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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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vom literarischen Longreß in Wien.

Und nicht etwa die ersten besten, kein Publicum, nein, jeder einzelne eine
Celebrität, Die Antwort auf die Frage nach dem Namen dieser oder jener Per¬
sönlichkeit begann unausweichlich mit demselben Prädicate: der berühmte Roman¬
dichter A., der berühmte Dramatiker B., der berühmte Publicist C, u. s, w.,
lauter Berühmtheiten, und ich -- war froh, wenn ich mich wenigstens erinnerte,
den Namen schon einmal gehört zu haben. Die meisten waren mir gänzlich
fremd. So reich ist die Gegenwart an Sternen erster Größe. Ist es da nicht
eine Lust, zu leben?

Wohl mußte ich einige Enttäuschungen dulden. Die beiden Größten fehlten.
Victor Hugo mochte kosmische Störungen befürchtet haben, wenn er den Mittel¬
punkt der Welt vorübergehend nach Wien verlegte, und Berthold Auerbach ent¬
schuldigte sich damit, daß er alt geworden sei. Der Glückliche hat erst jetzt ge¬
merkt, was seine Leser schon seit zwanzig Jahren wissen. Ueber diese schöne
Selbsttäuschung scheint Friedrich Bodenstedt schon hinweg zu sein. Er war in
Ermangelung Hugos und Auerbachs der erklärte Held -- wenigstens der ersten
Zusammenkunft. Zu seinen Füßen lag stets ein Kranz mehr oder weniger reifer
Damen, er nahm deren Huldigungen gnädig auf, und während um die Lippen
noch ein Abglanz alter Siegesfreude spielte, sprach der wehmüthige Ausdruck
der Augen: Kommt nur näher, sonnt euch in den Strahlen meines Geistes und
meiner Schönheit, es ist keine Gefahr mehr dabei. Dann zog er seine Bvnbouniöre
aus der Tasche und reichte jeder Verehrerin ein Sprüchlein, ein frisches Stück¬
lein Zuckerwerk aus Mirza Schaffys Küche. Ein wißbegieriger Franzose ent¬
deckte in diesem Kreise zu seiner höchsten Befriedigung, daß die Oesterreicher
unmöglich zur germanischen Race gehören könnten, da so kühn geschwungene
Nasen, so schwarze Haare und solche jeder Beschreibung und jedes Gürtels spot¬
tende Formenfülle, wie er an Bvdenstedts Hofdamen bewunderte, bei Deutschen
nicht gefunden würden. Ich verwies ihn an den Mann, in welchem Mirza
Schafft) bald den überlegenen Rivalen erkennen sollte, an Lazarus den Weisen,
oder wie er selbst sich bescheiden benamst, den "Völkerpsychologcn," der sich ja
auch darauf verstehen muß.

Daß dieser Lazarus nicht der Mann aus dem Evangelium ist, war mir
schon länger bekannt; nun habe ich aus seinem Munde gehört, daß er "von den
germanischen Völkern" ist, und daß alle europäischen Völker von einander lernen
können, weil allen Völkern die Wörter Idee und Amen gemeinsam sind. Der
Gedanke, daß wir nicht mehr nöthig haben, uns mit fremden Sprachen zu
plagen, sondern getrost jeden Ausländer mit "Idee" anreden dürfen, um zur
Antwort "Amen" zu erhalten -- das Bild einer solchen Freimaurerei übte
eine unbeschreibliche Wirkung auf die Versammlung aus, sogar auf das
Orchester, welches sofort die Marseillaise anstimmte, "^.ux Mines!", und da
keine anderen Waffen zur Stelle waren, griffen wir beherzt zu Messer und
Gabel, deren Idee ja auch allen europäischen Völkern gemeinsam ist. Lazarus


vom literarischen Longreß in Wien.

Und nicht etwa die ersten besten, kein Publicum, nein, jeder einzelne eine
Celebrität, Die Antwort auf die Frage nach dem Namen dieser oder jener Per¬
sönlichkeit begann unausweichlich mit demselben Prädicate: der berühmte Roman¬
dichter A., der berühmte Dramatiker B., der berühmte Publicist C, u. s, w.,
lauter Berühmtheiten, und ich — war froh, wenn ich mich wenigstens erinnerte,
den Namen schon einmal gehört zu haben. Die meisten waren mir gänzlich
fremd. So reich ist die Gegenwart an Sternen erster Größe. Ist es da nicht
eine Lust, zu leben?

Wohl mußte ich einige Enttäuschungen dulden. Die beiden Größten fehlten.
Victor Hugo mochte kosmische Störungen befürchtet haben, wenn er den Mittel¬
punkt der Welt vorübergehend nach Wien verlegte, und Berthold Auerbach ent¬
schuldigte sich damit, daß er alt geworden sei. Der Glückliche hat erst jetzt ge¬
merkt, was seine Leser schon seit zwanzig Jahren wissen. Ueber diese schöne
Selbsttäuschung scheint Friedrich Bodenstedt schon hinweg zu sein. Er war in
Ermangelung Hugos und Auerbachs der erklärte Held — wenigstens der ersten
Zusammenkunft. Zu seinen Füßen lag stets ein Kranz mehr oder weniger reifer
Damen, er nahm deren Huldigungen gnädig auf, und während um die Lippen
noch ein Abglanz alter Siegesfreude spielte, sprach der wehmüthige Ausdruck
der Augen: Kommt nur näher, sonnt euch in den Strahlen meines Geistes und
meiner Schönheit, es ist keine Gefahr mehr dabei. Dann zog er seine Bvnbouniöre
aus der Tasche und reichte jeder Verehrerin ein Sprüchlein, ein frisches Stück¬
lein Zuckerwerk aus Mirza Schaffys Küche. Ein wißbegieriger Franzose ent¬
deckte in diesem Kreise zu seiner höchsten Befriedigung, daß die Oesterreicher
unmöglich zur germanischen Race gehören könnten, da so kühn geschwungene
Nasen, so schwarze Haare und solche jeder Beschreibung und jedes Gürtels spot¬
tende Formenfülle, wie er an Bvdenstedts Hofdamen bewunderte, bei Deutschen
nicht gefunden würden. Ich verwies ihn an den Mann, in welchem Mirza
Schafft) bald den überlegenen Rivalen erkennen sollte, an Lazarus den Weisen,
oder wie er selbst sich bescheiden benamst, den „Völkerpsychologcn," der sich ja
auch darauf verstehen muß.

Daß dieser Lazarus nicht der Mann aus dem Evangelium ist, war mir
schon länger bekannt; nun habe ich aus seinem Munde gehört, daß er „von den
germanischen Völkern" ist, und daß alle europäischen Völker von einander lernen
können, weil allen Völkern die Wörter Idee und Amen gemeinsam sind. Der
Gedanke, daß wir nicht mehr nöthig haben, uns mit fremden Sprachen zu
plagen, sondern getrost jeden Ausländer mit „Idee" anreden dürfen, um zur
Antwort „Amen" zu erhalten — das Bild einer solchen Freimaurerei übte
eine unbeschreibliche Wirkung auf die Versammlung aus, sogar auf das
Orchester, welches sofort die Marseillaise anstimmte, „^.ux Mines!", und da
keine anderen Waffen zur Stelle waren, griffen wir beherzt zu Messer und
Gabel, deren Idee ja auch allen europäischen Völkern gemeinsam ist. Lazarus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/40>, abgerufen am 15.01.2025.