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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salon.

Wenn man nuf die Einzelheiten des Baudryschen Bildes eingeht, wird man
noch manches bewunderungswürdige finden, so namentlich die ungezwungne, der
Natur abgelauschte Positur des Knaben, der mit ausgespreizten Beinen daliegt,
wie ihn gerade der Schlaf übermannt hat, Bouguereau hat ein ähnliches Motiv
in seiner Visi-Zs oonsolÄtrios im Luxemburg verwerthet, wo ein todtes Kind zu
den Füßen der Madonna liegt. Aber ein Vergleich beider lehrt, um wie viel
großartiger und genialer Baudrys Behandlung ist als die des süßlichen Porzellan¬
malers, der auch im diesjährigen "Salon" durch eine höchst elegante Madonna
mit dem Kinde, welches von drei Engeln in den Schlaf musicirt wird, und einer
aus rosigem Seifenschaum gebornen Aurora, die, über einem Weiher schwebend,
eine schlanke <ü"1Ig. Mtnioxivg. wach küßt, vertreten ist. Was sich gegen Baudrys
Gemälde einwenden läßt, liegt im wesentlichen in der Eleganz und Zierlichkeit
der Frauen, die man etwas robuster, knochiger und weniger parfumirt gewünscht
Hütte, und an der theatralischen Pose der Gesammtheit. Aber was uns, objectiv
betrachtet, als eine Schwäche erscheint, wird für den Culturhistvriker zum Vor¬
zug, weil sich darin gewisse charakteristische Eigenthümlichkeiten eiuer Epoche
spiegeln.

In demselben Saale hängt ein Bild von der Hand eines bisher ganz
unbekannten jungen Malers, welches beinahe ebenso viel Aufsehen erregt hat
wie die Arbeit Baudrys, aus dem Grunde freilich, weil es der nationalen Eitelkeit
der Franzosen in nicht geringem Grade schmeichelt. Indessen sind auch die künst¬
lerischen Qualitäten des Bildes groß genug, um den Erfolg des Malers, G-
Bcrtrand, zu rechtfertigen. Eine Abtheilung französischer Kürassiere geleitet
am Abend der Schlacht ihren sterbenden Fahnenträger, der, sich noch aufrecht
auf dem Pferde erhaltend, die gerettete Fahne brünstig umklammert. Die düstre
und doch wieder gehobne Stimmung der Krieger, die, wenngleich besiegt, ihr
Ehrenzeichen geschützt haben, und die Schatten des Abends, welche sich auf die
Gruppe herabsenken, prägen dem Ganzen den Charakter tragischer Größe auf,
wenngleich gerade durch die melancholische, auf einen bestimmten Effect berechnete
Beleuchtung etwas opernhaftes in die Geschichte hineinkommt. Aber der fran¬
zösische Maler kann nun einmal von der Bühne nicht absehen. Ihm wie seinem
ganzen Volke steckt das Theater in allen Gliedern. Es ist das eine natürliche
Voraussetzung, die wir bei der Betrachtung eines jeden französischen Kunstwerkes
machen müssen. Ein Maler von der absoluten Naivetät eines Ludwig Richter
oder eines Defregger wäre in Frankreich unmöglich,

Bertrand nennt sein Bild kurz und bündig: ?g,trio! Daß die historischen
oder mythischen Kürassiere von Reichshvfen, die noch heute bei jeder großen
Revue kräftig applaudirt werden, obwohl kaum noch ein einziger von den Strei¬
tern von Wörth unter ihnen ist, das "Vaterland" ebensowenig gerettet haben
wie die Turkos und Zuaven, ist dem ruhmsüchtigsten Volke der Welt ganz gleich-
giltig. Sein Ehrgeiz, sein Patriotismus will nur einen Haken haben, an dem


Der Pariser Salon.

Wenn man nuf die Einzelheiten des Baudryschen Bildes eingeht, wird man
noch manches bewunderungswürdige finden, so namentlich die ungezwungne, der
Natur abgelauschte Positur des Knaben, der mit ausgespreizten Beinen daliegt,
wie ihn gerade der Schlaf übermannt hat, Bouguereau hat ein ähnliches Motiv
in seiner Visi-Zs oonsolÄtrios im Luxemburg verwerthet, wo ein todtes Kind zu
den Füßen der Madonna liegt. Aber ein Vergleich beider lehrt, um wie viel
großartiger und genialer Baudrys Behandlung ist als die des süßlichen Porzellan¬
malers, der auch im diesjährigen „Salon" durch eine höchst elegante Madonna
mit dem Kinde, welches von drei Engeln in den Schlaf musicirt wird, und einer
aus rosigem Seifenschaum gebornen Aurora, die, über einem Weiher schwebend,
eine schlanke <ü»1Ig. Mtnioxivg. wach küßt, vertreten ist. Was sich gegen Baudrys
Gemälde einwenden läßt, liegt im wesentlichen in der Eleganz und Zierlichkeit
der Frauen, die man etwas robuster, knochiger und weniger parfumirt gewünscht
Hütte, und an der theatralischen Pose der Gesammtheit. Aber was uns, objectiv
betrachtet, als eine Schwäche erscheint, wird für den Culturhistvriker zum Vor¬
zug, weil sich darin gewisse charakteristische Eigenthümlichkeiten eiuer Epoche
spiegeln.

