Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Fortschrittlicher Wahlschwindel.

sagen, sie hätten sich um den Einheitsgedanken verdient gemacht; denn die, welche
unmittelbar vor Bismarck den König beriethen, hätten schwerlich etwas von Be¬
deutung vollbracht; da die Liberalen den Ministerwechsel aber wider Willen her¬
beiführten, so können wir ihnen jenes Lob nicht oder nur ironisch ertheilen. Es
war dieselbe unbewußt gutes wirkende Blindheit, die später von der Vorsehung
über den Herzog von Augustenburg und den letzten Welfcnkönig zur Förderung
der nationalen Idee verhängt wurde.

Jene Opposition wurde unter Bihma rak fortgesetzt, hartnäckiger, verbissener,
giftiger als vorher, zuletzt mit einem Wahnsinn, der an Landesverrat!) streifte
und die bösartigsten Gedanken, Absichten und Hoffnungen reifen ließ. Am
liebsten hätte man statt eines starken Kriegsheeres eine bloße Miliz gehabt, während
mau doch große Pläne gegen Oesterreich und den Bundestag im Schilde führte,
oder vielmehr große Velleitäten ohne Zähne, Nichtigkeiten ohne Blut und Knochen,
ohne Schatten. "Vielleicht dachten sie die alte Welt mit dem Athem ihrer
Volksversammlungen umzublasen wie die Juden die Mauern Jerichos mit ihren
Trompeten -- mit dem Athem der Knoblauchsfresser, der die Luft verpestete,
als sie die schweißigen Mützen in die Höhe warfen und Coriolan mit Geschrei
verbannten."*) Ihre Blindheit wuchs mit ihrem Grimm, so daß sie bis zur
Katastrophe nicht sahen, um was es sich handelte, und daß sie bis zuletzt den
ärgsten Feinden der nationalen Hoffnungen das Wort redeten und in die Hände
arbeiteten. In allen Beziehungen bewegte sie lediglich das Bestreben, das Mi¬
nisterium zu stürzen und, ihr unfehlbares System in der Tasche, an dessen Stelle
zu gelangen. An Verbesserung der Stellung des preußischen Staates nach
außen hin, an Deutschland haben sie niemals gedacht, d. h. manchmal mit Decla-
mationen, nie ernstlich, nie als vernünftige Denker, und immer haben sie mit
ihrem Verhalten die Zwecke der auswärtigen Gegner nach Kräften gefördert.
Wie sie keine Armee oder nur eine von ihrem Belieben abhängige wollten, so
wollten sie auch keine Flotte, sie wollten die demokratische Regierungsform, deren
schöne Augen dann für Preußen in Deutschland das übrige thun sollten.

Blättern wir in alten Lcmdtagsacten und stellen wir daraus eine Blumen¬
lese von fortschrittlichen Behauptungen, Urtheilen und Weissagungen zusammen,
so wird man erstaunen über den Berg von Absurditäten, der auf dem hier be-
sprochnen Gebiete geleistet worden ist.

Im Januar 1863 ließ sich Herr v. Carlowitz vernehmen: "Ich bin der
Meinung, daß, was dieses Ministerium auf dem Gebiete der auswärtigen Politik
auch unternehmen möge, jede seiner Unternehmungen von vornherein mit Un¬
fruchtbarkeit geschlagen sein wird." Mehrere Stimmen riefen dazu: "Sehr wahr!"
Dann prophezeite der Redner, nachdem er beklagt, daß bei einem nicht liberalen
Regimente, wie das jetzige, an eine preußische Hegemonie in Deutschland nicht



*) Siehe die Worte des Menenius in Shakespeares Coriolan. IV. Act, 4. Scene.
Fortschrittlicher Wahlschwindel.

sagen, sie hätten sich um den Einheitsgedanken verdient gemacht; denn die, welche
unmittelbar vor Bismarck den König beriethen, hätten schwerlich etwas von Be¬
deutung vollbracht; da die Liberalen den Ministerwechsel aber wider Willen her¬
beiführten, so können wir ihnen jenes Lob nicht oder nur ironisch ertheilen. Es
war dieselbe unbewußt gutes wirkende Blindheit, die später von der Vorsehung
über den Herzog von Augustenburg und den letzten Welfcnkönig zur Förderung
der nationalen Idee verhängt wurde.

