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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

Uebertreibung in der Bewunderung hat, wie bekannt, eine andre in der Herab¬
setzung zur Folge gehabt. Es ist eine unliebsame Aufgabe der historischen Kritik,
an den Meistern, denen wir Dank schuldig sind, das herauszusuchen, was ihnen
fehlt. Wir andern thun besser uns lediglich an das zu halten, was sie bieten.
Und das ist bei Franz viel und es ist ein eignes. Alle Abzüge, die an dem
Talente von Robert Franz gemacht worden sind, zugegeben, so bleibt doch das
eine an ihm, worin ihn niemand übertrifft: das ist die energische Hingebung
an die Dichtung. Energisch ist allerdings zu wenig gesagt, es ist etwas von
dem altberühmten error tsutcmicms, eine ganz beträchtliche Dosis Ungestüm in
dieser Hingabe. Mit Leib und Leben wirft sich der Componist in die Situation,
mit einer Festigkeit und Bestimmtheit, welche überwältigt und fortreißt. Das
macht ihn in allen starken Situationen unwiderstehlich; wo die Leidenschaften
toben, die Gefühle sich empören, da ragt er in kräftiger, granitfester Männlich-,
keit wie ein Fels aus dem Gischt der sich bäumenden Wogen. Daß er mit
dieser schweren Constitution manches zarte Dichterstückchen ein wenig drückt, wer
will das tadeln? Es ist ganz gewiß rührend, wie er mit Blumensachen, mit
den Rosen, die sich beklagen, mit den artigen Lügen Heinrich Heines und mit
ähnlichem Spielzeug des modischen Gefühls sich zurechtfindet, und ich will der
letzte sein, der ihm angesichts eines Liedes wie "Der Mond ist schlafen gangen"
eine ganz eigne Virtuosität im Aumuthigeu abstreitet. Seine Gegner haben
gerade diesen Liedern den Vorwurf des Gesuchten gemacht. Das ist zu viel
gesagt; aber es liegt etwas richtiges darin. Wenn wir den Franz, welchen wir
in Liedern wie "Im Herbst" und in "Genesung" treffen, mit dem vergleichen,
welcher "Aus meinen großen Schmerzen" und "Am Rhein, am heil'gen Strome",
"Weißt Du noch", sogar "Es hat die Rose sich beklagt" geschrieben hat, so
können wir gar nicht darüber im Zweifel sein, wo die Natur des Componisten
sich voll und ungebunden präsentirt. Das ist im starken und Leidenschaftlichen
und bei den gewaltigen Ausbrüchen eines tief erschütterten Gefühls. Es ist
kein Zufall, daß wir unter den Liedern von Franz keins haben, wo eine völlig
ungetrübte Fröhlichkeit dahinrauscht, keinen sausenden Jubelhhmnus etwa in der
Art von Schumanns "Wohlauf noch getrunken"; es ist kein Zufall, daß die
Lieder der Lebenslust, wie das prächtige "Willkommen, mein Wald" die Minder¬
zahl bilden. Sein Naturell neigt dem Dämonischen zu, und ein Rest von Me¬
lancholie hängt anch noch über den Tändeleien der Sentimentalität und Anmuth,
die er componirt hat. Sie bilden nicht so sehr sein natürliches Fach als die
grandiosen Stimmungen; manchmal erscheint er darin wie Hercules am Spinn¬
rade, oder er krümmt sich wie ein getretner Wurm, während eine artige Ver¬
beugung genügte. Aber auch da, wo wir ihn in einer Rolle sehen, für die er
von Haus aus nicht paßt, entwickelt er eine Meisterschaft der Form, die Staunen
erregen kann. Er hat jederzeit einen Reichthum an feinen Details, der diese
kleinen Lieder zu wahren Leckerbissen für den Kenner macht, während sie in


Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

Uebertreibung in der Bewunderung hat, wie bekannt, eine andre in der Herab¬
setzung zur Folge gehabt. Es ist eine unliebsame Aufgabe der historischen Kritik,
an den Meistern, denen wir Dank schuldig sind, das herauszusuchen, was ihnen
fehlt. Wir andern thun besser uns lediglich an das zu halten, was sie bieten.
Und das ist bei Franz viel und es ist ein eignes. Alle Abzüge, die an dem
Talente von Robert Franz gemacht worden sind, zugegeben, so bleibt doch das
eine an ihm, worin ihn niemand übertrifft: das ist die energische Hingebung
an die Dichtung. Energisch ist allerdings zu wenig gesagt, es ist etwas von
dem altberühmten error tsutcmicms, eine ganz beträchtliche Dosis Ungestüm in
dieser Hingabe. Mit Leib und Leben wirft sich der Componist in die Situation,
mit einer Festigkeit und Bestimmtheit, welche überwältigt und fortreißt. Das
macht ihn in allen starken Situationen unwiderstehlich; wo die Leidenschaften
toben, die Gefühle sich empören, da ragt er in kräftiger, granitfester Männlich-,
keit wie ein Fels aus dem Gischt der sich bäumenden Wogen. Daß er mit
dieser schweren Constitution manches zarte Dichterstückchen ein wenig drückt, wer
will das tadeln? Es ist ganz gewiß rührend, wie er mit Blumensachen, mit
den Rosen, die sich beklagen, mit den artigen Lügen Heinrich Heines und mit
ähnlichem Spielzeug des modischen Gefühls sich zurechtfindet, und ich will der
letzte sein, der ihm angesichts eines Liedes wie „Der Mond ist schlafen gangen"
eine ganz eigne Virtuosität im Aumuthigeu abstreitet. Seine Gegner haben
gerade diesen Liedern den Vorwurf des Gesuchten gemacht. Das ist zu viel
gesagt; aber es liegt etwas richtiges darin. Wenn wir den Franz, welchen wir
in Liedern wie „Im Herbst" und in „Genesung" treffen, mit dem vergleichen,
welcher „Aus meinen großen Schmerzen" und „Am Rhein, am heil'gen Strome",
„Weißt Du noch", sogar „Es hat die Rose sich beklagt" geschrieben hat, so
können wir gar nicht darüber im Zweifel sein, wo die Natur des Componisten
sich voll und ungebunden präsentirt. Das ist im starken und Leidenschaftlichen
und bei den gewaltigen Ausbrüchen eines tief erschütterten Gefühls. Es ist
kein Zufall, daß wir unter den Liedern von Franz keins haben, wo eine völlig
ungetrübte Fröhlichkeit dahinrauscht, keinen sausenden Jubelhhmnus etwa in der
Art von Schumanns „Wohlauf noch getrunken"; es ist kein Zufall, daß die
Lieder der Lebenslust, wie das prächtige „Willkommen, mein Wald" die Minder¬
zahl bilden. Sein Naturell neigt dem Dämonischen zu, und ein Rest von Me¬
lancholie hängt anch noch über den Tändeleien der Sentimentalität und Anmuth,
die er componirt hat. Sie bilden nicht so sehr sein natürliches Fach als die
grandiosen Stimmungen; manchmal erscheint er darin wie Hercules am Spinn¬
rade, oder er krümmt sich wie ein getretner Wurm, während eine artige Ver¬
beugung genügte. Aber auch da, wo wir ihn in einer Rolle sehen, für die er
von Haus aus nicht paßt, entwickelt er eine Meisterschaft der Form, die Staunen
erregen kann. Er hat jederzeit einen Reichthum an feinen Details, der diese
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[0070] Das deutsche Lied seit Robert Schumann. Uebertreibung in der Bewunderung hat, wie bekannt, eine andre in der Herab¬ setzung zur Folge gehabt. Es ist eine unliebsame Aufgabe der historischen Kritik, an den Meistern, denen wir Dank schuldig sind, das herauszusuchen, was ihnen fehlt. Wir andern thun besser uns lediglich an das zu halten, was sie bieten. Und das ist bei Franz viel und es ist ein eignes. Alle Abzüge, die an dem Talente von Robert Franz gemacht worden sind, zugegeben, so bleibt doch das eine an ihm, worin ihn niemand übertrifft: das ist die energische Hingebung an die Dichtung. Energisch ist allerdings zu wenig gesagt, es ist etwas von dem altberühmten error tsutcmicms, eine ganz beträchtliche Dosis Ungestüm in dieser Hingabe. Mit Leib und Leben wirft sich der Componist in die Situation, mit einer Festigkeit und Bestimmtheit, welche überwältigt und fortreißt. Das macht ihn in allen starken Situationen unwiderstehlich; wo die Leidenschaften toben, die Gefühle sich empören, da ragt er in kräftiger, granitfester Männlich-, keit wie ein Fels aus dem Gischt der sich bäumenden Wogen. Daß er mit dieser schweren Constitution manches zarte Dichterstückchen ein wenig drückt, wer will das tadeln? Es ist ganz gewiß rührend, wie er mit Blumensachen, mit den Rosen, die sich beklagen, mit den artigen Lügen Heinrich Heines und mit ähnlichem Spielzeug des modischen Gefühls sich zurechtfindet, und ich will der letzte sein, der ihm angesichts eines Liedes wie „Der Mond ist schlafen gangen" eine ganz eigne Virtuosität im Aumuthigeu abstreitet. Seine Gegner haben gerade diesen Liedern den Vorwurf des Gesuchten gemacht. Das ist zu viel gesagt; aber es liegt etwas richtiges darin. Wenn wir den Franz, welchen wir in Liedern wie „Im Herbst" und in „Genesung" treffen, mit dem vergleichen, welcher „Aus meinen großen Schmerzen" und „Am Rhein, am heil'gen Strome", „Weißt Du noch", sogar „Es hat die Rose sich beklagt" geschrieben hat, so können wir gar nicht darüber im Zweifel sein, wo die Natur des Componisten sich voll und ungebunden präsentirt. Das ist im starken und Leidenschaftlichen und bei den gewaltigen Ausbrüchen eines tief erschütterten Gefühls. Es ist kein Zufall, daß wir unter den Liedern von Franz keins haben, wo eine völlig ungetrübte Fröhlichkeit dahinrauscht, keinen sausenden Jubelhhmnus etwa in der Art von Schumanns „Wohlauf noch getrunken"; es ist kein Zufall, daß die Lieder der Lebenslust, wie das prächtige „Willkommen, mein Wald" die Minder¬ zahl bilden. Sein Naturell neigt dem Dämonischen zu, und ein Rest von Me¬ lancholie hängt anch noch über den Tändeleien der Sentimentalität und Anmuth, die er componirt hat. Sie bilden nicht so sehr sein natürliches Fach als die grandiosen Stimmungen; manchmal erscheint er darin wie Hercules am Spinn¬ rade, oder er krümmt sich wie ein getretner Wurm, während eine artige Ver¬ beugung genügte. Aber auch da, wo wir ihn in einer Rolle sehen, für die er von Haus aus nicht paßt, entwickelt er eine Meisterschaft der Form, die Staunen erregen kann. Er hat jederzeit einen Reichthum an feinen Details, der diese kleinen Lieder zu wahren Leckerbissen für den Kenner macht, während sie in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/70>, abgerufen am 01.09.2024.