Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Zwei deutsche Dichter. und dann auf demi eines größern Geschäftsbetriebes, innere Befriedigung, äußeres Wie anders und beinahe überall gegensätzlich stellt sich Leben und Dichten Zwei deutsche Dichter. und dann auf demi eines größern Geschäftsbetriebes, innere Befriedigung, äußeres Wie anders und beinahe überall gegensätzlich stellt sich Leben und Dichten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150906"/> <fw type="header" place="top"> Zwei deutsche Dichter.</fw><lb/> <p xml:id="ID_581" prev="#ID_580"> und dann auf demi eines größern Geschäftsbetriebes, innere Befriedigung, äußeres<lb/> Glück und jene Unabhängigkeit zu gewinnen, welche der poetischen Natur vor<lb/> allem notthut. Er war endlich nach manchen Schicksalswcchseln und Sckicksals-<lb/> schlägen in den Hafen einer Beamtenstellung im preußischen Kriegsministerium<lb/> eingelaufen, wo er, nach altpreußischer Weise, die bekannte „verfluchte Pflicht<lb/> und Schuldigkeit" redlich that und im übrigen Zeit genug zur Ausübung seines<lb/> poetischen Talents behielt. Welche Richtung dies Talent in seiner Jugend und<lb/> unter den bunten Erlebnissen derselben genommen, ist uns nicht klar; wenn über¬<lb/> haupt frühere Arbeiten von Scherenberg veröffentlicht sind, so ist er niemals<lb/> auf dieselben zurückgekommen. Seine spätere literarische Eigenthümlichkeit ward<lb/> einigermaßen von der Luft mit gezeitigt, in der er lebte. Die Traditionen des<lb/> preußischen Kricgsruhms, an sich in jedem rechten Preußenherzen lebendig, er¬<lb/> griffen Scherenberg, der mitten im großen soldatischen Apparat lebte, stärker<lb/> und stärker, und so entstanden denn jene großen und kleinen Schlachtbilder, unter<lb/> denen in engerer Form „Der Deserteur" und „Prinz Louis Ferdinand," in<lb/> weiterer Ausdehnung „Waterloo," „Ligny" und „Leuthen" als die besonders<lb/> charakteristischen gelten müssen. Entschlossen warf sich Scherenberg in den här¬<lb/> testen und entschiedensten Realismus hinein, bis auf die Eigenthümlichkeiten der<lb/> altpreußischen militärischen Sprechweise gab er das Leben des Lagers und Krieges<lb/> wieder, bis zur äußersten Mißhandlung des Verses und der deutschen Sprache<lb/> selbst verstieg er sich, wenn es sich darum handelte, in aller Kürze, Knappheit<lb/> und Schärfe die Situation, die ihm vorschwebte, darzustellen oder den eigensten<lb/> Hauch und Lcbensathcm bestimmter Persönlichkeiten und Aeußerlichkeiten festzu¬<lb/> halten. Es war ein stark schöpferisches, künstlerisch nicht geläutertes Element<lb/> in diesen Poesien. Sie litten natürlich unter demselben Mangel, unter dem die<lb/> Schlachtenbilder leiden: sie fesseln, interessiren, können aber nicht tiefer ergreifen<lb/> und das innerste Bedürfen, welches den Menschen zur Kunst führt, nie voll<lb/> befriedigen. Auch lag es in der Natur der Sache, daß die poetische Be¬<lb/> lebung namentlich in deu größeren epischen Gedichten nicht vollständig ge¬<lb/> lingen konnte; es mußte eben zu viel Ballast bloßer Manöver und Evolu¬<lb/> tionsschilderungen, tactischer Studien, Uniforms- und Waffenschilderungeu,<lb/> biographischer Einzelheiten, die nicht in den Grundton aufgehen wollten,<lb/> hereingenommen werden. Immerhin aber sollten „Waterloo" und „Leuthen"<lb/> nie völlig vergessen werden, auch nach der Seite der Composition hin bieten sie<lb/> manches Interesse und legen Zeugniß von einer eigenthümlichen Kraft und<lb/> Phantasie ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_582" next="#ID_583"> Wie anders und beinahe überall gegensätzlich stellt sich Leben und Dichten<lb/> Murad Efendis dar! Der junge österreichische Offizier geräth in frühen Jahren<lb/> nach der Türkei und findet zuerst in Pera, dann in der Diplomatie der hohen<lb/> Pforte seine verschiednen Stellungen. Secretär des Großvesirs Mehemed, diplo¬<lb/> matischer Agent der Pforte in Neapel während der Dictatur Garibaldis, tür¬<lb/> kischer Consul in Temesvar, Generalconsul in Venedig, zuletzt Ministerresident<lb/> im Haag und außerordentlicher Gesandter des Sultans am schwedischen Hofe<lb/> in Stockholm, hätte der Frühverstorbene sarbenbunte und hochinteressante Er¬<lb/> innerungen schreiben können. Auch kaun man nicht sagen, daß die fremdartigen<lb/> Realitäten, durch die er hindurchgegangen war, ohne allen Einfluß auf seine<lb/> literarische Entwicklung geblieben wären. Während des letzten russisch-türkischen<lb/> Krieges veröffentlichte Murad „Türkische Skizzen," welche zu Gunsten der Os-<lb/> manen und des osmanischen Reiches geschrieben waren und einzelne vortreffliche,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0184]
Zwei deutsche Dichter.
