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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zola und der Naturalismus auf dem Theater.

absolute Gleichgiltigkeit und die langjährige Erfahrung, daß der Freimuth nichts
nützt." Ein viel größeres Uebel aber liege noch darin, daß die Theatercensur,
sowie die Kritik der schönen Literatur überhaupt, den Tngesblättern zugefallen sei,
die weder Zeit noch Raum dafür finden könnten, und daß daher die Besprechungen
dem Redacteur des vermischten Theils preisgegeben würden, der sie mit kurzen
Anzeigen wohl oder übel abfertige. Die schnellen Berichte über die Theater¬
vorstellungen nöthigten gleichfalls zur Kürze. Das Stück werde meist nur wie
jede andere Tagesneuigkeit behandelt. An eine Methode sei dabei selten zu denken,
weil fast niemand ein tieferes Interesse, eine entschiedene Kunstanschauung habe.
Das Publicum werde dabei als Souverän angesehen; man decke sich mit ihm,
seinem Beifall oder seinem Mißfallen, aus Furcht, sich mit dem eignen Urtheil
compromittiren zu können. "Die Kritiker sagen, die Stücke werden für die Zu¬
schauer geschrieben, daher wir die zu loben haben, die ihm gefallen." Das
Publicum seinerseits berufe sich für seine Vorliebe für das Alberne auf die
Kritik. "Mein Journal findet es gut, daher will ich es sehen und auch applau-
diren." Die Souveränetät des Publicums in Geschmacksachen halt Zola für
eine der thörichtsten. Sie führe zur Verurtheilung der Originalität und aller
vorzüglichen Eigenschaften. Der Zuschauer sei einzeln oft genug intelligent. In
Menge aber seien die Zuschauer einer Herde gleich, welche vom Genie, ja schon
vom bloßen Talente geführt und gezügelt werden müsse. Auch werde den:
Publieum viel besser gedient, wenn man seinen schlechten Geschmack zu haben
suche, als wenn man demselben immer nur nachgebe. Nur weil das Theater
ganz zum Geschäft geworden, habe sich das natürliche Verhältniß zwischen Kritik
und Publicum so verschoben.

Auch hier aber geht Zola im Eifer zu weit. Auch bei uns ist der Theater¬
geschmack neuerdings in auffälliger Weise gesunken. Ich glaube jedoch, daß sich
die Bildung wenn auch nicht vertieft, so doch im allgemeinen erweitert hat. Das
Publicum der Theater aber hat sich verändert. Die Vermögcnsverhciltnisse haben
sich und zwar nicht gerade zu Gunsten der grüßern Bildung verschoben. Das
Theater, das sich früher vorzugsweise an die Gebildeten wendete, ist jetzt nur
noch den Vermögenden häufiger zugänglich, was keineswegs immer dasselbe ist.

Wie ist diesem Uebelstande abzuhelfen? Zola kommt auf die Staatssub-
ventioneu. Er findet das Drama zu stiefmütterlich gegen die Oper bedacht.
Gleich so vielen französischen Schriftstellern, bei denen der Verstand in einseitiger
Weise entwickelt ist, hat Zola kein rechtes Organ für die Musik. "Um die Werke
des Schriftstellers zu genießen -- sagt er -- bedarf es einer bestimmten
Cultur des Geistes, eiuer Summe von Intelligenz, wogegen man, um um der
Musik Gefallen finden zu können, kaum etwas mehr als Temperament nöthig
hat." Im Princip ist Zola übrigens den Staatssubventionen abgeneigt. Er
führt die Krisis, von der heute die Pariser Theater bedroht sind, hauptsächlich
auf den Zustand der dramatischen Dichtung zurück, die sich nach Form und In-


Zola und der Naturalismus auf dem Theater.

absolute Gleichgiltigkeit und die langjährige Erfahrung, daß der Freimuth nichts
nützt." Ein viel größeres Uebel aber liege noch darin, daß die Theatercensur,
sowie die Kritik der schönen Literatur überhaupt, den Tngesblättern zugefallen sei,
die weder Zeit noch Raum dafür finden könnten, und daß daher die Besprechungen
dem Redacteur des vermischten Theils preisgegeben würden, der sie mit kurzen
Anzeigen wohl oder übel abfertige. Die schnellen Berichte über die Theater¬
vorstellungen nöthigten gleichfalls zur Kürze. Das Stück werde meist nur wie
jede andere Tagesneuigkeit behandelt. An eine Methode sei dabei selten zu denken,
weil fast niemand ein tieferes Interesse, eine entschiedene Kunstanschauung habe.
Das Publicum werde dabei als Souverän angesehen; man decke sich mit ihm,
seinem Beifall oder seinem Mißfallen, aus Furcht, sich mit dem eignen Urtheil
compromittiren zu können. „Die Kritiker sagen, die Stücke werden für die Zu¬
schauer geschrieben, daher wir die zu loben haben, die ihm gefallen." Das
Publicum seinerseits berufe sich für seine Vorliebe für das Alberne auf die
Kritik. „Mein Journal findet es gut, daher will ich es sehen und auch applau-
diren." Die Souveränetät des Publicums in Geschmacksachen halt Zola für
eine der thörichtsten. Sie führe zur Verurtheilung der Originalität und aller
vorzüglichen Eigenschaften. Der Zuschauer sei einzeln oft genug intelligent. In
Menge aber seien die Zuschauer einer Herde gleich, welche vom Genie, ja schon
vom bloßen Talente geführt und gezügelt werden müsse. Auch werde den:
Publieum viel besser gedient, wenn man seinen schlechten Geschmack zu haben
suche, als wenn man demselben immer nur nachgebe. Nur weil das Theater
ganz zum Geschäft geworden, habe sich das natürliche Verhältniß zwischen Kritik
und Publicum so verschoben.

