umgekehrte ist der Fall gewesen: die Nativnalliberalen träte" von jetzt an dem Reichskanzler theils kühl, theils feindlich entgegen, entzogen ihm ihre Unter¬ stützung im Landtage und griffen ihn in ihren Blättern, z. B. in der National- zeitnng, theilweise aufs heftigste an.
S. 31 wird das Delbrücksche Freihandclssystem ein "seit langer Zeit be¬ folgtes System" genannt. Hier fragt sichs, was "lange" bedeuten soll. Das hier mit Delbrücks Namen bezeichnete System existirte erst seit 1865, und dem Kanzler ginge" erst 1875 ernste Zweifel darüber auf. Bis dahin hatte er keine Zeit gesunde", über Nutzen oder Schaden dieser Einrichtung nachzudenken, da bis dahin schwere Coalitivnsgcfahren bestanden, ans deren Beobachtung und Ab¬ leitung er seine ganze Arbeitskraft verwenden mußte.
S. 32 ist es eine offenbar auf die Wahlen berechnete Unwahrheit, wenn der Kanzler gesagt haben soll, er wolle "die Nativnalliberalen an die Wand drücken"; und daß ma" "zugleich gehört haben soll, daß er die bisherige Zvll- n"d Handelspolitik total umzugestalten beabsichtige," ist unmöglich. An letzteres dachte er erst im November, der Ausdruck "an die Wand drücken" aber ist von ihm nicht nur in dieser Beziehung nicht gebraucht worden, sondern überhaupt niemals, er steht gar nicht in seinen: Wörterbuche. Jeder,"""" weiß, ob diese Redeweise i" seine Art sich zu äußern gehört, und wir hören von sicherster Seite, daß der Fürst sich dieser Phrase nie bedient hat.
Die Auflösung des Reichstages nach den: Nobilingschen Attentate endlich soll eine gegen die Liberalen gerichtete Maßregel gewesen sein. Sie war in Wirklichkeit das Gegentheil hiervon, sie war ein höfliches Entgegenkommen der Regierung gegen die Liberalen, der Kanzler wollte ihnen die Sinnesänderung in Betreff des Socialistengesetzes durch Auflösung und Neuwahlen erleichtern. So ist es aber mit diesen Herren mit ihrem stark ausgebildeten Selbstgefühl. Steht man vor ihnen nicht stets mit dem Hut in der Hand und bewundert sie, so ist man ihr Feind und arrogant. Der Reichskanzler kann das nun nicht leisten, er hat keine hohe Meinung von bloßen Kritikern und Rednern für Zeitungen, er hat überhaupt in seiner Denkart und seinem Charakter keinen Platz für Menschen- Verehrung. --
Wir schließen hieran noch eine kurze Erwähnung einiger Schriften zur Chci- rakterisirung des Reichskanzlers, die in der letzten Zeit erschienen sind.
Der durch verschiedne populäre Darstellungen von Ereignissen und Per¬ sönlichkeiten der Zeitgeschichte vortheilhaft bekannt gewordene Professor Wilhelm Müller in Tübingen hat seinen Biographien Kaiser Wilhelms und Feldmar¬ schall Moltkes jetzt (bei Krabbe in Stuttgart) auch ein Lebens- und Charakter¬ bild des dritten Sternes in dem Dreigestirn folgen lassen, uuter dessen Licht und Wärme Deutschland eins und groß geworden ist. Das Buch, welches sich "Reichskanzler Fürst Bismarck" nennt, kann selbstverständlich keinen An¬ spruch darauf erheben, wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen, da dem Ver-
Unruh über Bismarck,
umgekehrte ist der Fall gewesen: die Nativnalliberalen träte» von jetzt an dem Reichskanzler theils kühl, theils feindlich entgegen, entzogen ihm ihre Unter¬ stützung im Landtage und griffen ihn in ihren Blättern, z. B. in der National- zeitnng, theilweise aufs heftigste an.
S. 31 wird das Delbrücksche Freihandclssystem ein „seit langer Zeit be¬ folgtes System" genannt. Hier fragt sichs, was „lange" bedeuten soll. Das hier mit Delbrücks Namen bezeichnete System existirte erst seit 1865, und dem Kanzler ginge» erst 1875 ernste Zweifel darüber auf. Bis dahin hatte er keine Zeit gesunde», über Nutzen oder Schaden dieser Einrichtung nachzudenken, da bis dahin schwere Coalitivnsgcfahren bestanden, ans deren Beobachtung und Ab¬ leitung er seine ganze Arbeitskraft verwenden mußte.
S. 32 ist es eine offenbar auf die Wahlen berechnete Unwahrheit, wenn der Kanzler gesagt haben soll, er wolle „die Nativnalliberalen an die Wand drücken"; und daß ma» „zugleich gehört haben soll, daß er die bisherige Zvll- n»d Handelspolitik total umzugestalten beabsichtige," ist unmöglich. An letzteres dachte er erst im November, der Ausdruck „an die Wand drücken" aber ist von ihm nicht nur in dieser Beziehung nicht gebraucht worden, sondern überhaupt niemals, er steht gar nicht in seinen: Wörterbuche. Jeder,»»»» weiß, ob diese Redeweise i» seine Art sich zu äußern gehört, und wir hören von sicherster Seite, daß der Fürst sich dieser Phrase nie bedient hat.
