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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

componistcn muß Grieg die Herrschaft mit andern theilen; Lindblnd und nament¬
lich Kjerulf werden von den engern Landsleuten Griegs in demselben Maße
geschätzt wie er selbst. In der deutschen Kunsimusik dasselbe eingeführt zu haben,
ist aber seine specielle Ehre. Grieg ist mit dem scandinavischen nicht in dem¬
selben Grade verwachsen wie z. B, mit dem Böhmischen Dvorak, der auch Lieder
veröffentlicht hat. Die Anklänge an die Heimat treten bei ihm hervor wie Jugend-
erinnerungen, wie neu erwachende Eindrücke des Volkslebens, mit welchem er
in Berührung ist. Grieg ist in erster Linie ein fertiger Künstler. Wenn seine
Melodie sich hie und da auf der Septime festsetzt, wenn sich in seine Declamation
ein Stückchen Volkslied mischt, wenn der Gesang von Spiel- und Tanzweisen
unterbrochen wird, so geschieht das nicht um den Schweden zu zeigen, sondern
unwillkürlich. Seine Mischung von künstlerisch individuellem und vvlksmäßig
naturfrischem hat ganz den Reiz des Organischen und Unbeabsichtigten und giebt
der Form seiner Gesänge eine ballndenartige Lebendigkeit. Eigen ist Grieg in
der Darstellung eines gewissen beschränkten Gefühlslebens. Die Peterssche
Sammlung seiner Lieder enthält ein "Wiegenlied," das der Vater der kleinen
Waise singt, und eine "Todtenklnge", die ein Mann aus dem untern Volle um
seine Gattin erhebt, welche dies jedem sofort klar machen werden. Alle Künste,
die Poesie, die Malerei, zuletzt auch die Bildhauerei haben in unserm Jahrhundert
im Kleinleben einen lange Zeit unbenützten und sehr dankbaren Stoff ergriffen.
Sunnnirt man einst das alles zusammen, so werden jene Lieder Griegs unter
dem musikalischen Beitrag nicht fehlen dürfen. Wenn sich die Eklektiker unter
den gegenwärtigenLicdercvmponisten -- dergewandeste und geistvollste ist Ludwig
Hartmann -- des scandinavischen Elementes mittlerweile bemächtigt haben, so
ist dies nicht zum kleinsten Theil auf Griegs Erfolg zurückzuführen.

Neben Grieg finden wir etliche jüngere Komponisten, die mit einem einzelnen
Liede einen Treffer gethan und Hoffnung erregt haben. So z. B. Julius Kniese
mit einem weichen Volksliede- "Robim Adcur", Karl Piutti mit einer aufregenden
deelamatorischen Composition des Kellcrschen Gedichtes "Die Nixe", HcmsSchmitt
mit einer frischen, kräftigen Kleinigkeit "Im Volkston." Einem, Hermann
Riedel, der auch die Scheffelschen Trvmpcterliedcr componirt hat, sind die
Lieder der Margarethe unübertrefflich gelungen. Man kann ein nervöses, aber
liebenswürdiges Mädchen musikalisch schwerlich besser zeichnen, als es Riedel
gethan hat. Bei Heinrich Hofmann haben, wie alles von ihm gefällig klingt,
so auch seine Lieder diesen Reiz als hervorstechende Eigenschaft. Poetische Züge
entwickelt er am schönsten, wenn er sich einer Reise- oder einer Abendstimmung und
ähnlichen bürgerlichen Allgemcingefühlen hingiebt. Er und L. Schloßmann sind
unter den jetzigen Berliner Liedercvmponisten die gesuchtesten. August Bungert
kann vielleicht uoch einmal im Liede ein Herrscher werden. Seine frühern Lieder
nöthigen nnr Achtung ab. In Opus 12 schlägt er aber plötzlich einen Natnrton
an, der ihm allgemeines Gehör verschaffen muß, wenn er nicht wieder abbricht.


Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

componistcn muß Grieg die Herrschaft mit andern theilen; Lindblnd und nament¬
lich Kjerulf werden von den engern Landsleuten Griegs in demselben Maße
geschätzt wie er selbst. In der deutschen Kunsimusik dasselbe eingeführt zu haben,
ist aber seine specielle Ehre. Grieg ist mit dem scandinavischen nicht in dem¬
selben Grade verwachsen wie z. B, mit dem Böhmischen Dvorak, der auch Lieder
veröffentlicht hat. Die Anklänge an die Heimat treten bei ihm hervor wie Jugend-
erinnerungen, wie neu erwachende Eindrücke des Volkslebens, mit welchem er
in Berührung ist. Grieg ist in erster Linie ein fertiger Künstler. Wenn seine
Melodie sich hie und da auf der Septime festsetzt, wenn sich in seine Declamation
ein Stückchen Volkslied mischt, wenn der Gesang von Spiel- und Tanzweisen
unterbrochen wird, so geschieht das nicht um den Schweden zu zeigen, sondern
unwillkürlich. Seine Mischung von künstlerisch individuellem und vvlksmäßig
naturfrischem hat ganz den Reiz des Organischen und Unbeabsichtigten und giebt
der Form seiner Gesänge eine ballndenartige Lebendigkeit. Eigen ist Grieg in
der Darstellung eines gewissen beschränkten Gefühlslebens. Die Peterssche
Sammlung seiner Lieder enthält ein „Wiegenlied," das der Vater der kleinen
Waise singt, und eine „Todtenklnge", die ein Mann aus dem untern Volle um
seine Gattin erhebt, welche dies jedem sofort klar machen werden. Alle Künste,
die Poesie, die Malerei, zuletzt auch die Bildhauerei haben in unserm Jahrhundert
im Kleinleben einen lange Zeit unbenützten und sehr dankbaren Stoff ergriffen.
Sunnnirt man einst das alles zusammen, so werden jene Lieder Griegs unter
dem musikalischen Beitrag nicht fehlen dürfen. Wenn sich die Eklektiker unter
den gegenwärtigenLicdercvmponisten — dergewandeste und geistvollste ist Ludwig
Hartmann — des scandinavischen Elementes mittlerweile bemächtigt haben, so
ist dies nicht zum kleinsten Theil auf Griegs Erfolg zurückzuführen.

Neben Grieg finden wir etliche jüngere Komponisten, die mit einem einzelnen
Liede einen Treffer gethan und Hoffnung erregt haben. So z. B. Julius Kniese
mit einem weichen Volksliede- „Robim Adcur", Karl Piutti mit einer aufregenden
deelamatorischen Composition des Kellcrschen Gedichtes „Die Nixe", HcmsSchmitt
mit einer frischen, kräftigen Kleinigkeit „Im Volkston." Einem, Hermann
Riedel, der auch die Scheffelschen Trvmpcterliedcr componirt hat, sind die
Lieder der Margarethe unübertrefflich gelungen. Man kann ein nervöses, aber
liebenswürdiges Mädchen musikalisch schwerlich besser zeichnen, als es Riedel
gethan hat. Bei Heinrich Hofmann haben, wie alles von ihm gefällig klingt,
so auch seine Lieder diesen Reiz als hervorstechende Eigenschaft. Poetische Züge
entwickelt er am schönsten, wenn er sich einer Reise- oder einer Abendstimmung und
ähnlichen bürgerlichen Allgemcingefühlen hingiebt. Er und L. Schloßmann sind
unter den jetzigen Berliner Liedercvmponisten die gesuchtesten. August Bungert
kann vielleicht uoch einmal im Liede ein Herrscher werden. Seine frühern Lieder
nöthigen nnr Achtung ab. In Opus 12 schlägt er aber plötzlich einen Natnrton
an, der ihm allgemeines Gehör verschaffen muß, wenn er nicht wieder abbricht.