Auch hier aber geht Zola im Eifer zu weit. Auch bei uns ist der Theater¬
geschmack neuerdings in auffälliger Weise gesunken. Ich glaube jedoch, daß sich
die Bildung wenn auch nicht vertieft, so doch im allgemeinen erweitert hat. Das
Publicum der Theater aber hat sich verändert. Die Vermögcnsverhciltnisse haben
sich und zwar nicht gerade zu Gunsten der grüßern Bildung verschoben. Das
Theater, das sich früher vorzugsweise an die Gebildeten wendete, ist jetzt nur
noch den Vermögenden häufiger zugänglich, was keineswegs immer dasselbe ist.

Wie ist diesem Uebelstande abzuhelfen? Zola kommt auf die Staatssub-
ventioneu. Er findet das Drama zu stiefmütterlich gegen die Oper bedacht.
Gleich so vielen französischen Schriftstellern, bei denen der Verstand in einseitiger
Weise entwickelt ist, hat Zola kein rechtes Organ für die Musik. „Um die Werke
des Schriftstellers zu genießen — sagt er — bedarf es einer bestimmten
Cultur des Geistes, eiuer Summe von Intelligenz, wogegen man, um um der
Musik Gefallen finden zu können, kaum etwas mehr als Temperament nöthig
hat." Im Princip ist Zola übrigens den Staatssubventionen abgeneigt. Er
führt die Krisis, von der heute die Pariser Theater bedroht sind, hauptsächlich
auf den Zustand der dramatischen Dichtung zurück, die sich nach Form und In-


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[0301] Zola und der Naturalismus auf dem Theater. absolute Gleichgiltigkeit und die langjährige Erfahrung, daß der Freimuth nichts nützt." Ein viel größeres Uebel aber liege noch darin, daß die Theatercensur, sowie die Kritik der schönen Literatur überhaupt, den Tngesblättern zugefallen sei, die weder Zeit noch Raum dafür finden könnten, und daß daher die Besprechungen dem Redacteur des vermischten Theils preisgegeben würden, der sie mit kurzen Anzeigen wohl oder übel abfertige. Die schnellen Berichte über die Theater¬ vorstellungen nöthigten gleichfalls zur Kürze. Das Stück werde meist nur wie jede andere Tagesneuigkeit behandelt. An eine Methode sei dabei selten zu denken, weil fast niemand ein tieferes Interesse, eine entschiedene Kunstanschauung habe. Das Publicum werde dabei als Souverän angesehen; man decke sich mit ihm, seinem Beifall oder seinem Mißfallen, aus Furcht, sich mit dem eignen Urtheil compromittiren zu können. „Die Kritiker sagen, die Stücke werden für die Zu¬ schauer geschrieben, daher wir die zu loben haben, die ihm gefallen." Das Publicum seinerseits berufe sich für seine Vorliebe für das Alberne auf die Kritik. „Mein Journal findet es gut, daher will ich es sehen und auch applau- diren." Die Souveränetät des Publicums in Geschmacksachen halt Zola für eine der thörichtsten. Sie führe zur Verurtheilung der Originalität und aller vorzüglichen Eigenschaften. Der Zuschauer sei einzeln oft genug intelligent. In Menge aber seien die Zuschauer einer Herde gleich, welche vom Genie, ja schon vom bloßen Talente geführt und gezügelt werden müsse. Auch werde den: Publieum viel besser gedient, wenn man seinen schlechten Geschmack zu haben suche, als wenn man demselben immer nur nachgebe. Nur weil das Theater ganz zum Geschäft geworden, habe sich das natürliche Verhältniß zwischen Kritik und Publicum so verschoben. Auch hier aber geht Zola im Eifer zu weit. Auch bei uns ist der Theater¬ geschmack neuerdings in auffälliger Weise gesunken. Ich glaube jedoch, daß sich die Bildung wenn auch nicht vertieft, so doch im allgemeinen erweitert hat. Das Publicum der Theater aber hat sich verändert. Die Vermögcnsverhciltnisse haben sich und zwar nicht gerade zu Gunsten der grüßern Bildung verschoben. Das Theater, das sich früher vorzugsweise an die Gebildeten wendete, ist jetzt nur noch den Vermögenden häufiger zugänglich, was keineswegs immer dasselbe ist. Wie ist diesem Uebelstande abzuhelfen? Zola kommt auf die Staatssub- ventioneu. Er findet das Drama zu stiefmütterlich gegen die Oper bedacht. Gleich so vielen französischen Schriftstellern, bei denen der Verstand in einseitiger Weise entwickelt ist, hat Zola kein rechtes Organ für die Musik. „Um die Werke des Schriftstellers zu genießen — sagt er — bedarf es einer bestimmten Cultur des Geistes, eiuer Summe von Intelligenz, wogegen man, um um der Musik Gefallen finden zu können, kaum etwas mehr als Temperament nöthig hat." Im Princip ist Zola übrigens den Staatssubventionen abgeneigt. Er führt die Krisis, von der heute die Pariser Theater bedroht sind, hauptsächlich auf den Zustand der dramatischen Dichtung zurück, die sich nach Form und In-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/301>, abgerufen am 15.01.2025.