Jene Opposition wurde unter Bihma rak fortgesetzt, hartnäckiger, verbissener,
giftiger als vorher, zuletzt mit einem Wahnsinn, der an Landesverrat!) streifte
und die bösartigsten Gedanken, Absichten und Hoffnungen reifen ließ. Am
liebsten hätte man statt eines starken Kriegsheeres eine bloße Miliz gehabt, während
mau doch große Pläne gegen Oesterreich und den Bundestag im Schilde führte,
oder vielmehr große Velleitäten ohne Zähne, Nichtigkeiten ohne Blut und Knochen,
ohne Schatten. „Vielleicht dachten sie die alte Welt mit dem Athem ihrer
Volksversammlungen umzublasen wie die Juden die Mauern Jerichos mit ihren
Trompeten — mit dem Athem der Knoblauchsfresser, der die Luft verpestete,
als sie die schweißigen Mützen in die Höhe warfen und Coriolan mit Geschrei
verbannten."*) Ihre Blindheit wuchs mit ihrem Grimm, so daß sie bis zur
Katastrophe nicht sahen, um was es sich handelte, und daß sie bis zuletzt den
ärgsten Feinden der nationalen Hoffnungen das Wort redeten und in die Hände
arbeiteten. In allen Beziehungen bewegte sie lediglich das Bestreben, das Mi¬
nisterium zu stürzen und, ihr unfehlbares System in der Tasche, an dessen Stelle
zu gelangen. An Verbesserung der Stellung des preußischen Staates nach
außen hin, an Deutschland haben sie niemals gedacht, d. h. manchmal mit Decla-
mationen, nie ernstlich, nie als vernünftige Denker, und immer haben sie mit
ihrem Verhalten die Zwecke der auswärtigen Gegner nach Kräften gefördert.
Wie sie keine Armee oder nur eine von ihrem Belieben abhängige wollten, so
wollten sie auch keine Flotte, sie wollten die demokratische Regierungsform, deren
schöne Augen dann für Preußen in Deutschland das übrige thun sollten.

Blättern wir in alten Lcmdtagsacten und stellen wir daraus eine Blumen¬
lese von fortschrittlichen Behauptungen, Urtheilen und Weissagungen zusammen,
so wird man erstaunen über den Berg von Absurditäten, der auf dem hier be-
sprochnen Gebiete geleistet worden ist.

Im Januar 1863 ließ sich Herr v. Carlowitz vernehmen: „Ich bin der
Meinung, daß, was dieses Ministerium auf dem Gebiete der auswärtigen Politik
auch unternehmen möge, jede seiner Unternehmungen von vornherein mit Un¬
fruchtbarkeit geschlagen sein wird." Mehrere Stimmen riefen dazu: „Sehr wahr!"
Dann prophezeite der Redner, nachdem er beklagt, daß bei einem nicht liberalen
Regimente, wie das jetzige, an eine preußische Hegemonie in Deutschland nicht