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[0078] Das deutsche Lied seit Robert Schumann. componistcn muß Grieg die Herrschaft mit andern theilen; Lindblnd und nament¬ lich Kjerulf werden von den engern Landsleuten Griegs in demselben Maße geschätzt wie er selbst. In der deutschen Kunsimusik dasselbe eingeführt zu haben, ist aber seine specielle Ehre. Grieg ist mit dem scandinavischen nicht in dem¬ selben Grade verwachsen wie z. B, mit dem Böhmischen Dvorak, der auch Lieder veröffentlicht hat. Die Anklänge an die Heimat treten bei ihm hervor wie Jugend- erinnerungen, wie neu erwachende Eindrücke des Volkslebens, mit welchem er in Berührung ist. Grieg ist in erster Linie ein fertiger Künstler. Wenn seine Melodie sich hie und da auf der Septime festsetzt, wenn sich in seine Declamation ein Stückchen Volkslied mischt, wenn der Gesang von Spiel- und Tanzweisen unterbrochen wird, so geschieht das nicht um den Schweden zu zeigen, sondern unwillkürlich. Seine Mischung von künstlerisch individuellem und vvlksmäßig naturfrischem hat ganz den Reiz des Organischen und Unbeabsichtigten und giebt der Form seiner Gesänge eine ballndenartige Lebendigkeit. Eigen ist Grieg in der Darstellung eines gewissen beschränkten Gefühlslebens. Die Peterssche Sammlung seiner Lieder enthält ein „Wiegenlied," das der Vater der kleinen Waise singt, und eine „Todtenklnge", die ein Mann aus dem untern Volle um seine Gattin erhebt, welche dies jedem sofort klar machen werden. Alle Künste, die Poesie, die Malerei, zuletzt auch die Bildhauerei haben in unserm Jahrhundert im Kleinleben einen lange Zeit unbenützten und sehr dankbaren Stoff ergriffen. Sunnnirt man einst das alles zusammen, so werden jene Lieder Griegs unter dem musikalischen Beitrag nicht fehlen dürfen. Wenn sich die Eklektiker unter den gegenwärtigenLicdercvmponisten — dergewandeste und geistvollste ist Ludwig Hartmann — des scandinavischen Elementes mittlerweile bemächtigt haben, so ist dies nicht zum kleinsten Theil auf Griegs Erfolg zurückzuführen. Neben Grieg finden wir etliche jüngere Komponisten, die mit einem einzelnen Liede einen Treffer gethan und Hoffnung erregt haben. So z. B. Julius Kniese mit einem weichen Volksliede- „Robim Adcur", Karl Piutti mit einer aufregenden deelamatorischen Composition des Kellcrschen Gedichtes „Die Nixe", HcmsSchmitt mit einer frischen, kräftigen Kleinigkeit „Im Volkston." Einem, Hermann Riedel, der auch die Scheffelschen Trvmpcterliedcr componirt hat, sind die Lieder der Margarethe unübertrefflich gelungen. Man kann ein nervöses, aber liebenswürdiges Mädchen musikalisch schwerlich besser zeichnen, als es Riedel gethan hat. Bei Heinrich Hofmann haben, wie alles von ihm gefällig klingt, so auch seine Lieder diesen Reiz als hervorstechende Eigenschaft. Poetische Züge entwickelt er am schönsten, wenn er sich einer Reise- oder einer Abendstimmung und ähnlichen bürgerlichen Allgemcingefühlen hingiebt. Er und L. Schloßmann sind unter den jetzigen Berliner Liedercvmponisten die gesuchtesten. August Bungert kann vielleicht uoch einmal im Liede ein Herrscher werden. Seine frühern Lieder nöthigen nnr Achtung ab. In Opus 12 schlägt er aber plötzlich einen Natnrton an, der ihm allgemeines Gehör verschaffen muß, wenn er nicht wieder abbricht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/78>, abgerufen am 01.09.2024.