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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Franc" der italienischen Renciisscmco.

Gefahren der Hölle und, soweit es möglich, die Herrlichkeit und den Frieden
der Seligen und das unfaßbare Bild des Herrn. Sie läßt uns besser als irgend
ein andres Mittel die Bescheidenheit der Heiligen sehen, die Standhaftigkeit der
Märtyrer, die Reinheit der Jungfrauen, die Schönheit der Engel und die Liebes-
gluth, in der die Seraphim entbrennen. Sie trägt und erhebt unsern Geist
und unsre Seele über die Sterne und erschließt uns das Reich der Ewigkeit.
Sie stellt uns vor Angen die berühmten Menschen, die längst gestorben und
deren Gebeine sogar von der Oberfläche der Erde verschwunden sind; sie er¬
mahnt uns, dieselben nachzuahmen in ihrem hehren Wirken, indem sie uns ihre
Gedanken, ihre Freuden und Gefahren in den Kämpfen, wie ihre Frömmigkeit,
ihre Sitten und großen Thaten schauen läßt-- Die bekümmerte Witwe findet
Trost im täglichen Anblick des Bildes ihres Gatten; die jungen Waisen sind
froh, wenn sie erwachsen geworden, die Züge eines theuren Vaters kennen zu
lernen, dessen Bild ihnen Achtung und edle Gefühle einflößt."

Die fünf Jahre, die Michelangelo in persönlichem Verkehr mit Vittoria
Colorum verbrachte, dürfen als die glücklichsten seines Lebens gelten. Nachdem
sie Rom verlassen, das der Freundin eines Occhino durch die kirchliche Reaction,
der Tochter des ruhmreichen Hauses Colonna durch das Unheil verleidet ward,
welches uuter Paul III. über diese Familie hereinbrach, und sich nach Viterbo
zurückgezogen hatte, wo sie, von wenigen alten Freunden umgeben, sich reli¬
giöser Beschaulichkeit und frommen Uebungen widmete, blieb sie mit Michelangelo
in brieflicher Verbindung. Aus dieser Zeit stammen auch die Sonette, die der
letztere an sie richtete und die, unbefangen betrachtet, die Annahme vollständig
ausschließen, daß seine Gefühle für sie nur platonische gewesen seien. Alles
weist darauf hin, daß er sie mit der ganzen Gluth eines Mannes liebte, den
erst in vorgerücktem Alter die Macht der Liebe erfaßt hatte und der, jünger
als seine Jahre, dieser Macht nicht zu widerstehen vermochte. In einigen seiner
Gedichte verräth sich ein Feuer, das niemand für ein fingirtes halten wird, der
sich auf die Sprache echter Leidenschaft versteht, so z. B. in dem schönen Sonett,
in dem er ein Gleichniß aus seiner Kunst zu Hilfe nimmt, um auszudrücken,
was er der angebeteten Frau verdanke: wie der Bildner eine künstlerische Idee
zuerst in einem schlichten Modell festhält und dann in edlem Marmor ausführt,
indem er Fehlendes hinzufügt und Ueberflüssiges mit dem Meißel entfernt, so
hat Vittoria ihn, ein niedriges Modell, vervollkommnet; "welche Qual aber,"
so fragt er zum Schlüsse, "steht der ungestümen Gluth meines Innern bevor,
wenn deine Milde dieses bändigt und zügelt?"

Vittoria ihrerseits verbarg dem Künstler nicht, daß ihr Herz nach dem
Tode ihres geliebten Gatten nur noch für Freundschaft, nicht mehr für Liebe
Raum habe. Sie wehrt sogar einmal mit der ihr eignen Milde seinen allzu
häufigen schriftlichen Ergüssen, indem sie geltend macht, daß sie über dem Schreiben
ihre Andachtsübungen, er aber die kostbaren Stunden versäume, die seine künstle-


Die Franc» der italienischen Renciisscmco.

Gefahren der Hölle und, soweit es möglich, die Herrlichkeit und den Frieden
der Seligen und das unfaßbare Bild des Herrn. Sie läßt uns besser als irgend
ein andres Mittel die Bescheidenheit der Heiligen sehen, die Standhaftigkeit der
Märtyrer, die Reinheit der Jungfrauen, die Schönheit der Engel und die Liebes-
gluth, in der die Seraphim entbrennen. Sie trägt und erhebt unsern Geist
und unsre Seele über die Sterne und erschließt uns das Reich der Ewigkeit.
Sie stellt uns vor Angen die berühmten Menschen, die längst gestorben und
deren Gebeine sogar von der Oberfläche der Erde verschwunden sind; sie er¬
mahnt uns, dieselben nachzuahmen in ihrem hehren Wirken, indem sie uns ihre
Gedanken, ihre Freuden und Gefahren in den Kämpfen, wie ihre Frömmigkeit,
ihre Sitten und großen Thaten schauen läßt— Die bekümmerte Witwe findet
Trost im täglichen Anblick des Bildes ihres Gatten; die jungen Waisen sind
froh, wenn sie erwachsen geworden, die Züge eines theuren Vaters kennen zu
lernen, dessen Bild ihnen Achtung und edle Gefühle einflößt."

