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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

diese Lieder geschrieben hat, ehe noch jemand außer Wagner eine Note vom
"Triften" kannte. Dasselbe kann der Fall sein mit Leopold Damrosch, der
in seinem hochbedeutenden Gesänge "Ich denke Dein" ebenfalls solche Wendungen
hat, die ich der Kürze halber mit dem "Triften" in Verbindung gesetzt habe. Das
Talent Damroschs ist im höchsten Grade anziehend bei graziösen, heitern und
neckischen Stoffen. Die Mischung von freundlicher Anmuth und Vornehmheit,
die ihm zu Gebote steht, macht seine Lieder in einem ganz besondern Grade
liebenswürdig. Er versteht, was nnr Naturen von einem höhern Schlage ge¬
geben ist, populär zu sein ohne jede Annäherung an das Gewöhnliche. Man
fühlt sich bei diesen freundlichen, phantasievollen Liedern eines durchaus feinen
Umgangs sicher. Wenn man etwas daran aussetzen will, so ist es die That¬
sache, daß man ab und zu auf eine überflüssige und störende Harmonienote stößt.
Darüber wird der Komponist, welcher heute im amerikanischen Musikleben die
hervorragendste Stellung einnimmt, inzwischen weggekommen sein. Hoffentlich
hat er des Taetstocks halber nicht ganz die Notenfeder vergessen.

Wenn wir bei den am meisten gesungnen Liedercomponisten unsrer Zeit,
bei Abt, Gumbert und Kücken nicht weiter verweilen, so geschieht das, weil hier
auf nichts aufmerksam zu machen ist, was nicht schon jedermann wüßte. Keines¬
falls theilen wir ohne weitres die geringschätzende Meinung, mit der besonders
in den Kreisen jüngerer Musiker der Leistungen jener Männer gedacht zu werden
pflegt. Abt hat im neckischen Genre unbedingt reizende Lieder geschrieben, wie
den "Schmetterling," Gumbert manches Lied mit charakteristischem Ausdruck.
Aber was auch von diesen Herren gekommen ist, Besseres und Geringeres, es
hat doch alles eine fertige musikalische Form und Anstand für sich. In Anbe¬
tracht der Thatsache, daß es immer Schichten geben wird, deren Musikbedürfniß
nicht über die niedrigsten äußerlichen Ansprüche hinausgeht, muß man auch solche
Männer gelten lassen. Sie erheben sich geradezu zu einer gewissen Größe, wenn
man an die dilettantische Stümperei der Leute denkt, die jetzt bereits den Ver¬
such machen, die Geschästsnachfolger der berühmten Trias zu werden. Nur
Presset, der Komponist des Liedes "An die Weser," erhebt sich über das Gros.

Wir kommen nun zu den jüngern Tousetzern. Sie alle tummeln sich rüstig
im Liederhain, ja die jungen Musiker Pflegen so ohne Ausnahme ein paar Lieder
drucken zu lassen, daß man, wenn man praktisch verfahren will, nicht fragen
darf: Wer hat Lieder geschrieben, sondern: Wer hat keine Lieder geschrieben?
Svendsen ist einer von den wenigen, die jedenfalls keine haben drucken lassen.
Dafür ist sein Landsmann, der Norweger Edvard Grieg, eine erste Größe auf
dem Liedergebiet. Er ist der einzige unter den jungen Tonsetzern, über den sich
bereits jetzt ein abschließendes Urtheil als Liedercomponisten geben läßt und der
sich eine bleibende Stellung gesichert hat. Er ist es, welcher das scandinavische
Element im heutigen Liede ungefähr in derselben Bedeutung vertritt, wie es
Gabe seiner Zeit im Instrumentalen gethan hat. Unter den schwedischen Lieder-


Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

diese Lieder geschrieben hat, ehe noch jemand außer Wagner eine Note vom
„Triften" kannte. Dasselbe kann der Fall sein mit Leopold Damrosch, der
in seinem hochbedeutenden Gesänge „Ich denke Dein" ebenfalls solche Wendungen
hat, die ich der Kürze halber mit dem „Triften" in Verbindung gesetzt habe. Das
Talent Damroschs ist im höchsten Grade anziehend bei graziösen, heitern und
neckischen Stoffen. Die Mischung von freundlicher Anmuth und Vornehmheit,
die ihm zu Gebote steht, macht seine Lieder in einem ganz besondern Grade
liebenswürdig. Er versteht, was nnr Naturen von einem höhern Schlage ge¬
geben ist, populär zu sein ohne jede Annäherung an das Gewöhnliche. Man
fühlt sich bei diesen freundlichen, phantasievollen Liedern eines durchaus feinen
Umgangs sicher. Wenn man etwas daran aussetzen will, so ist es die That¬
sache, daß man ab und zu auf eine überflüssige und störende Harmonienote stößt.
Darüber wird der Komponist, welcher heute im amerikanischen Musikleben die
hervorragendste Stellung einnimmt, inzwischen weggekommen sein. Hoffentlich
hat er des Taetstocks halber nicht ganz die Notenfeder vergessen.

