuen Mandatar
in der Person seines Privatsecretär Wenzel Hcijck, "wie schon der Name ver¬
räth, ein Enkel des Huß und Ziska," nach Zulawee sendet, ist Taras Barabola
"der einflußreichste Mann, ja geradezu der Reformator der Gemeinde geworden,
nicht allein durch feine werkthcitigc Menschenliebe, sondern auch durch die milde
Klugheit seines Wesens." In Gestalt des Herrn Wenzel, der nach podolischer
Sitte als "Herr Wohlthäter" angeredet wird, tritt das böse Princip in den
Roman. Der neue Mandatar beginnt -- es ist im Jahre 1835 -- die Bauern
von Zulawce mit neuen unerträglichen Forderungen zu bedrängen. Weil er aber
klüglich mit solchen anfängt, bei denen er einen Schein des Rechts für sich hat,


Ein halbasiatischer Roma».

Vorwurf, denn das Motiv ist eines der im Menschendasein ewig wiederkehrenden,
es ist groß genug, um für die verschiedensten Gestaltungen Raum zu lassen, und
es wird überall nur auf deu Dichter ankommen, der es ergreift, ihm neue Seiten
und Wirkungen abzugewinnen.

Vergegenwärtigen wir uns zuerst deu Verlauf des Romans „Ein Kampf
ums Rechte" Der Held desselben ist ein galizischer Bauer Taras Barabola,
aus der podvlischen Ebene stammend, den sein Schicksal nach dein Dorfe Znlawce
im Kreise Kolomea an der Grenze Galiziens, der Bukowina und Ungarns ver¬
schlagen hat. Es ist nach freudloser Jugend des Helden anscheinend ein freund¬
liches Schicksal gewesen, das ihm hier Hans und Hof verliehen. Taras Bara¬
bola ist der uneheliche Sohn einer armen Magd und eines Soldaten, der seine
Geliebte sammt ihrem Kinde verlassen hat. Er ist unter kläglichen Verhältnissen
aufgewachsen; er „hatte viele Püffe und Scheltworte zu ertrage», weil sein Vater
ein leichtfertiger Bursche gewesen. Den armen verschüchterten Wurm zu schimpfen
und zu schlagen erschien den Leuten von Nidowa als das passendste Mittel, die
eigne Tugend zu beweisen und die Sünde in ihrer Mitte zu bekämpfen." Seine
Mutter aber hat ihn trotz alledem im Glauben erzogen, daß er gut und gerecht
sein müsse und niemand böses zufügen dürfe, und der Knabe wie der junge
Bursche hat die Kraft eines unverdorbenen Herzens und eines eisernen Willens
daran gesetzt, sich in seinen dörflichen Umgebungen Achtung und Liebe zu ver-
dienen. Dies ist ihm in Nidowa wie in Zulawce gelungen: in letzterm Ort
hat er auch die Liebe der Auusia, der Tochter des reichen Iwan Woronka, ge¬
wonnen. Und obschon er gegen den Willen der nächsten Verwandten das Mädchen
erhält und den zweitgrößten Hof des Dorfes erheiratet, feindet ihn beinahe niemand
um seines Glückes willen an, man vergiebt ihn: seine sanfte unterwürfige Art,
die aus der Ebene stammt, man erkennt, daß er soviel Herz und Muth und
größere Klugheit und Gerechtigkeit besitzt als die trotzigen Leute von Zulawce,
die von Huzulenblute sind, zwar Ackerbau treiben, zur Kirche gehen, den Zehnten
liefern und die Frohnde leisten, „aber doch Huzulen bleiben, Vettern der Büren-
jäger im »Welyki Lys,« dem ungeheuren tiefgrauen düstern Bergwald, der Ga-
lizien von Ungarn scheidet." Schon zu der Zeit, wo die Geschichte beginnt und
der Herr des Dorfes, Graf Georg Borecki in Paris, einen neuen Mandatar
in der Person seines Privatsecretär Wenzel Hcijck, „wie schon der Name ver¬
räth, ein Enkel des Huß und Ziska," nach Zulawee sendet, ist Taras Barabola
„der einflußreichste Mann, ja geradezu der Reformator der Gemeinde geworden,
nicht allein durch feine werkthcitigc Menschenliebe, sondern auch durch die milde
Klugheit seines Wesens." In Gestalt des Herrn Wenzel, der nach podolischer
Sitte als „Herr Wohlthäter" angeredet wird, tritt das böse Princip in den
Roman. Der neue Mandatar beginnt — es ist im Jahre 1835 — die Bauern
von Zulawce mit neuen unerträglichen Forderungen zu bedrängen. Weil er aber
klüglich mit solchen anfängt, bei denen er einen Schein des Rechts für sich hat,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/422>, abgerufen am 15.01.2025.