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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Das deutsche Tieb seit Robert Schumann.

wart studiren will. Wenn die Richtung, die Lißzt eingeschlagen hat, die aus¬
schließliche werden sollte, wäre es ein Unglück, neben andern aber ist sie unbe¬
streitbar eine Bereicherung der Gattung.

Eine eigentliche Lißztsche Schule giebt es nicht, wie wir überhaupt keine
Componistenschnlen mehr haben. Aber man kann etliche Tonsetzer nennen, die
hin und wieder ein Gedicht in derselben oder in ähnlicher Weise wie Lißzt be¬
handeln, am frappantesten und täuschend ähnlich Felix Dräsecke in "Helges
Treue," Auch manche von Rubinsteins Liedern haben den Lißztschen Stil. Soweit
er auf Lebhaftigkeit des Temperaments beruht, finden wir ihn bei dem Stutt¬
garter Componisten Joseph Huber, der allen denen bekannt sein wird, welche
die Neuerungen auf dem Operngebiete eingehender verfolgt haben. Die hier in
Frage stehende Richtung des dramatischen Liedes repräsentirt er namentlich in
einer Composition eines Gedichts von Peter Lohmann, "Liebeserwachen." Höchst
bedeutende Beiträge zum dramatische" Liede hat Peter Cornelius geliefert.
Der Cyklus "Trauer und Trost" enthält zwei Nummern: "Ein Ton" und "An
den Traum," welche von Lißzt selbst geschrieben sein könnten. Das sind psycho¬
logische Processe in der vollständigsten Naturtreue wiedergegeben, die Kunst hat
ihnen nur alles abstoßend äußerliche abgestreift. Der Vorgang ist folgender:
Einem Gatten, dem die geliebte Frau vor kurzem gestorben, geht ein Ton durch
den Kopf, welcher ihm das Grabgeläute, die letzten Worte der Verschiednem und
andre das traurige Ereigniß begleitende Umstände vor die Erinnerung bringt.
Auf diesem einen Ton ruht nun das ganze Lied hindurch der Gesang, wenn man
in dem Falle von einem Gesang sprechen will. Es ist Deelcuniren, ausdrucks¬
volles Sprechen und Stammeln, das einen ganz ergreifenden Eindruck hinter¬
lassen kann und das Entrücktsein, das schmerzlich matte Sehnen, welches der
Componist i>n Auge hatte, besser trifft als irgend etwas andres. Im Clavier
erklingt dazu eine ernste Musik in breiten Harmonien. Das andere "An den
Traum" ist das Gegenbild dazu. Hier liegt der eine Ton im Instrument vom
Anfang bis zu Ende und bezeichnet den festgenagelten Zustand der Phantasie.
Diese beiden Lieder sind zugleich kompositorische Kunststücke und zeigen Peter
Cornelius in der technischen Meisterschaft, über die er gebot. Auch nach dieser
Seite hin ist er einer der bemerkenswerthesten Liedereomponisten unsrer Periode.
In allen seinen Liederheftcn finden sich Proben einer seltnen Beherrschung des
Contrapuuttcs. Er handhabte ihn spielend leicht, und daher stand er ihm auch
für poetisch finnige Aufgaben zu Diensten. Cornelius war ein weibliches Na¬
turell. Allen seinen Compositionen liegt etwas von der Zurückhaltung edler
Frauen aufgeprägt, dem Ueberschäumenden und Bacchantischen geht er aus dem
Wege, die letzten Trümpfe spielt er niemals aus. Alles aber ist bei ihm herzlich;
naiv und kindlich freut er sich, wen" er auch sehr, sehr ernst und tiefsinnig sein
kann. Cornelius hat die Texte seiner Lieder größtentheils selbst gedichtet. Er
war literarisch sehr sattelfest, ein geschätzter Mitarbeiter vieler Zeitschriften. Ein


Das deutsche Tieb seit Robert Schumann.

wart studiren will. Wenn die Richtung, die Lißzt eingeschlagen hat, die aus¬
schließliche werden sollte, wäre es ein Unglück, neben andern aber ist sie unbe¬
streitbar eine Bereicherung der Gattung.