und dann auf demi eines größern Geschäftsbetriebes, innere Befriedigung, äußeres
Glück und jene Unabhängigkeit zu gewinnen, welche der poetischen Natur vor
allem notthut. Er war endlich nach manchen Schicksalswcchseln und Sckicksals-
schlägen in den Hafen einer Beamtenstellung im preußischen Kriegsministerium
eingelaufen, wo er, nach altpreußischer Weise, die bekannte „verfluchte Pflicht
und Schuldigkeit" redlich that und im übrigen Zeit genug zur Ausübung seines
poetischen Talents behielt. Welche Richtung dies Talent in seiner Jugend und
unter den bunten Erlebnissen derselben genommen, ist uns nicht klar; wenn über¬
haupt frühere Arbeiten von Scherenberg veröffentlicht sind, so ist er niemals
auf dieselben zurückgekommen. Seine spätere literarische Eigenthümlichkeit ward
einigermaßen von der Luft mit gezeitigt, in der er lebte. Die Traditionen des
preußischen Kricgsruhms, an sich in jedem rechten Preußenherzen lebendig, er¬
griffen Scherenberg, der mitten im großen soldatischen Apparat lebte, stärker
und stärker, und so entstanden denn jene großen und kleinen Schlachtbilder, unter
denen in engerer Form „Der Deserteur" und „Prinz Louis Ferdinand," in
weiterer Ausdehnung „Waterloo," „Ligny" und „Leuthen" als die besonders
charakteristischen gelten müssen. Entschlossen warf sich Scherenberg in den här¬
testen und entschiedensten Realismus hinein, bis auf die Eigenthümlichkeiten der
altpreußischen militärischen Sprechweise gab er das Leben des Lagers und Krieges
wieder, bis zur äußersten Mißhandlung des Verses und der deutschen Sprache
selbst verstieg er sich, wenn es sich darum handelte, in aller Kürze, Knappheit
und Schärfe die Situation, die ihm vorschwebte, darzustellen oder den eigensten
Hauch und Lcbensathcm bestimmter Persönlichkeiten und Aeußerlichkeiten festzu¬
halten. Es war ein stark schöpferisches, künstlerisch nicht geläutertes Element
in diesen Poesien. Sie litten natürlich unter demselben Mangel, unter dem die
Schlachtenbilder leiden: sie fesseln, interessiren, können aber nicht tiefer ergreifen
und das innerste Bedürfen, welches den Menschen zur Kunst führt, nie voll
befriedigen. Auch lag es in der Natur der Sache, daß die poetische Be¬
lebung namentlich in deu größeren epischen Gedichten nicht vollständig ge¬
lingen konnte; es mußte eben zu viel Ballast bloßer Manöver und Evolu¬
tionsschilderungen, tactischer Studien, Uniforms- und Waffenschilderungeu,
biographischer Einzelheiten, die nicht in den Grundton aufgehen wollten,
hereingenommen werden. Immerhin aber sollten „Waterloo" und „Leuthen"
nie völlig vergessen werden, auch nach der Seite der Composition hin bieten sie
manches Interesse und legen Zeugniß von einer eigenthümlichen Kraft und
Phantasie ab.
Wie anders und beinahe überall gegensätzlich stellt sich Leben und Dichten
Murad Efendis dar! Der junge österreichische Offizier geräth in frühen Jahren
nach der Türkei und findet zuerst in Pera, dann in der Diplomatie der hohen
Pforte seine verschiednen Stellungen. Secretär des Großvesirs Mehemed, diplo¬
matischer Agent der Pforte in Neapel während der Dictatur Garibaldis, tür¬
kischer Consul in Temesvar, Generalconsul in Venedig, zuletzt Ministerresident
im Haag und außerordentlicher Gesandter des Sultans am schwedischen Hofe
in Stockholm, hätte der Frühverstorbene sarbenbunte und hochinteressante Er¬
innerungen schreiben können. Auch kaun man nicht sagen, daß die fremdartigen
Realitäten, durch die er hindurchgegangen war, ohne allen Einfluß auf seine
literarische Entwicklung geblieben wären. Während des letzten russisch-türkischen
Krieges veröffentlichte Murad „Türkische Skizzen," welche zu Gunsten der Os-
manen und des osmanischen Reiches geschrieben waren und einzelne vortreffliche,
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