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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Fortschrittlicher Wahlschwindel.

zu denken sei: "So befürchte ich, es werde uns nichts übrig bleiben, als uns
in einen Schmollwinkel zurückzuziehen und von diesem aus mißmuthig zuzusehen,
wie das übrige Deutschland sich unter der Würzburger und Oesterreichs Führung
neu constituirt und günstigen Falls uns eine Hinterthür offen läßt, durch die
wir unter Bedingungen wieder eintreten könnten -- eine Hinterthür, die freilich
dem caudinischcn Passe so ähnlich sehen würde, wie ein El dem andern."

Als bald darauf ein Vertrag mit Rußland bezüglich der Jnsurrection in
Polen abgeschlossen wurde, der zu den Meisterzügen der Bismarckschen Politik
zählte und später gute Früchte trug, nahm die Fortschrittspartei entschieden für
die Polen Partei. Der Abgeordnete v. Sybel sprach von preußischer "Mit¬
schuld an einer colossalen, von ganz Europa mit sittlicher Empörung betrachteten
Menschenjagd." Der Abgeordnete Waldeck verglich pathetisch die Einziehung
der preußischen Reserven zur Abwehr eiues Herüberflnthens des Aufstandes über
die preußische Grenze mit dem Verlauf der hessischen Landeskinder an die in
Nordamerika die Insurgenten bekämpfenden Euglünder. Der Abgeordnete v. Unruh
deutete uuter lebhaftem Beifall des Hauses an, wenn aus deu Vorkehrungen,
welche die Regierung zur Sicherung der Interessen Preußens an der polnischen
Grenze getroffen, auswärtige Verwicklungen hervorgehen sollten, so werde man
dem Könige die Mittel zur Landesvertheidigung verweigern. Mit vollem Rechte
fragte der Minister darauf: "Heißt das nicht dem Auslande zurufe": Kommt her,
der Augenblick ist günstig?"

In der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit verhielt sich die Fortschritts¬
partei von Anfang bis zu Ende ebenso kurzsichtig und schwachsinnig überhaupt
als unpatriotisch vom preußischen wie vom deutschen Standpunkte, von Anfang
bis zu Ende nahm sie Partei für die Tendenz des Bundestags und der Mittel-
ftaaten. Erst geberdete sie sich, als ob das pergamentnc Recht der Augusten-
burgcr sacrosanet wäre, dann sollte das angebliche Recht der Schleswig-Holsteiner,
ihre Zukunft selbst zu bestimmen, den Ausschlag geben. Die eigentliche Trieb¬
feder der Opposition gegen die Pläne, die Bismarck hier verfolgte und deren
Conception und Ausführung beiläufig einst zu den schönsten Blättern seines
Ruhmeskranzes gehören werden, war der bittre Haß gegen den Staatsmann,
der ihr nicht den Willen that -- ein Haß, dem die Betrachtung, daß man in
Transalbingien einen Staat schaffen wollte, welcher am Bundestage bei jeder
Gelegenheit gegen das Interesse und Bestreben Preußens gestimmt haben würde,
gewiß nicht entgehen konnte, aber leicht wog.

Als die Regierung sich anschickte, für die Herzogthümer Krieg zu führen,
und zu dem Zwecke vom Landtage Geld verlangte, wurde ihr von der Fort¬
schrittspartei zugerufen: "Diesem Ministerium keinen Groschen!" Der Abgeordnete
v. Sybel nannte das ministerielle Programm in Bezug auf Schleswig-Holstein
die Ankündigung eines Selbstmordes. Der Abgeordnete Virchow wurde royalistisch
und perorirte: "Mögen um die deutschen Fürsten die Principien der Legitimint


Fortschrittlicher Wahlschwindel.

zu denken sei: „So befürchte ich, es werde uns nichts übrig bleiben, als uns
in einen Schmollwinkel zurückzuziehen und von diesem aus mißmuthig zuzusehen,
wie das übrige Deutschland sich unter der Würzburger und Oesterreichs Führung
neu constituirt und günstigen Falls uns eine Hinterthür offen läßt, durch die
wir unter Bedingungen wieder eintreten könnten — eine Hinterthür, die freilich
dem caudinischcn Passe so ähnlich sehen würde, wie ein El dem andern."

Als bald darauf ein Vertrag mit Rußland bezüglich der Jnsurrection in
Polen abgeschlossen wurde, der zu den Meisterzügen der Bismarckschen Politik
zählte und später gute Früchte trug, nahm die Fortschrittspartei entschieden für
die Polen Partei. Der Abgeordnete v. Sybel sprach von preußischer „Mit¬
schuld an einer colossalen, von ganz Europa mit sittlicher Empörung betrachteten
Menschenjagd." Der Abgeordnete Waldeck verglich pathetisch die Einziehung
der preußischen Reserven zur Abwehr eiues Herüberflnthens des Aufstandes über
die preußische Grenze mit dem Verlauf der hessischen Landeskinder an die in
Nordamerika die Insurgenten bekämpfenden Euglünder. Der Abgeordnete v. Unruh
deutete uuter lebhaftem Beifall des Hauses an, wenn aus deu Vorkehrungen,
welche die Regierung zur Sicherung der Interessen Preußens an der polnischen
Grenze getroffen, auswärtige Verwicklungen hervorgehen sollten, so werde man
dem Könige die Mittel zur Landesvertheidigung verweigern. Mit vollem Rechte
fragte der Minister darauf: „Heißt das nicht dem Auslande zurufe»: Kommt her,
der Augenblick ist günstig?"