Eine eigentliche Lißztsche Schule giebt es nicht, wie wir überhaupt keine
Componistenschnlen mehr haben. Aber man kann etliche Tonsetzer nennen, die
hin und wieder ein Gedicht in derselben oder in ähnlicher Weise wie Lißzt be¬
handeln, am frappantesten und täuschend ähnlich Felix Dräsecke in „Helges
Treue," Auch manche von Rubinsteins Liedern haben den Lißztschen Stil. Soweit
er auf Lebhaftigkeit des Temperaments beruht, finden wir ihn bei dem Stutt¬
garter Componisten Joseph Huber, der allen denen bekannt sein wird, welche
die Neuerungen auf dem Operngebiete eingehender verfolgt haben. Die hier in
Frage stehende Richtung des dramatischen Liedes repräsentirt er namentlich in
einer Composition eines Gedichts von Peter Lohmann, „Liebeserwachen." Höchst
bedeutende Beiträge zum dramatische» Liede hat Peter Cornelius geliefert.
Der Cyklus „Trauer und Trost" enthält zwei Nummern: „Ein Ton" und „An
den Traum," welche von Lißzt selbst geschrieben sein könnten. Das sind psycho¬
logische Processe in der vollständigsten Naturtreue wiedergegeben, die Kunst hat
ihnen nur alles abstoßend äußerliche abgestreift. Der Vorgang ist folgender:
Einem Gatten, dem die geliebte Frau vor kurzem gestorben, geht ein Ton durch
den Kopf, welcher ihm das Grabgeläute, die letzten Worte der Verschiednem und
andre das traurige Ereigniß begleitende Umstände vor die Erinnerung bringt.
Auf diesem einen Ton ruht nun das ganze Lied hindurch der Gesang, wenn man
in dem Falle von einem Gesang sprechen will. Es ist Deelcuniren, ausdrucks¬
volles Sprechen und Stammeln, das einen ganz ergreifenden Eindruck hinter¬
lassen kann und das Entrücktsein, das schmerzlich matte Sehnen, welches der
Componist i>n Auge hatte, besser trifft als irgend etwas andres. Im Clavier
erklingt dazu eine ernste Musik in breiten Harmonien. Das andere „An den
Traum" ist das Gegenbild dazu. Hier liegt der eine Ton im Instrument vom
Anfang bis zu Ende und bezeichnet den festgenagelten Zustand der Phantasie.
Diese beiden Lieder sind zugleich kompositorische Kunststücke und zeigen Peter
Cornelius in der technischen Meisterschaft, über die er gebot. Auch nach dieser
Seite hin ist er einer der bemerkenswerthesten Liedereomponisten unsrer Periode.
In allen seinen Liederheftcn finden sich Proben einer seltnen Beherrschung des
Contrapuuttcs. Er handhabte ihn spielend leicht, und daher stand er ihm auch
für poetisch finnige Aufgaben zu Diensten. Cornelius war ein weibliches Na¬
turell. Allen seinen Compositionen liegt etwas von der Zurückhaltung edler
Frauen aufgeprägt, dem Ueberschäumenden und Bacchantischen geht er aus dem
Wege, die letzten Trümpfe spielt er niemals aus. Alles aber ist bei ihm herzlich;
naiv und kindlich freut er sich, wen» er auch sehr, sehr ernst und tiefsinnig sein
kann. Cornelius hat die Texte seiner Lieder größtentheils selbst gedichtet. Er
war literarisch sehr sattelfest, ein geschätzter Mitarbeiter vieler Zeitschriften. Ein


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[0074] Das deutsche Tieb seit Robert Schumann. wart studiren will. Wenn die Richtung, die Lißzt eingeschlagen hat, die aus¬ schließliche werden sollte, wäre es ein Unglück, neben andern aber ist sie unbe¬ streitbar eine Bereicherung der Gattung. Eine eigentliche Lißztsche Schule giebt es nicht, wie wir überhaupt keine Componistenschnlen mehr haben. Aber man kann etliche Tonsetzer nennen, die hin und wieder ein Gedicht in derselben oder in ähnlicher Weise wie Lißzt be¬ handeln, am frappantesten und täuschend ähnlich Felix Dräsecke in „Helges Treue," Auch manche von Rubinsteins Liedern haben den Lißztschen Stil. Soweit er auf Lebhaftigkeit des Temperaments beruht, finden wir ihn bei dem Stutt¬ garter Componisten Joseph Huber, der allen denen bekannt sein wird, welche die Neuerungen auf dem Operngebiete eingehender verfolgt haben. Die hier in Frage stehende Richtung des dramatischen Liedes repräsentirt er namentlich in einer Composition eines Gedichts von Peter Lohmann, „Liebeserwachen." Höchst bedeutende Beiträge zum dramatische» Liede hat Peter Cornelius geliefert. Der Cyklus „Trauer und Trost" enthält zwei Nummern: „Ein Ton" und „An den Traum," welche von Lißzt selbst geschrieben sein könnten. Das sind psycho¬ logische Processe in der vollständigsten Naturtreue wiedergegeben, die Kunst hat ihnen nur alles abstoßend äußerliche abgestreift. Der Vorgang ist folgender: Einem Gatten, dem die geliebte Frau vor kurzem gestorben, geht ein Ton durch den Kopf, welcher ihm das Grabgeläute, die letzten Worte der Verschiednem und andre das traurige Ereigniß begleitende Umstände vor die Erinnerung bringt. Auf diesem einen Ton ruht nun das ganze Lied hindurch der Gesang, wenn man in dem Falle von einem Gesang sprechen will. Es ist Deelcuniren, ausdrucks¬ volles Sprechen und Stammeln, das einen ganz ergreifenden Eindruck hinter¬ lassen kann und das Entrücktsein, das schmerzlich matte Sehnen, welches der Componist i>n Auge hatte, besser trifft als irgend etwas andres. Im Clavier erklingt dazu eine ernste Musik in breiten Harmonien. Das andere „An den Traum" ist das Gegenbild dazu. Hier liegt der eine Ton im Instrument vom Anfang bis zu Ende und bezeichnet den festgenagelten Zustand der Phantasie. Diese beiden Lieder sind zugleich kompositorische Kunststücke und zeigen Peter Cornelius in der technischen Meisterschaft, über die er gebot. Auch nach dieser Seite hin ist er einer der bemerkenswerthesten Liedereomponisten unsrer Periode. In allen seinen Liederheftcn finden sich Proben einer seltnen Beherrschung des Contrapuuttcs. Er handhabte ihn spielend leicht, und daher stand er ihm auch für poetisch finnige Aufgaben zu Diensten. Cornelius war ein weibliches Na¬ turell. Allen seinen Compositionen liegt etwas von der Zurückhaltung edler Frauen aufgeprägt, dem Ueberschäumenden und Bacchantischen geht er aus dem Wege, die letzten Trümpfe spielt er niemals aus. Alles aber ist bei ihm herzlich; naiv und kindlich freut er sich, wen» er auch sehr, sehr ernst und tiefsinnig sein kann. Cornelius hat die Texte seiner Lieder größtentheils selbst gedichtet. Er war literarisch sehr sattelfest, ein geschätzter Mitarbeiter vieler Zeitschriften. Ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/74>, abgerufen am 01.09.2024.