*) Siehe die Worte des Menenius in Shakespeares Coriolan. IV. Act, 4. Scene.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150241"/>
          <fw type="header" place="top"> Fortschrittlicher Wahlschwindel.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_244" prev="#ID_243"> sagen, sie hätten sich um den Einheitsgedanken verdient gemacht; denn die, welche<lb/>
unmittelbar vor Bismarck den König beriethen, hätten schwerlich etwas von Be¬<lb/>
deutung vollbracht; da die Liberalen den Ministerwechsel aber wider Willen her¬<lb/>
beiführten, so können wir ihnen jenes Lob nicht oder nur ironisch ertheilen. Es<lb/>
war dieselbe unbewußt gutes wirkende Blindheit, die später von der Vorsehung<lb/>
über den Herzog von Augustenburg und den letzten Welfcnkönig zur Förderung<lb/>
der nationalen Idee verhängt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_245"> Jene Opposition wurde unter Bihma rak fortgesetzt, hartnäckiger, verbissener,<lb/>
giftiger als vorher, zuletzt mit einem Wahnsinn, der an Landesverrat!) streifte<lb/>
und die bösartigsten Gedanken, Absichten und Hoffnungen reifen ließ. Am<lb/>
liebsten hätte man statt eines starken Kriegsheeres eine bloße Miliz gehabt, während<lb/>
mau doch große Pläne gegen Oesterreich und den Bundestag im Schilde führte,<lb/>
oder vielmehr große Velleitäten ohne Zähne, Nichtigkeiten ohne Blut und Knochen,<lb/>
ohne Schatten. &#x201E;Vielleicht dachten sie die alte Welt mit dem Athem ihrer<lb/>
Volksversammlungen umzublasen wie die Juden die Mauern Jerichos mit ihren<lb/>
Trompeten &#x2014; mit dem Athem der Knoblauchsfresser, der die Luft verpestete,<lb/>
als sie die schweißigen Mützen in die Höhe warfen und Coriolan mit Geschrei<lb/>
verbannten."*) Ihre Blindheit wuchs mit ihrem Grimm, so daß sie bis zur<lb/>
Katastrophe nicht sahen, um was es sich handelte, und daß sie bis zuletzt den<lb/>
ärgsten Feinden der nationalen Hoffnungen das Wort redeten und in die Hände<lb/>
arbeiteten. In allen Beziehungen bewegte sie lediglich das Bestreben, das Mi¬<lb/>
nisterium zu stürzen und, ihr unfehlbares System in der Tasche, an dessen Stelle<lb/>
zu gelangen. An Verbesserung der Stellung des preußischen Staates nach<lb/>
außen hin, an Deutschland haben sie niemals gedacht, d. h. manchmal mit Decla-<lb/>
mationen, nie ernstlich, nie als vernünftige Denker, und immer haben sie mit<lb/>
ihrem Verhalten die Zwecke der auswärtigen Gegner nach Kräften gefördert.<lb/>
Wie sie keine Armee oder nur eine von ihrem Belieben abhängige wollten, so<lb/>
wollten sie auch keine Flotte, sie wollten die demokratische Regierungsform, deren<lb/>
schöne Augen dann für Preußen in Deutschland das übrige thun sollten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_246"> Blättern wir in alten Lcmdtagsacten und stellen wir daraus eine Blumen¬<lb/>
lese von fortschrittlichen Behauptungen, Urtheilen und Weissagungen zusammen,<lb/>
so wird man erstaunen über den Berg von Absurditäten, der auf dem hier be-<lb/>
sprochnen Gebiete geleistet worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_247" next="#ID_248"> Im Januar 1863 ließ sich Herr v. Carlowitz vernehmen: &#x201E;Ich bin der<lb/>
Meinung, daß, was dieses Ministerium auf dem Gebiete der auswärtigen Politik<lb/>
auch unternehmen möge, jede seiner Unternehmungen von vornherein mit Un¬<lb/>
fruchtbarkeit geschlagen sein wird." Mehrere Stimmen riefen dazu: &#x201E;Sehr wahr!"<lb/>
Dann prophezeite der Redner, nachdem er beklagt, daß bei einem nicht liberalen<lb/>
Regimente, wie das jetzige, an eine preußische Hegemonie in Deutschland nicht</p><lb/>
          <note xml:id="FID_11" place="foot"> *) Siehe die Worte des Menenius in Shakespeares Coriolan. IV. Act, 4. Scene.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0091] Fortschrittlicher Wahlschwindel. sagen, sie hätten sich um den Einheitsgedanken verdient gemacht; denn die, welche unmittelbar vor Bismarck den König beriethen, hätten schwerlich etwas von Be¬ deutung vollbracht; da die Liberalen den Ministerwechsel aber wider Willen her¬ beiführten, so können wir ihnen jenes Lob nicht oder nur ironisch ertheilen. Es war dieselbe unbewußt gutes wirkende Blindheit, die später von der Vorsehung über den Herzog von Augustenburg und den letzten Welfcnkönig zur Förderung der nationalen Idee verhängt wurde. Jene Opposition wurde unter Bihma rak fortgesetzt, hartnäckiger, verbissener, giftiger als vorher, zuletzt mit einem Wahnsinn, der an Landesverrat!) streifte und die bösartigsten Gedanken, Absichten und Hoffnungen reifen ließ. Am liebsten hätte man statt eines starken Kriegsheeres eine bloße Miliz gehabt, während mau doch große Pläne gegen Oesterreich und den Bundestag im Schilde führte, oder vielmehr große Velleitäten ohne Zähne, Nichtigkeiten ohne Blut und Knochen, ohne Schatten. „Vielleicht dachten sie die alte Welt mit dem Athem ihrer Volksversammlungen umzublasen wie die Juden die Mauern Jerichos mit ihren Trompeten — mit dem Athem der Knoblauchsfresser, der die Luft verpestete, als sie die schweißigen Mützen in die Höhe warfen und Coriolan mit Geschrei verbannten."*) Ihre Blindheit wuchs mit ihrem Grimm, so daß sie bis zur Katastrophe nicht sahen, um was es sich handelte, und daß sie bis zuletzt den ärgsten Feinden der nationalen Hoffnungen das Wort redeten und in die Hände arbeiteten. In allen Beziehungen bewegte sie lediglich das Bestreben, das Mi¬ nisterium zu stürzen und, ihr unfehlbares System in der Tasche, an dessen Stelle zu gelangen. An Verbesserung der Stellung des preußischen Staates nach außen hin, an Deutschland haben sie niemals gedacht, d. h. manchmal mit Decla- mationen, nie ernstlich, nie als vernünftige Denker, und immer haben sie mit ihrem Verhalten die Zwecke der auswärtigen Gegner nach Kräften gefördert. Wie sie keine Armee oder nur eine von ihrem Belieben abhängige wollten, so wollten sie auch keine Flotte, sie wollten die demokratische Regierungsform, deren schöne Augen dann für Preußen in Deutschland das übrige thun sollten. Blättern wir in alten Lcmdtagsacten und stellen wir daraus eine Blumen¬ lese von fortschrittlichen Behauptungen, Urtheilen und Weissagungen zusammen, so wird man erstaunen über den Berg von Absurditäten, der auf dem hier be- sprochnen Gebiete geleistet worden ist. Im Januar 1863 ließ sich Herr v. Carlowitz vernehmen: „Ich bin der Meinung, daß, was dieses Ministerium auf dem Gebiete der auswärtigen Politik auch unternehmen möge, jede seiner Unternehmungen von vornherein mit Un¬ fruchtbarkeit geschlagen sein wird." Mehrere Stimmen riefen dazu: „Sehr wahr!" Dann prophezeite der Redner, nachdem er beklagt, daß bei einem nicht liberalen Regimente, wie das jetzige, an eine preußische Hegemonie in Deutschland nicht *) Siehe die Worte des Menenius in Shakespeares Coriolan. IV. Act, 4. Scene.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/91
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/91>, abgerufen am 25.11.2024.