In demselben Saale hängt ein Bild von der Hand eines bisher ganz
unbekannten jungen Malers, welches beinahe ebenso viel Aufsehen erregt hat
wie die Arbeit Baudrys, aus dem Grunde freilich, weil es der nationalen Eitelkeit
der Franzosen in nicht geringem Grade schmeichelt. Indessen sind auch die künst¬
lerischen Qualitäten des Bildes groß genug, um den Erfolg des Malers, G-
Bcrtrand, zu rechtfertigen. Eine Abtheilung französischer Kürassiere geleitet
am Abend der Schlacht ihren sterbenden Fahnenträger, der, sich noch aufrecht
auf dem Pferde erhaltend, die gerettete Fahne brünstig umklammert. Die düstre
und doch wieder gehobne Stimmung der Krieger, die, wenngleich besiegt, ihr
Ehrenzeichen geschützt haben, und die Schatten des Abends, welche sich auf die
Gruppe herabsenken, prägen dem Ganzen den Charakter tragischer Größe auf,
wenngleich gerade durch die melancholische, auf einen bestimmten Effect berechnete
Beleuchtung etwas opernhaftes in die Geschichte hineinkommt. Aber der fran¬
zösische Maler kann nun einmal von der Bühne nicht absehen. Ihm wie seinem
ganzen Volke steckt das Theater in allen Gliedern. Es ist das eine natürliche
Voraussetzung, die wir bei der Betrachtung eines jeden französischen Kunstwerkes
machen müssen. Ein Maler von der absoluten Naivetät eines Ludwig Richter
oder eines Defregger wäre in Frankreich unmöglich,

Bertrand nennt sein Bild kurz und bündig: ?g,trio! Daß die historischen
oder mythischen Kürassiere von Reichshvfen, die noch heute bei jeder großen
Revue kräftig applaudirt werden, obwohl kaum noch ein einziger von den Strei¬
tern von Wörth unter ihnen ist, das „Vaterland" ebensowenig gerettet haben
wie die Turkos und Zuaven, ist dem ruhmsüchtigsten Volke der Welt ganz gleich-
giltig. Sein Ehrgeiz, sein Patriotismus will nur einen Haken haben, an dem


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[0084] Der Pariser Salon. Wenn man nuf die Einzelheiten des Baudryschen Bildes eingeht, wird man noch manches bewunderungswürdige finden, so namentlich die ungezwungne, der Natur abgelauschte Positur des Knaben, der mit ausgespreizten Beinen daliegt, wie ihn gerade der Schlaf übermannt hat, Bouguereau hat ein ähnliches Motiv in seiner Visi-Zs oonsolÄtrios im Luxemburg verwerthet, wo ein todtes Kind zu den Füßen der Madonna liegt. Aber ein Vergleich beider lehrt, um wie viel großartiger und genialer Baudrys Behandlung ist als die des süßlichen Porzellan¬ malers, der auch im diesjährigen „Salon" durch eine höchst elegante Madonna mit dem Kinde, welches von drei Engeln in den Schlaf musicirt wird, und einer aus rosigem Seifenschaum gebornen Aurora, die, über einem Weiher schwebend, eine schlanke <ü»1Ig. Mtnioxivg. wach küßt, vertreten ist. Was sich gegen Baudrys Gemälde einwenden läßt, liegt im wesentlichen in der Eleganz und Zierlichkeit der Frauen, die man etwas robuster, knochiger und weniger parfumirt gewünscht Hütte, und an der theatralischen Pose der Gesammtheit. Aber was uns, objectiv betrachtet, als eine Schwäche erscheint, wird für den Culturhistvriker zum Vor¬ zug, weil sich darin gewisse charakteristische Eigenthümlichkeiten eiuer Epoche spiegeln. In demselben Saale hängt ein Bild von der Hand eines bisher ganz unbekannten jungen Malers, welches beinahe ebenso viel Aufsehen erregt hat wie die Arbeit Baudrys, aus dem Grunde freilich, weil es der nationalen Eitelkeit der Franzosen in nicht geringem Grade schmeichelt. Indessen sind auch die künst¬ lerischen Qualitäten des Bildes groß genug, um den Erfolg des Malers, G- Bcrtrand, zu rechtfertigen. Eine Abtheilung französischer Kürassiere geleitet am Abend der Schlacht ihren sterbenden Fahnenträger, der, sich noch aufrecht auf dem Pferde erhaltend, die gerettete Fahne brünstig umklammert. Die düstre und doch wieder gehobne Stimmung der Krieger, die, wenngleich besiegt, ihr Ehrenzeichen geschützt haben, und die Schatten des Abends, welche sich auf die Gruppe herabsenken, prägen dem Ganzen den Charakter tragischer Größe auf, wenngleich gerade durch die melancholische, auf einen bestimmten Effect berechnete Beleuchtung etwas opernhaftes in die Geschichte hineinkommt. Aber der fran¬ zösische Maler kann nun einmal von der Bühne nicht absehen. Ihm wie seinem ganzen Volke steckt das Theater in allen Gliedern. Es ist das eine natürliche Voraussetzung, die wir bei der Betrachtung eines jeden französischen Kunstwerkes machen müssen. Ein Maler von der absoluten Naivetät eines Ludwig Richter oder eines Defregger wäre in Frankreich unmöglich, Bertrand nennt sein Bild kurz und bündig: ?g,trio! Daß die historischen oder mythischen Kürassiere von Reichshvfen, die noch heute bei jeder großen Revue kräftig applaudirt werden, obwohl kaum noch ein einziger von den Strei¬ tern von Wörth unter ihnen ist, das „Vaterland" ebensowenig gerettet haben wie die Turkos und Zuaven, ist dem ruhmsüchtigsten Volke der Welt ganz gleich- giltig. Sein Ehrgeiz, sein Patriotismus will nur einen Haken haben, an dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/84>, abgerufen am 01.09.2024.