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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Fortschrittlicher Wahlschrvindel.

opfern aus Gründen der Zweckmäßigkeit, meine Herren, die Rache des Volkes
für diesen Verrath wird nicht fehlen." Dieselbe große Leuchte der Fortschritts¬
partei sprach die Besorgniß, nein, die Gewißheit aus, daß "Herr v. Bismarck
die Herzogthümer schließlich an Rußland bringen, den Kieler Hafen in russische
Hände geben und mitten in unser Land, da wo es am wenigsten vertheidigt sei,
einen fremden Keil hineinschieben wolle."

Am 22. Januar 1864 nahm das Abgeordnetenhaus, in welchem die Fort¬
schrittspartei dominirte, eine von Schulze-Delitzsch vorgeschlagne Resolution an,
in der es hieß: "In Erwägung, daß Preußen gemeinsam mit Oesterreich am
Bunde erklärt, es werde sich dem Bundesbeschluffe vom 14. d, M. widersetzen,
die Schleswig-holsteinische Sache in die eigne Hand nehmen und die Besetzung
Schleswigs als europäische Großmacht ausführen; in Erwägung, daß Preußen
damit von Deutschland abfällt und seine Großmachtstellung mißbraucht; in Er¬
wägung, daß diese preußisch-österreichische Politik kein andres Ergebniß haben
kann, als die Herzogthümer abermals Dänemark zu überliefern; in Erwägung,
daß die angedrohte Vergewaltigung den wohlberechtigten Widerstand der übrigen
deutschen Staaten und damit den Bürgerkrieg in Deutschland herausfordert, er¬
klärt das Haus der Abgeordneten, daß es mit allen ihm zu Gebote stehenden
Mitteln dieser Politik entgegentreten werde."

Eine geradezu verrückte Ansprache des Sechsunddreißiger-Ausschusses der
Abgeordnetcnvcrsainmlung vom 12. December, in welcher die Fortschrittspartei
eine Hauptrolle spielte, begann mit den Worten: "Zwei Mächte, die den An¬
spruch verwirkt haben, die Großmächte Deutschlands zu heißen, sind in offner
Widersetzung begriffen gegen das Recht des Bundes, der Bundesstaaten und der
Nation," und behauptete weiterhin: "Mit Scham und Erbitterung sieht das
deutsche Volk die Truppen Oesterreichs und Preußens vordringen." Am 28. März
erließ derselbe Ausschuß als Grundlage für Beschlüsse der demokratischen Volks¬
versammlungen nachstehende Resolutionen: "Die Herzogthümer Schleswig-Holstein
haben das Recht, eng mit einander verbunden, von Dänemark vollständig getrennt
unter ihrem eignen Fürsten zu leben. Jede Entscheidung, die wider den Willen
des Volkes über sein Schicksal getroffen wird, ist null und nichtig, ist eine recht¬
lose Gewaltthat und zugleich ein Verrath an den Interessen und der Ehre
Deutschlands. Der nächste Moment wird sie zerreißen und vernichten."

Nach dem Gasteiner Vertrag stellte der Abgeordnete Virchow den Antrag,
die Vereini gnug des Herzogthums Lauenburg mit der Krone Preußen für rechts-
ungiltig zu erklären. Als der Krieg mit Oesterreich vor der Thüre war, wollte
die Fortschrittspartei "Preußen den Grvßmachtskitzel ausgetrieben sehen," und
eine große Anzahl von ihr arrangirter Versammlungen erklärte sich gegen den
Krieg als einen "Bruderkrieg" oder als einen "nur dynastischen Zwecken dienenden
Cabinetskrieg," welcher "einer civilisirten Nation unwürdig sei und alle Güter
gefährde, welche wir in fünfzig Jahren des Friedens errungen."


Fortschrittlicher Wahlschrvindel.

opfern aus Gründen der Zweckmäßigkeit, meine Herren, die Rache des Volkes
für diesen Verrath wird nicht fehlen." Dieselbe große Leuchte der Fortschritts¬
partei sprach die Besorgniß, nein, die Gewißheit aus, daß „Herr v. Bismarck
die Herzogthümer schließlich an Rußland bringen, den Kieler Hafen in russische
Hände geben und mitten in unser Land, da wo es am wenigsten vertheidigt sei,
einen fremden Keil hineinschieben wolle."

Am 22. Januar 1864 nahm das Abgeordnetenhaus, in welchem die Fort¬
schrittspartei dominirte, eine von Schulze-Delitzsch vorgeschlagne Resolution an,
in der es hieß: „In Erwägung, daß Preußen gemeinsam mit Oesterreich am
Bunde erklärt, es werde sich dem Bundesbeschluffe vom 14. d, M. widersetzen,
die Schleswig-holsteinische Sache in die eigne Hand nehmen und die Besetzung
Schleswigs als europäische Großmacht ausführen; in Erwägung, daß Preußen
damit von Deutschland abfällt und seine Großmachtstellung mißbraucht; in Er¬
wägung, daß diese preußisch-österreichische Politik kein andres Ergebniß haben
kann, als die Herzogthümer abermals Dänemark zu überliefern; in Erwägung,
daß die angedrohte Vergewaltigung den wohlberechtigten Widerstand der übrigen
deutschen Staaten und damit den Bürgerkrieg in Deutschland herausfordert, er¬
klärt das Haus der Abgeordneten, daß es mit allen ihm zu Gebote stehenden
Mitteln dieser Politik entgegentreten werde."

Eine geradezu verrückte Ansprache des Sechsunddreißiger-Ausschusses der
Abgeordnetcnvcrsainmlung vom 12. December, in welcher die Fortschrittspartei
eine Hauptrolle spielte, begann mit den Worten: „Zwei Mächte, die den An¬
spruch verwirkt haben, die Großmächte Deutschlands zu heißen, sind in offner
Widersetzung begriffen gegen das Recht des Bundes, der Bundesstaaten und der
Nation," und behauptete weiterhin: „Mit Scham und Erbitterung sieht das
deutsche Volk die Truppen Oesterreichs und Preußens vordringen." Am 28. März
erließ derselbe Ausschuß als Grundlage für Beschlüsse der demokratischen Volks¬
versammlungen nachstehende Resolutionen: „Die Herzogthümer Schleswig-Holstein
haben das Recht, eng mit einander verbunden, von Dänemark vollständig getrennt
unter ihrem eignen Fürsten zu leben. Jede Entscheidung, die wider den Willen
des Volkes über sein Schicksal getroffen wird, ist null und nichtig, ist eine recht¬
lose Gewaltthat und zugleich ein Verrath an den Interessen und der Ehre
Deutschlands. Der nächste Moment wird sie zerreißen und vernichten."

Nach dem Gasteiner Vertrag stellte der Abgeordnete Virchow den Antrag,
die Vereini gnug des Herzogthums Lauenburg mit der Krone Preußen für rechts-
ungiltig zu erklären. Als der Krieg mit Oesterreich vor der Thüre war, wollte
die Fortschrittspartei „Preußen den Grvßmachtskitzel ausgetrieben sehen," und
eine große Anzahl von ihr arrangirter Versammlungen erklärte sich gegen den
Krieg als einen „Bruderkrieg" oder als einen „nur dynastischen Zwecken dienenden
Cabinetskrieg," welcher „einer civilisirten Nation unwürdig sei und alle Güter
gefährde, welche wir in fünfzig Jahren des Friedens errungen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/93>, abgerufen am 01.09.2024.