In der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit verhielt sich die Fortschritts¬
partei von Anfang bis zu Ende ebenso kurzsichtig und schwachsinnig überhaupt
als unpatriotisch vom preußischen wie vom deutschen Standpunkte, von Anfang
bis zu Ende nahm sie Partei für die Tendenz des Bundestags und der Mittel-
ftaaten. Erst geberdete sie sich, als ob das pergamentnc Recht der Augusten-
burgcr sacrosanet wäre, dann sollte das angebliche Recht der Schleswig-Holsteiner,
ihre Zukunft selbst zu bestimmen, den Ausschlag geben. Die eigentliche Trieb¬
feder der Opposition gegen die Pläne, die Bismarck hier verfolgte und deren
Conception und Ausführung beiläufig einst zu den schönsten Blättern seines
Ruhmeskranzes gehören werden, war der bittre Haß gegen den Staatsmann,
der ihr nicht den Willen that — ein Haß, dem die Betrachtung, daß man in
Transalbingien einen Staat schaffen wollte, welcher am Bundestage bei jeder
Gelegenheit gegen das Interesse und Bestreben Preußens gestimmt haben würde,
gewiß nicht entgehen konnte, aber leicht wog.

Als die Regierung sich anschickte, für die Herzogthümer Krieg zu führen,
und zu dem Zwecke vom Landtage Geld verlangte, wurde ihr von der Fort¬
schrittspartei zugerufen: „Diesem Ministerium keinen Groschen!" Der Abgeordnete
v. Sybel nannte das ministerielle Programm in Bezug auf Schleswig-Holstein
die Ankündigung eines Selbstmordes. Der Abgeordnete Virchow wurde royalistisch
und perorirte: „Mögen um die deutschen Fürsten die Principien der Legitimint


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[0092] Fortschrittlicher Wahlschwindel. zu denken sei: „So befürchte ich, es werde uns nichts übrig bleiben, als uns in einen Schmollwinkel zurückzuziehen und von diesem aus mißmuthig zuzusehen, wie das übrige Deutschland sich unter der Würzburger und Oesterreichs Führung neu constituirt und günstigen Falls uns eine Hinterthür offen läßt, durch die wir unter Bedingungen wieder eintreten könnten — eine Hinterthür, die freilich dem caudinischcn Passe so ähnlich sehen würde, wie ein El dem andern." Als bald darauf ein Vertrag mit Rußland bezüglich der Jnsurrection in Polen abgeschlossen wurde, der zu den Meisterzügen der Bismarckschen Politik zählte und später gute Früchte trug, nahm die Fortschrittspartei entschieden für die Polen Partei. Der Abgeordnete v. Sybel sprach von preußischer „Mit¬ schuld an einer colossalen, von ganz Europa mit sittlicher Empörung betrachteten Menschenjagd." Der Abgeordnete Waldeck verglich pathetisch die Einziehung der preußischen Reserven zur Abwehr eiues Herüberflnthens des Aufstandes über die preußische Grenze mit dem Verlauf der hessischen Landeskinder an die in Nordamerika die Insurgenten bekämpfenden Euglünder. Der Abgeordnete v. Unruh deutete uuter lebhaftem Beifall des Hauses an, wenn aus deu Vorkehrungen, welche die Regierung zur Sicherung der Interessen Preußens an der polnischen Grenze getroffen, auswärtige Verwicklungen hervorgehen sollten, so werde man dem Könige die Mittel zur Landesvertheidigung verweigern. Mit vollem Rechte fragte der Minister darauf: „Heißt das nicht dem Auslande zurufe»: Kommt her, der Augenblick ist günstig?" In der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit verhielt sich die Fortschritts¬ partei von Anfang bis zu Ende ebenso kurzsichtig und schwachsinnig überhaupt als unpatriotisch vom preußischen wie vom deutschen Standpunkte, von Anfang bis zu Ende nahm sie Partei für die Tendenz des Bundestags und der Mittel- ftaaten. Erst geberdete sie sich, als ob das pergamentnc Recht der Augusten- burgcr sacrosanet wäre, dann sollte das angebliche Recht der Schleswig-Holsteiner, ihre Zukunft selbst zu bestimmen, den Ausschlag geben. Die eigentliche Trieb¬ feder der Opposition gegen die Pläne, die Bismarck hier verfolgte und deren Conception und Ausführung beiläufig einst zu den schönsten Blättern seines Ruhmeskranzes gehören werden, war der bittre Haß gegen den Staatsmann, der ihr nicht den Willen that — ein Haß, dem die Betrachtung, daß man in Transalbingien einen Staat schaffen wollte, welcher am Bundestage bei jeder Gelegenheit gegen das Interesse und Bestreben Preußens gestimmt haben würde, gewiß nicht entgehen konnte, aber leicht wog. Als die Regierung sich anschickte, für die Herzogthümer Krieg zu führen, und zu dem Zwecke vom Landtage Geld verlangte, wurde ihr von der Fort¬ schrittspartei zugerufen: „Diesem Ministerium keinen Groschen!" Der Abgeordnete v. Sybel nannte das ministerielle Programm in Bezug auf Schleswig-Holstein die Ankündigung eines Selbstmordes. Der Abgeordnete Virchow wurde royalistisch und perorirte: „Mögen um die deutschen Fürsten die Principien der Legitimint

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/92>, abgerufen am 25.11.2024.