Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Skizzen ans unserm heutigen Volksleben. großes Loch, was sic rausbattalcht haben. Und mit dein Wagen sind sie hinge¬ Die Mutter Sachsen schüttelte abermals kummervoll ihr Haupt und sagte! Zur Steuer der Wahrheit mag hier verrathen sein, daß die. Sprecherin das "Bei Pfarrersch hat sich dies Jahr das Obst auch recht verkleckert, sagte Die Mutter Sachsen wiegte ihr Haupt und sagte: "Alles was recht ist, aber So ging das Gespräch, Rede und Echo, noch eine gute Weile weiter. In Wie ist es möglich, daß eine solche Volksmornl sich bilden kann? Es ist das Felddiebstähle sind zu allen Zeiten im Schwange gewesen, besonders wo ge¬ Abkürzung aus racheugieriq, ach'ich habgierig.
Skizzen ans unserm heutigen Volksleben. großes Loch, was sic rausbattalcht haben. Und mit dein Wagen sind sie hinge¬ Die Mutter Sachsen schüttelte abermals kummervoll ihr Haupt und sagte! Zur Steuer der Wahrheit mag hier verrathen sein, daß die. Sprecherin das „Bei Pfarrersch hat sich dies Jahr das Obst auch recht verkleckert, sagte Die Mutter Sachsen wiegte ihr Haupt und sagte: „Alles was recht ist, aber So ging das Gespräch, Rede und Echo, noch eine gute Weile weiter. In Wie ist es möglich, daß eine solche Volksmornl sich bilden kann? Es ist das Felddiebstähle sind zu allen Zeiten im Schwange gewesen, besonders wo ge¬ Abkürzung aus racheugieriq, ach'ich habgierig.
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Skizzen ans unserm heutigen Volksleben.
großes Loch, was sic rausbattalcht haben. Und mit dein Wagen sind sie hinge¬
fahren!"
Die Mutter Sachsen schüttelte abermals kummervoll ihr Haupt und sagte!
„Was zu arg ist, ist zu arg, man muß auch nicht ausverschämt sein." — „Nein,
Mutter Sachsen — man muß mich nicht ausverschämt sein." — „Wenn ich was
nehme," fuhr das Bvlksbewnßtscin fort, „wo es da ist, und wo es keiner vermissen
thut, das heiße ich nicht mausen. Wir armen Leute wollen doch anch leben." —
„Jawohl, Mutter Sachsen, wir armen Leute wollen auch leben. Das liebe Gut
liegt ja da; das ist keine Sünde, wenn man's nicht umkommen läßt, Wenns daliegt."
Zur Steuer der Wahrheit mag hier verrathen sein, daß die. Sprecherin das
Umschlagetuch des gnädigen Fräuleins zum Unterrock umgestaltet trug. Ob das
auch liebes Gut war, was nicht umkommen sollte, muß unentschieden bleiben.
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„Bei Pfarrersch hat sich dies Jahr das Obst auch recht verkleckert, sagte
eine, die sicher in dieser Frage sachverständig war. „Na ja, es will ja jeder sein
Häppchen davon haben." — „Pfarrersch haben auch genng. Wenn die alles allein
essen wollten, dann möchte ich wissen, wo sie alles hinessen wollten." — „Jawohl,
Mutter Sachsen, Pfarrersch haben genug. Na, Pfarrersch sind auch gut, die zeigen
keinen Menschen an, aber der Inspektor, das ist ein rachgieriger^) Mann. Der
zeigt die Leute gleich an und macht sie unglücklich. Das ist auch eine Sünde, wenn
man keinem nichts gönnt."
Die Mutter Sachsen wiegte ihr Haupt und sagte: „Alles was recht ist, aber
die Unterdorfer treiben es zu weit. Wenn sie wenigstens mit Verstand mausten,
aber da giebts Dummerjans, die decken die Miethen auf und holen die Kartoffeln
'raus, hernach erfriert der ganze Haufen. Pfui Teufel, so was könnte ich nicht
thun! Auf der Karre fahren sie's in die Stadt und verkaufen es thalcrweise.
Das sind Räuber, die ins Zuchthaus müßten! — „Ja wohl, Räuber sind's, sie
bemausen sich ja unter einander! Da schämte ich mich doch der Schande." —
„Sic haben eben keine Ueberlegung im Kopfe. Im Herbste, da liegts doch da,
da kaun man Seins doch fürs liebe Vieh nehmen. Da kann man ganz gut seine vier,
fünf Schweine fett machen; das macht immer einen schönen Thaler Geld. Aber
da giebt's welche, die fressen alles allein auf und haben hernach kein Zeug auf
dein Leibe. Pfui Teufel!" — „Ja wohl, Mutter Sachsen, wenn man sei Vieh
nicht Hunger leiden läßt, das ist keine Sünde. Rübenblätter und so was, das
liegt ja da, und der liebe Gott läßt's doch nicht blos für einen wachsen."
So ging das Gespräch, Rede und Echo, noch eine gute Weile weiter. In
selbiger Nacht aber ward wiederum gewaltig gestohlen — diesmal aber mit Ver¬
stand, und das ist keine Sünde!
Wie ist es möglich, daß eine solche Volksmornl sich bilden kann? Es ist das
anch ein Stück socialer Frage.
Felddiebstähle sind zu allen Zeiten im Schwange gewesen, besonders wo ge¬
meinsames Eigenthum z» finden war, und wo sich der Begriff des herrenlosen
Eigenthums leicht bilden konnte. Von Walddörfern, in denen der Holzdiebstahl
von jeher fast zu den berechtigten Lebensäußerungen gehört hat, will ich nicht
reden; ich rede von Gegenden bester Bodenklasse und fortgeschrittenster Cultur.
Wenn in solchen Gegenden in einzelnen Dörfern der Diebstahl epidemisch wird,
Abkürzung aus racheugieriq, ach'ich habgierig.
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