Die fünf Jahre, die Michelangelo in persönlichem Verkehr mit Vittoria
Colorum verbrachte, dürfen als die glücklichsten seines Lebens gelten. Nachdem
sie Rom verlassen, das der Freundin eines Occhino durch die kirchliche Reaction,
der Tochter des ruhmreichen Hauses Colonna durch das Unheil verleidet ward,
welches uuter Paul III. über diese Familie hereinbrach, und sich nach Viterbo
zurückgezogen hatte, wo sie, von wenigen alten Freunden umgeben, sich reli¬
giöser Beschaulichkeit und frommen Uebungen widmete, blieb sie mit Michelangelo
in brieflicher Verbindung. Aus dieser Zeit stammen auch die Sonette, die der
letztere an sie richtete und die, unbefangen betrachtet, die Annahme vollständig
ausschließen, daß seine Gefühle für sie nur platonische gewesen seien. Alles
weist darauf hin, daß er sie mit der ganzen Gluth eines Mannes liebte, den
erst in vorgerücktem Alter die Macht der Liebe erfaßt hatte und der, jünger
als seine Jahre, dieser Macht nicht zu widerstehen vermochte. In einigen seiner
Gedichte verräth sich ein Feuer, das niemand für ein fingirtes halten wird, der
sich auf die Sprache echter Leidenschaft versteht, so z. B. in dem schönen Sonett,
in dem er ein Gleichniß aus seiner Kunst zu Hilfe nimmt, um auszudrücken,
was er der angebeteten Frau verdanke: wie der Bildner eine künstlerische Idee
zuerst in einem schlichten Modell festhält und dann in edlem Marmor ausführt,
indem er Fehlendes hinzufügt und Ueberflüssiges mit dem Meißel entfernt, so
hat Vittoria ihn, ein niedriges Modell, vervollkommnet; „welche Qual aber,"
so fragt er zum Schlüsse, „steht der ungestümen Gluth meines Innern bevor,
wenn deine Milde dieses bändigt und zügelt?"

Vittoria ihrerseits verbarg dem Künstler nicht, daß ihr Herz nach dem
Tode ihres geliebten Gatten nur noch für Freundschaft, nicht mehr für Liebe
Raum habe. Sie wehrt sogar einmal mit der ihr eignen Milde seinen allzu
häufigen schriftlichen Ergüssen, indem sie geltend macht, daß sie über dem Schreiben
ihre Andachtsübungen, er aber die kostbaren Stunden versäume, die seine künstle-


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[0416] Die Franc» der italienischen Renciisscmco. Gefahren der Hölle und, soweit es möglich, die Herrlichkeit und den Frieden der Seligen und das unfaßbare Bild des Herrn. Sie läßt uns besser als irgend ein andres Mittel die Bescheidenheit der Heiligen sehen, die Standhaftigkeit der Märtyrer, die Reinheit der Jungfrauen, die Schönheit der Engel und die Liebes- gluth, in der die Seraphim entbrennen. Sie trägt und erhebt unsern Geist und unsre Seele über die Sterne und erschließt uns das Reich der Ewigkeit. Sie stellt uns vor Angen die berühmten Menschen, die längst gestorben und deren Gebeine sogar von der Oberfläche der Erde verschwunden sind; sie er¬ mahnt uns, dieselben nachzuahmen in ihrem hehren Wirken, indem sie uns ihre Gedanken, ihre Freuden und Gefahren in den Kämpfen, wie ihre Frömmigkeit, ihre Sitten und großen Thaten schauen läßt— Die bekümmerte Witwe findet Trost im täglichen Anblick des Bildes ihres Gatten; die jungen Waisen sind froh, wenn sie erwachsen geworden, die Züge eines theuren Vaters kennen zu lernen, dessen Bild ihnen Achtung und edle Gefühle einflößt." Die fünf Jahre, die Michelangelo in persönlichem Verkehr mit Vittoria Colorum verbrachte, dürfen als die glücklichsten seines Lebens gelten. Nachdem sie Rom verlassen, das der Freundin eines Occhino durch die kirchliche Reaction, der Tochter des ruhmreichen Hauses Colonna durch das Unheil verleidet ward, welches uuter Paul III. über diese Familie hereinbrach, und sich nach Viterbo zurückgezogen hatte, wo sie, von wenigen alten Freunden umgeben, sich reli¬ giöser Beschaulichkeit und frommen Uebungen widmete, blieb sie mit Michelangelo in brieflicher Verbindung. Aus dieser Zeit stammen auch die Sonette, die der letztere an sie richtete und die, unbefangen betrachtet, die Annahme vollständig ausschließen, daß seine Gefühle für sie nur platonische gewesen seien. Alles weist darauf hin, daß er sie mit der ganzen Gluth eines Mannes liebte, den erst in vorgerücktem Alter die Macht der Liebe erfaßt hatte und der, jünger als seine Jahre, dieser Macht nicht zu widerstehen vermochte. In einigen seiner Gedichte verräth sich ein Feuer, das niemand für ein fingirtes halten wird, der sich auf die Sprache echter Leidenschaft versteht, so z. B. in dem schönen Sonett, in dem er ein Gleichniß aus seiner Kunst zu Hilfe nimmt, um auszudrücken, was er der angebeteten Frau verdanke: wie der Bildner eine künstlerische Idee zuerst in einem schlichten Modell festhält und dann in edlem Marmor ausführt, indem er Fehlendes hinzufügt und Ueberflüssiges mit dem Meißel entfernt, so hat Vittoria ihn, ein niedriges Modell, vervollkommnet; „welche Qual aber," so fragt er zum Schlüsse, „steht der ungestümen Gluth meines Innern bevor, wenn deine Milde dieses bändigt und zügelt?" Vittoria ihrerseits verbarg dem Künstler nicht, daß ihr Herz nach dem Tode ihres geliebten Gatten nur noch für Freundschaft, nicht mehr für Liebe Raum habe. Sie wehrt sogar einmal mit der ihr eignen Milde seinen allzu häufigen schriftlichen Ergüssen, indem sie geltend macht, daß sie über dem Schreiben ihre Andachtsübungen, er aber die kostbaren Stunden versäume, die seine künstle-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/416>, abgerufen am 16.01.2025.