Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Shakespeare in Frankreich, sich besser darauf, die Personen in der Art der Decorationen mit jenen großen Man kennt die Verherrlichung, welche Schlegel dem Genius Shakespeares Shakespeare in Frankreich, sich besser darauf, die Personen in der Art der Decorationen mit jenen großen Man kennt die Verherrlichung, welche Schlegel dem Genius Shakespeares <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0019" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150741"/> <fw type="header" place="top"> Shakespeare in Frankreich,</fw><lb/> <p xml:id="ID_32" prev="#ID_31"> sich besser darauf, die Personen in der Art der Decorationen mit jenen großen<lb/> Zügen zu malen, die auf die Wirkung in die Ferne berechnet sind. Wie ist es<lb/> möglich — wird man zwar sagen —, bei Shakespeare von einer zu großen Feinheit<lb/> zu sprechen, der sich so furchtbare Situationen zu schildern erlaubte? Shake¬<lb/> speare verewigt eben nicht selten in sich die entgegengesetztesten Eigenschaften und<lb/> Fehler, er zeigt sich nicht selten zugleich innerhalb und außerhalb der Sphäre<lb/> der Kunst, er besitzt jedoch in noch höherm Grade die Kenntniß des menschlichen<lb/> Herzens, als die des Theaters/' Frau von StaÄ weist dann darauf hin, daß<lb/> die französische Bühne die einzige sei, welche das Komische ganz vom Tragischen<lb/> ausgeschlossen sehen wollte, daß aber die französischen Tragödien auch nur den<lb/> Gebildeten, nicht aber dem Volke gefielen. Shakespeare wirke dagegen auf alle<lb/> Klassen seiner Nation. Auch nahm sie die Gelegenheit wahr, sich gegen den<lb/> Conventionalismus und das Einförmige der französischen Bühne zu erklären,<lb/> worin sie von A. W. Schlegel aufs kräftigste unterstützt wurde, der schon 1807<lb/> eine Abhandlung über Raeines „Phädra" in classischen Französisch veröffentlicht<lb/> und 1813 seiue Freundin nach Paris begleitet hatte und hier die Herausgabe<lb/> der Uebersetzung seiner Vorlesungen über dramatische Kunst überwachte.</p><lb/> <p xml:id="ID_33" next="#ID_34"> Man kennt die Verherrlichung, welche Schlegel dem Genius Shakespeares<lb/> in diesem Buche zu Theil werden läßt, welch abfälliges Urtheil dagegen die<lb/> Dichter der französischen akademischen Schule erfahren. Es ist nicht meine<lb/> Aufgabe, zu untersuchen, inwieweit dort eine Überschätzung, hier eine Unter¬<lb/> schätzung stattgefunden hat. Es genügt, auf das ungeheure Aufsehen hinzu¬<lb/> weisen, das seine Urtheile in Frankreich erregten. Der Glaube an die Un¬<lb/> fehlbarkeit der alten akademischen Regeln war aufs tiefste erschüttert. Die jün¬<lb/> gere Generation bekannte sich zum Theil offen zu den neuen Anschauungen,<lb/> zum Theil nahm sie wenigstens eine zwischen dem Klassicismus und dem Ro-<lb/> manticismus stehende Stellung ein. Denn dieses Wort, von Letournenr und<lb/> Sismondi zuerst in Frankreich gebraucht, war von Frau von Staöl aufs neue<lb/> angewendet und aus Deutschland importirt worden, wo Goethe den Anspruch<lb/> erheben konnte, es im Verein mit Schiller zuerst im Gegensatze zu dem Begriff<lb/> des Classischen gebraucht zu haben. Doch selbst von den Anhängern der clas¬<lb/> sischen Schule wurden nicht wenige von den neuen Ideen angesteckt. Um so<lb/> entschiedner trat nun der Widerstand der an der Akademie den kräftigsten Rück¬<lb/> halt findenden Puristen hervor, die ihren Einfluß auf Presse, Censur und das<lb/> ?lMtrE dran^is in jeder Weise benutzten. Dagegen fanden die Romantiker<lb/> wieder Succurs in der an den Theatern des Melodramas unter Dichtern wie<lb/> Pix6röcvurt, Laigniez und Ducange zur Entwicklung gekommenen Schauspiel¬<lb/> kunst, besonders seit Mademoiselle George an das Odeon gegangen war (1820),<lb/> hier ihr Talent in seiner vollen Stärke entfaltet hatte und Frvdorie Lemaitre<lb/> und Mademoiselle Dorpat das Publicum neben ihr hinrissen und erschütterten.<lb/> Kein Wunder, daß, als das IIMtrs trimeMs sogar die Werke der vom Roman-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
