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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Unruh über Lismarck,

einfach als Reactionär oder gar als Werkzeug der Reaction ansahen. Gewiß
gehöre er nicht zu den Liberalen, aber in seinem Kopfe steckten ganz andre
Pläne als bei Manteuffel und Collegen." Die Herren zweifelten und wollten
abwarten, wie der Minister sich benehmen werde. 1863 waren sie und die
übrigen Liberalen zu der Ueberzeugung gelaugt (S. 18), daß er "seine Pläne
in der äußeren Politik aufgegeben habe und nur noch der Münster der Reaction
sei" -- in der äußeren Politik; denn -- so schloß man mit wunderseltsamer
Logik, oder so will der Verfasser der Memoiren uus glauben machen -- es
waren inzwischen im Innern politische Verfolgungen, Maßregelnngen von frei¬
sinnigen Beamten, Beschränkungen der Presse und Angriffe auf die Redefreiheit
der Abgeordneten vorgekommen.

Wir begreifen nicht, was das mit dem Glauben an die autiösterreichischen
Pläne des Ministers zu schaffen hatte, und wir erfahren obendrein gleich auf
der nächsten Seite, daß Unruh und seine Gesinnungsgenossen in dieser Zeit aus
guter Quelle die Versicherung erhielten, daß Bismarck bestimmt einen Kampf
mit Oesterreich beabsichtige. Der Memoirenschreiber erzählt:

"Der damalige Oberbürgermeister von Berlin, Seydel, machte mir eine
Mittheilung, von der er sagte, daß dieselbe aus dem Militärcabinet stamme,
dessen Chef der General von Manteuffel war. Darnach sollte dieser oder ein
ihm nahestehender Maun sich dahin ausgesprochen haben, Bismarck sei vortrefflich
geeignet, das Abgeordnetenhaus niederzutreten; sobald ihm dies gelungen und die
Militärreorganisation gesichert sei, müsse er beseitigt werden, weil er sonst jedenfalls
Krieg mit Oesterreich führen und die verstärkte Armee hauptsächlich hierzu be¬
nutzen werde. Der Zerfall mit Oesterreich und ein glücklicher Krieg gegen das¬
selbe würde die conservative Partei wieder vom Staatsruder entfernen. Um
dasselbe in der Hand zu behalten, müsse Preußen mit Oesterreich auf gutem
Fuße stehen und zu dem Ende sogar Concessionen machen, wenn es nöthig
sei. Diese Nachricht hatte sehr viel innere Wahrscheinlichkeit... General Man¬
teuffel war als das Haupt der hochconservativm sogenannten österreichischen
Partei am preußischen Hofe bekannt und in Wien sehr angesehen. Seine anti¬
österreichischen Pläne hatte Bismarck schon vor seinem Eintritt als Minister¬
präsident vielfach ausgesprochen, ja sogar dem Könige vorgetragen. Wenn Bismarck
einen Vergleich mit dem Abgeordnetenhause über die Militärreorganisativu zustande
brachte und Frieden mit der Volksvertretung schloß, so hatte er nach der Ansicht
der Manteuffelschen Partei seine Dienste geleistet und konnte gehen. Ganz anders
war seine Stellung, wenn er trotz des heftigsten Krieges mit dem Abgeordnetenhause
die Militärreorganisativn durchführte. So lange der Kampf mit der Volks¬
vertretung währte, blieb er unentbehrlich, je heftiger der Kampf war, desto mehr."

Wir bemerken dazu: Irrthümer über Irrthümer, Widerspruch auf Wider¬
spruch. Zunächst ist es völlig unbegründet, wenn behauptet wird, der General
von Manteuffel habe Bismarck beseitigt wissen wollen, und er sei das Haupt


Unruh über Lismarck,

einfach als Reactionär oder gar als Werkzeug der Reaction ansahen. Gewiß
gehöre er nicht zu den Liberalen, aber in seinem Kopfe steckten ganz andre
Pläne als bei Manteuffel und Collegen." Die Herren zweifelten und wollten
abwarten, wie der Minister sich benehmen werde. 1863 waren sie und die
übrigen Liberalen zu der Ueberzeugung gelaugt (S. 18), daß er „seine Pläne
in der äußeren Politik aufgegeben habe und nur noch der Münster der Reaction
sei" — in der äußeren Politik; denn — so schloß man mit wunderseltsamer
Logik, oder so will der Verfasser der Memoiren uus glauben machen — es
waren inzwischen im Innern politische Verfolgungen, Maßregelnngen von frei¬
sinnigen Beamten, Beschränkungen der Presse und Angriffe auf die Redefreiheit
der Abgeordneten vorgekommen.

Wir begreifen nicht, was das mit dem Glauben an die autiösterreichischen
Pläne des Ministers zu schaffen hatte, und wir erfahren obendrein gleich auf
der nächsten Seite, daß Unruh und seine Gesinnungsgenossen in dieser Zeit aus
guter Quelle die Versicherung erhielten, daß Bismarck bestimmt einen Kampf
mit Oesterreich beabsichtige. Der Memoirenschreiber erzählt:

„Der damalige Oberbürgermeister von Berlin, Seydel, machte mir eine
Mittheilung, von der er sagte, daß dieselbe aus dem Militärcabinet stamme,
dessen Chef der General von Manteuffel war. Darnach sollte dieser oder ein
ihm nahestehender Maun sich dahin ausgesprochen haben, Bismarck sei vortrefflich
geeignet, das Abgeordnetenhaus niederzutreten; sobald ihm dies gelungen und die
Militärreorganisation gesichert sei, müsse er beseitigt werden, weil er sonst jedenfalls
Krieg mit Oesterreich führen und die verstärkte Armee hauptsächlich hierzu be¬
nutzen werde. Der Zerfall mit Oesterreich und ein glücklicher Krieg gegen das¬
selbe würde die conservative Partei wieder vom Staatsruder entfernen. Um
dasselbe in der Hand zu behalten, müsse Preußen mit Oesterreich auf gutem
Fuße stehen und zu dem Ende sogar Concessionen machen, wenn es nöthig
sei. Diese Nachricht hatte sehr viel innere Wahrscheinlichkeit... General Man¬
teuffel war als das Haupt der hochconservativm sogenannten österreichischen
Partei am preußischen Hofe bekannt und in Wien sehr angesehen. Seine anti¬
österreichischen Pläne hatte Bismarck schon vor seinem Eintritt als Minister¬
präsident vielfach ausgesprochen, ja sogar dem Könige vorgetragen. Wenn Bismarck
einen Vergleich mit dem Abgeordnetenhause über die Militärreorganisativu zustande
brachte und Frieden mit der Volksvertretung schloß, so hatte er nach der Ansicht
der Manteuffelschen Partei seine Dienste geleistet und konnte gehen. Ganz anders
war seine Stellung, wenn er trotz des heftigsten Krieges mit dem Abgeordnetenhause
die Militärreorganisativn durchführte. So lange der Kampf mit der Volks¬
vertretung währte, blieb er unentbehrlich, je heftiger der Kampf war, desto mehr."

Wir bemerken dazu: Irrthümer über Irrthümer, Widerspruch auf Wider¬
spruch. Zunächst ist es völlig unbegründet, wenn behauptet wird, der General
von Manteuffel habe Bismarck beseitigt wissen wollen, und er sei das Haupt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/402>, abgerufen am 16.01.2025.