Wenn wir bei den am meisten gesungnen Liedercomponisten unsrer Zeit,
bei Abt, Gumbert und Kücken nicht weiter verweilen, so geschieht das, weil hier
auf nichts aufmerksam zu machen ist, was nicht schon jedermann wüßte. Keines¬
falls theilen wir ohne weitres die geringschätzende Meinung, mit der besonders
in den Kreisen jüngerer Musiker der Leistungen jener Männer gedacht zu werden
pflegt. Abt hat im neckischen Genre unbedingt reizende Lieder geschrieben, wie
den „Schmetterling," Gumbert manches Lied mit charakteristischem Ausdruck.
Aber was auch von diesen Herren gekommen ist, Besseres und Geringeres, es
hat doch alles eine fertige musikalische Form und Anstand für sich. In Anbe¬
tracht der Thatsache, daß es immer Schichten geben wird, deren Musikbedürfniß
nicht über die niedrigsten äußerlichen Ansprüche hinausgeht, muß man auch solche
Männer gelten lassen. Sie erheben sich geradezu zu einer gewissen Größe, wenn
man an die dilettantische Stümperei der Leute denkt, die jetzt bereits den Ver¬
such machen, die Geschästsnachfolger der berühmten Trias zu werden. Nur
Presset, der Komponist des Liedes „An die Weser," erhebt sich über das Gros.

Wir kommen nun zu den jüngern Tousetzern. Sie alle tummeln sich rüstig
im Liederhain, ja die jungen Musiker Pflegen so ohne Ausnahme ein paar Lieder
drucken zu lassen, daß man, wenn man praktisch verfahren will, nicht fragen
darf: Wer hat Lieder geschrieben, sondern: Wer hat keine Lieder geschrieben?
Svendsen ist einer von den wenigen, die jedenfalls keine haben drucken lassen.
Dafür ist sein Landsmann, der Norweger Edvard Grieg, eine erste Größe auf
dem Liedergebiet. Er ist der einzige unter den jungen Tonsetzern, über den sich
bereits jetzt ein abschließendes Urtheil als Liedercomponisten geben läßt und der
sich eine bleibende Stellung gesichert hat. Er ist es, welcher das scandinavische
Element im heutigen Liede ungefähr in derselben Bedeutung vertritt, wie es
Gabe seiner Zeit im Instrumentalen gethan hat. Unter den schwedischen Lieder-


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[0077] Das deutsche Lied seit Robert Schumann. diese Lieder geschrieben hat, ehe noch jemand außer Wagner eine Note vom „Triften" kannte. Dasselbe kann der Fall sein mit Leopold Damrosch, der in seinem hochbedeutenden Gesänge „Ich denke Dein" ebenfalls solche Wendungen hat, die ich der Kürze halber mit dem „Triften" in Verbindung gesetzt habe. Das Talent Damroschs ist im höchsten Grade anziehend bei graziösen, heitern und neckischen Stoffen. Die Mischung von freundlicher Anmuth und Vornehmheit, die ihm zu Gebote steht, macht seine Lieder in einem ganz besondern Grade liebenswürdig. Er versteht, was nnr Naturen von einem höhern Schlage ge¬ geben ist, populär zu sein ohne jede Annäherung an das Gewöhnliche. Man fühlt sich bei diesen freundlichen, phantasievollen Liedern eines durchaus feinen Umgangs sicher. Wenn man etwas daran aussetzen will, so ist es die That¬ sache, daß man ab und zu auf eine überflüssige und störende Harmonienote stößt. Darüber wird der Komponist, welcher heute im amerikanischen Musikleben die hervorragendste Stellung einnimmt, inzwischen weggekommen sein. Hoffentlich hat er des Taetstocks halber nicht ganz die Notenfeder vergessen. Wenn wir bei den am meisten gesungnen Liedercomponisten unsrer Zeit, bei Abt, Gumbert und Kücken nicht weiter verweilen, so geschieht das, weil hier auf nichts aufmerksam zu machen ist, was nicht schon jedermann wüßte. Keines¬ falls theilen wir ohne weitres die geringschätzende Meinung, mit der besonders in den Kreisen jüngerer Musiker der Leistungen jener Männer gedacht zu werden pflegt. Abt hat im neckischen Genre unbedingt reizende Lieder geschrieben, wie den „Schmetterling," Gumbert manches Lied mit charakteristischem Ausdruck. Aber was auch von diesen Herren gekommen ist, Besseres und Geringeres, es hat doch alles eine fertige musikalische Form und Anstand für sich. In Anbe¬ tracht der Thatsache, daß es immer Schichten geben wird, deren Musikbedürfniß nicht über die niedrigsten äußerlichen Ansprüche hinausgeht, muß man auch solche Männer gelten lassen. Sie erheben sich geradezu zu einer gewissen Größe, wenn man an die dilettantische Stümperei der Leute denkt, die jetzt bereits den Ver¬ such machen, die Geschästsnachfolger der berühmten Trias zu werden. Nur Presset, der Komponist des Liedes „An die Weser," erhebt sich über das Gros. Wir kommen nun zu den jüngern Tousetzern. Sie alle tummeln sich rüstig im Liederhain, ja die jungen Musiker Pflegen so ohne Ausnahme ein paar Lieder drucken zu lassen, daß man, wenn man praktisch verfahren will, nicht fragen darf: Wer hat Lieder geschrieben, sondern: Wer hat keine Lieder geschrieben? Svendsen ist einer von den wenigen, die jedenfalls keine haben drucken lassen. Dafür ist sein Landsmann, der Norweger Edvard Grieg, eine erste Größe auf dem Liedergebiet. Er ist der einzige unter den jungen Tonsetzern, über den sich bereits jetzt ein abschließendes Urtheil als Liedercomponisten geben läßt und der sich eine bleibende Stellung gesichert hat. Er ist es, welcher das scandinavische Element im heutigen Liede ungefähr in derselben Bedeutung vertritt, wie es Gabe seiner Zeit im Instrumentalen gethan hat. Unter den schwedischen Lieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/77>, abgerufen am 01.09.2024.