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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

Bändchen seiner Gedichte ist bei Heckenast in Pest erschienen, manche Nummern
desselben sind von andern Componisten (Lassen, Lißzt) componirt worden. Von
seinen Compositionen sind vielleicht die "Weihnachtslieder" am bekanntesten und
am besten geeignet, die Frcnndschcift mit diesem originellen und liebenswürdigen
Geiste zu vermittelt?.

Leider ist Cornelius nicht sehr alt geworden. Im Jahre 1824 geboren,
starb er im Jahre 1874 als Lehrer an der königlichen Musikschule zu München.
Doch hat er wenigstens das Mannesalter erreicht. Zwei andre Liedercvmpo-
uisten aber, von denen die Kunst sehr viel zu erwarten hatte, wurden ihr schon
als Jünglinge entrissen. Es sind Hugo Brttckler und Wilhelm Claußen.
Jeder von beiden hat nur zwei Hefte veröffentlichen können, aber darin ist so
viel schönes, daß ihre Namen nicht vergessen werden dürfen. Brückler com-
ponirte die Lieder aus Scheffels "Trompeter von Säkkingen." Man möchte
sagen: "auch" Brttckler, denn diese Gedichte scheinen unsern jungen Componisten
fast zu einem obligaten Pensum geworden zu sein. Brückler hat mit einzelnen
deit Vogel abgeschossen und gewinnt sich jeden zum Freunde, der für echtes
Musikantenblut ein Verständniß hat. Denn dies rollt darin. Die Lieder sind
zum Theil mit einer Einfachheit und Leichtigkeit geschrieben, die ihnen etwas
volksthümliches giebt und treffen dabei doch den Ernst, wo er in der Dichtung
liegt, in tiefer und interessanter Art. Das Anziehendste des ganzen Cyklus ist
das erste: "Als ich zum ersten Mal Dich sah." In diesem liegt die Trompeter-
Poesie so nett und keck da, daß sie jeder mit Händen greifen kann. Ein reines
Pvstillvnmotiv leitet den Gesang ein und umschwebt die langen Noten. Im
zweiten Hefte ist es die Anfangsnnmmer "Liudduftig hält die Maiennacht", der
man den Preis geben wird. In der Begleitung fällt sie etwas ans dem naiven
Tone, deu Brückler sonst so gelungen für seinen Trompeter durchführt. Während
Brückler in die Welt keck und geradezu hineinsieht, ist Claußen mehr eineTräumer-
uatur, die mit halbgeschlossncm Ange dahinwandelt. Ob er nach den Sternen
blickt, ob auf das Schilf, das am Weiher steht, was er auch singt, immer thut
er es mit einer Melancholie, die uns anzieht und rührt, weil sie so ungesucht
ist. Sie muß tief im Wesen des Künstlers begründet gewesen sein, dessen Jngend
durch Kränklichkeit getrübt war. Wir sehen in den Liedern den Kampf gegen
das Schicksal, ohne daß der Componist es wollte. Er war ein origineller Mu¬
siker, geschickt und im Besitze einer selbständigen Ausdrucksweise, und kein Zweifel,
wer seine Lieder kennen lernt, wird sie zu dem Besten und Fesselndsten zählen,
was man in der neuern Liederliteratur finden kann.

Da wir gerade bei Talenten verweilen, die das nicht gefunden haben, was
sie verdienten, so wollen wir gleich noch Hugo Ulrich nureiheu. Bekannt ist
er als Bearbeiter und durch seine vierhändigen Arrangements classischer Orchester¬
werke. Mancher Musikfreund weiß vielleicht auch das noch von ihm, daß er
zwei Sinfonien geschrieben hat, deren erste (Solonis triompliitlö) in den fünf-


Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

Bändchen seiner Gedichte ist bei Heckenast in Pest erschienen, manche Nummern
desselben sind von andern Componisten (Lassen, Lißzt) componirt worden. Von
seinen Compositionen sind vielleicht die „Weihnachtslieder" am bekanntesten und
am besten geeignet, die Frcnndschcift mit diesem originellen und liebenswürdigen
Geiste zu vermittelt?.

Leider ist Cornelius nicht sehr alt geworden. Im Jahre 1824 geboren,
starb er im Jahre 1874 als Lehrer an der königlichen Musikschule zu München.
Doch hat er wenigstens das Mannesalter erreicht. Zwei andre Liedercvmpo-
uisten aber, von denen die Kunst sehr viel zu erwarten hatte, wurden ihr schon
als Jünglinge entrissen. Es sind Hugo Brttckler und Wilhelm Claußen.
Jeder von beiden hat nur zwei Hefte veröffentlichen können, aber darin ist so
viel schönes, daß ihre Namen nicht vergessen werden dürfen. Brückler com-
ponirte die Lieder aus Scheffels „Trompeter von Säkkingen." Man möchte
sagen: „auch" Brttckler, denn diese Gedichte scheinen unsern jungen Componisten
fast zu einem obligaten Pensum geworden zu sein. Brückler hat mit einzelnen
deit Vogel abgeschossen und gewinnt sich jeden zum Freunde, der für echtes
Musikantenblut ein Verständniß hat. Denn dies rollt darin. Die Lieder sind
zum Theil mit einer Einfachheit und Leichtigkeit geschrieben, die ihnen etwas
volksthümliches giebt und treffen dabei doch den Ernst, wo er in der Dichtung
liegt, in tiefer und interessanter Art. Das Anziehendste des ganzen Cyklus ist
das erste: „Als ich zum ersten Mal Dich sah." In diesem liegt die Trompeter-
Poesie so nett und keck da, daß sie jeder mit Händen greifen kann. Ein reines
Pvstillvnmotiv leitet den Gesang ein und umschwebt die langen Noten. Im
zweiten Hefte ist es die Anfangsnnmmer „Liudduftig hält die Maiennacht", der
man den Preis geben wird. In der Begleitung fällt sie etwas ans dem naiven
Tone, deu Brückler sonst so gelungen für seinen Trompeter durchführt. Während
Brückler in die Welt keck und geradezu hineinsieht, ist Claußen mehr eineTräumer-
uatur, die mit halbgeschlossncm Ange dahinwandelt. Ob er nach den Sternen
blickt, ob auf das Schilf, das am Weiher steht, was er auch singt, immer thut
er es mit einer Melancholie, die uns anzieht und rührt, weil sie so ungesucht
ist. Sie muß tief im Wesen des Künstlers begründet gewesen sein, dessen Jngend
durch Kränklichkeit getrübt war. Wir sehen in den Liedern den Kampf gegen
das Schicksal, ohne daß der Componist es wollte. Er war ein origineller Mu¬
siker, geschickt und im Besitze einer selbständigen Ausdrucksweise, und kein Zweifel,
wer seine Lieder kennen lernt, wird sie zu dem Besten und Fesselndsten zählen,
was man in der neuern Liederliteratur finden kann.