Die Auflösung des Reichstages nach den: Nobilingschen Attentate endlich soll eine gegen die Liberalen gerichtete Maßregel gewesen sein. Sie war in Wirklichkeit das Gegentheil hiervon, sie war ein höfliches Entgegenkommen der Regierung gegen die Liberalen, der Kanzler wollte ihnen die Sinnesänderung in Betreff des Socialistengesetzes durch Auflösung und Neuwahlen erleichtern. So ist es aber mit diesen Herren mit ihrem stark ausgebildeten Selbstgefühl. Steht man vor ihnen nicht stets mit dem Hut in der Hand und bewundert sie, so ist man ihr Feind und arrogant. Der Reichskanzler kann das nun nicht leisten, er hat keine hohe Meinung von bloßen Kritikern und Rednern für Zeitungen, er hat überhaupt in seiner Denkart und seinem Charakter keinen Platz für Menschen- Verehrung. —
Wir schließen hieran noch eine kurze Erwähnung einiger Schriften zur Chci- rakterisirung des Reichskanzlers, die in der letzten Zeit erschienen sind.
Der durch verschiedne populäre Darstellungen von Ereignissen und Per¬ sönlichkeiten der Zeitgeschichte vortheilhaft bekannt gewordene Professor Wilhelm Müller in Tübingen hat seinen Biographien Kaiser Wilhelms und Feldmar¬ schall Moltkes jetzt (bei Krabbe in Stuttgart) auch ein Lebens- und Charakter¬ bild des dritten Sternes in dem Dreigestirn folgen lassen, uuter dessen Licht und Wärme Deutschland eins und groß geworden ist. Das Buch, welches sich „Reichskanzler Fürst Bismarck" nennt, kann selbstverständlich keinen An¬ spruch darauf erheben, wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen, da dem Ver-
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Unruh über Bismarck,
umgekehrte ist der Fall gewesen: die Nativnalliberalen träte» von jetzt an dem
Reichskanzler theils kühl, theils feindlich entgegen, entzogen ihm ihre Unter¬
stützung im Landtage und griffen ihn in ihren Blättern, z. B. in der National-
zeitnng, theilweise aufs heftigste an.
S. 31 wird das Delbrücksche Freihandclssystem ein „seit langer Zeit be¬
folgtes System" genannt. Hier fragt sichs, was „lange" bedeuten soll. Das
hier mit Delbrücks Namen bezeichnete System existirte erst seit 1865, und dem
Kanzler ginge» erst 1875 ernste Zweifel darüber auf. Bis dahin hatte er keine
Zeit gesunde», über Nutzen oder Schaden dieser Einrichtung nachzudenken, da
bis dahin schwere Coalitivnsgcfahren bestanden, ans deren Beobachtung und Ab¬
leitung er seine ganze Arbeitskraft verwenden mußte.
S. 32 ist es eine offenbar auf die Wahlen berechnete Unwahrheit, wenn
der Kanzler gesagt haben soll, er wolle „die Nativnalliberalen an die Wand
drücken"; und daß ma» „zugleich gehört haben soll, daß er die bisherige Zvll-
n»d Handelspolitik total umzugestalten beabsichtige," ist unmöglich. An letzteres
dachte er erst im November, der Ausdruck „an die Wand drücken" aber ist von
ihm nicht nur in dieser Beziehung nicht gebraucht worden, sondern überhaupt
niemals, er steht gar nicht in seinen: Wörterbuche. Jeder,»»»» weiß, ob diese
Redeweise i» seine Art sich zu äußern gehört, und wir hören von sicherster Seite,
daß der Fürst sich dieser Phrase nie bedient hat.
Die Auflösung des Reichstages nach den: Nobilingschen Attentate endlich soll
eine gegen die Liberalen gerichtete Maßregel gewesen sein. Sie war in Wirklichkeit das
Gegentheil hiervon, sie war ein höfliches Entgegenkommen der Regierung gegen
die Liberalen, der Kanzler wollte ihnen die Sinnesänderung in Betreff des
Socialistengesetzes durch Auflösung und Neuwahlen erleichtern. So ist es aber
mit diesen Herren mit ihrem stark ausgebildeten Selbstgefühl. Steht man vor
ihnen nicht stets mit dem Hut in der Hand und bewundert sie, so ist man ihr
Feind und arrogant. Der Reichskanzler kann das nun nicht leisten, er hat
keine hohe Meinung von bloßen Kritikern und Rednern für Zeitungen, er hat
überhaupt in seiner Denkart und seinem Charakter keinen Platz für Menschen-
Verehrung. —
Wir schließen hieran noch eine kurze Erwähnung einiger Schriften zur Chci-
rakterisirung des Reichskanzlers, die in der letzten Zeit erschienen sind.
Der durch verschiedne populäre Darstellungen von Ereignissen und Per¬
sönlichkeiten der Zeitgeschichte vortheilhaft bekannt gewordene Professor Wilhelm
Müller in Tübingen hat seinen Biographien Kaiser Wilhelms und Feldmar¬
schall Moltkes jetzt (bei Krabbe in Stuttgart) auch ein Lebens- und Charakter¬
bild des dritten Sternes in dem Dreigestirn folgen lassen, uuter dessen Licht
und Wärme Deutschland eins und groß geworden ist. Das Buch, welches sich
„Reichskanzler Fürst Bismarck" nennt, kann selbstverständlich keinen An¬
spruch darauf erheben, wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen, da dem Ver-
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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/407>, abgerufen am 27.01.2025.
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