Shakespeare in Frankreich,
sich besser darauf, die Personen in der Art der Decorationen mit jenen großen
Zügen zu malen, die auf die Wirkung in die Ferne berechnet sind. Wie ist es
möglich — wird man zwar sagen —, bei Shakespeare von einer zu großen Feinheit
zu sprechen, der sich so furchtbare Situationen zu schildern erlaubte? Shake¬
speare verewigt eben nicht selten in sich die entgegengesetztesten Eigenschaften und
Fehler, er zeigt sich nicht selten zugleich innerhalb und außerhalb der Sphäre
der Kunst, er besitzt jedoch in noch höherm Grade die Kenntniß des menschlichen
Herzens, als die des Theaters/' Frau von StaÄ weist dann darauf hin, daß
die französische Bühne die einzige sei, welche das Komische ganz vom Tragischen
ausgeschlossen sehen wollte, daß aber die französischen Tragödien auch nur den
Gebildeten, nicht aber dem Volke gefielen. Shakespeare wirke dagegen auf alle
Klassen seiner Nation. Auch nahm sie die Gelegenheit wahr, sich gegen den
Conventionalismus und das Einförmige der französischen Bühne zu erklären,
worin sie von A. W. Schlegel aufs kräftigste unterstützt wurde, der schon 1807
eine Abhandlung über Raeines „Phädra" in classischen Französisch veröffentlicht
und 1813 seiue Freundin nach Paris begleitet hatte und hier die Herausgabe
der Uebersetzung seiner Vorlesungen über dramatische Kunst überwachte.
Man kennt die Verherrlichung, welche Schlegel dem Genius Shakespeares
in diesem Buche zu Theil werden läßt, welch abfälliges Urtheil dagegen die
Dichter der französischen akademischen Schule erfahren. Es ist nicht meine
Aufgabe, zu untersuchen, inwieweit dort eine Überschätzung, hier eine Unter¬
schätzung stattgefunden hat. Es genügt, auf das ungeheure Aufsehen hinzu¬
weisen, das seine Urtheile in Frankreich erregten. Der Glaube an die Un¬
fehlbarkeit der alten akademischen Regeln war aufs tiefste erschüttert. Die jün¬
gere Generation bekannte sich zum Theil offen zu den neuen Anschauungen,
zum Theil nahm sie wenigstens eine zwischen dem Klassicismus und dem Ro-
manticismus stehende Stellung ein. Denn dieses Wort, von Letournenr und
Sismondi zuerst in Frankreich gebraucht, war von Frau von Staöl aufs neue
angewendet und aus Deutschland importirt worden, wo Goethe den Anspruch
erheben konnte, es im Verein mit Schiller zuerst im Gegensatze zu dem Begriff
des Classischen gebraucht zu haben. Doch selbst von den Anhängern der clas¬
sischen Schule wurden nicht wenige von den neuen Ideen angesteckt. Um so
entschiedner trat nun der Widerstand der an der Akademie den kräftigsten Rück¬
halt findenden Puristen hervor, die ihren Einfluß auf Presse, Censur und das
?lMtrE dran^is in jeder Weise benutzten. Dagegen fanden die Romantiker
wieder Succurs in der an den Theatern des Melodramas unter Dichtern wie
Pix6röcvurt, Laigniez und Ducange zur Entwicklung gekommenen Schauspiel¬
kunst, besonders seit Mademoiselle George an das Odeon gegangen war (1820),
hier ihr Talent in seiner vollen Stärke entfaltet hatte und Frvdorie Lemaitre
und Mademoiselle Dorpat das Publicum neben ihr hinrissen und erschütterten.
Kein Wunder, daß, als das IIMtrs trimeMs sogar die Werke der vom Roman-
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