Da wir gerade bei Talenten verweilen, die das nicht gefunden haben, was
sie verdienten, so wollen wir gleich noch Hugo Ulrich nureiheu. Bekannt ist
er als Bearbeiter und durch seine vierhändigen Arrangements classischer Orchester¬
werke. Mancher Musikfreund weiß vielleicht auch das noch von ihm, daß er
zwei Sinfonien geschrieben hat, deren erste (Solonis triompliitlö) in den fünf-


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[0075] Das deutsche Lied seit Robert Schumann. Bändchen seiner Gedichte ist bei Heckenast in Pest erschienen, manche Nummern desselben sind von andern Componisten (Lassen, Lißzt) componirt worden. Von seinen Compositionen sind vielleicht die „Weihnachtslieder" am bekanntesten und am besten geeignet, die Frcnndschcift mit diesem originellen und liebenswürdigen Geiste zu vermittelt?. Leider ist Cornelius nicht sehr alt geworden. Im Jahre 1824 geboren, starb er im Jahre 1874 als Lehrer an der königlichen Musikschule zu München. Doch hat er wenigstens das Mannesalter erreicht. Zwei andre Liedercvmpo- uisten aber, von denen die Kunst sehr viel zu erwarten hatte, wurden ihr schon als Jünglinge entrissen. Es sind Hugo Brttckler und Wilhelm Claußen. Jeder von beiden hat nur zwei Hefte veröffentlichen können, aber darin ist so viel schönes, daß ihre Namen nicht vergessen werden dürfen. Brückler com- ponirte die Lieder aus Scheffels „Trompeter von Säkkingen." Man möchte sagen: „auch" Brttckler, denn diese Gedichte scheinen unsern jungen Componisten fast zu einem obligaten Pensum geworden zu sein. Brückler hat mit einzelnen deit Vogel abgeschossen und gewinnt sich jeden zum Freunde, der für echtes Musikantenblut ein Verständniß hat. Denn dies rollt darin. Die Lieder sind zum Theil mit einer Einfachheit und Leichtigkeit geschrieben, die ihnen etwas volksthümliches giebt und treffen dabei doch den Ernst, wo er in der Dichtung liegt, in tiefer und interessanter Art. Das Anziehendste des ganzen Cyklus ist das erste: „Als ich zum ersten Mal Dich sah." In diesem liegt die Trompeter- Poesie so nett und keck da, daß sie jeder mit Händen greifen kann. Ein reines Pvstillvnmotiv leitet den Gesang ein und umschwebt die langen Noten. Im zweiten Hefte ist es die Anfangsnnmmer „Liudduftig hält die Maiennacht", der man den Preis geben wird. In der Begleitung fällt sie etwas ans dem naiven Tone, deu Brückler sonst so gelungen für seinen Trompeter durchführt. Während Brückler in die Welt keck und geradezu hineinsieht, ist Claußen mehr eineTräumer- uatur, die mit halbgeschlossncm Ange dahinwandelt. Ob er nach den Sternen blickt, ob auf das Schilf, das am Weiher steht, was er auch singt, immer thut er es mit einer Melancholie, die uns anzieht und rührt, weil sie so ungesucht ist. Sie muß tief im Wesen des Künstlers begründet gewesen sein, dessen Jngend durch Kränklichkeit getrübt war. Wir sehen in den Liedern den Kampf gegen das Schicksal, ohne daß der Componist es wollte. Er war ein origineller Mu¬ siker, geschickt und im Besitze einer selbständigen Ausdrucksweise, und kein Zweifel, wer seine Lieder kennen lernt, wird sie zu dem Besten und Fesselndsten zählen, was man in der neuern Liederliteratur finden kann. Da wir gerade bei Talenten verweilen, die das nicht gefunden haben, was sie verdienten, so wollen wir gleich noch Hugo Ulrich nureiheu. Bekannt ist er als Bearbeiter und durch seine vierhändigen Arrangements classischer Orchester¬ werke. Mancher Musikfreund weiß vielleicht auch das noch von ihm, daß er zwei Sinfonien geschrieben hat, deren erste (Solonis triompliitlö) in den fünf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/75>, abgerufen am 01.09.2024.