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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Russische Agrarzustände.
von Lrnst von der Brügger.

äst scheint es an der unrechten Zeit zu sein, heute von russischen
Agrarzuständcn zu reden, statt von Nihilisten, von Mord und
Minen, vom neue" Zar und von seinen neuen Ministern, Die
Ereignisse des Tages drängen sich so eilig, daß die äußern Er¬
scheinungen der mancherlei in dem russischen Staate und Volte
wirksamen Gewalten, ihre jeweiligen und thatsächlichen Wirkungen die ganze Auf¬
merksamkeit der politisch interessirten ausfüllen und daß man gerade jetzt am ehesten
die Forschung nach den dauernden Quellen der ungewöhnlichen Ausbrüche, die
wir sehen, bei Seite läßt. Mau hat zu oft zu fragen, was in Rußland wiederum
geschehen sei, um sich daneben um das Warum noch groß kümmern zu können,
Und doch sind die Ereignisse unsrer Tage längst nicht mehr halb zufällige Be¬
gebenheiten von oberflächlicher oder örtlicher Bedeutung, sondern zumeist Er¬
scheinungen von tiefgreifender Wurzel, begründet in den Zuständen großer Länder¬
strecken und zahlreicher Bevölkerung. Die lange berechtigte und noch länger
verkündete Behauptung, dnß der Nihilismus bloß das Hirngespinnst weniger jugend¬
licher Schwärmer sei, kann heute schwer mehr verfochten werden, da trotz der
Tausende, welche unschädlich gemacht wurden, immer wieder neue Herde dieser
Schwärmerei entdeckt werden, und da der Zar selbst, indem er die Juden-
hetze der letzten Wochen auf Rechnung revolutionärer Anstiftungen gesetzt, den
großen Einfluß dieser revolutionären Verbindungen officiell beglaubigt hat. ES
giebt also im heutigen Nußland in der That eine erhebliche revolutionäre Macht
oder doch erhebliche revolutionäre Mächte, und es giebt Volkstheile, die ihrem
Einfluß folgen. Das bezeichnet ganz andre Gefahren, als in dem vereinzelten
Wahnsinn von Königsmördern liegt, die zu alleu Zeiten aus persönlichem indivi-


Grenzbotm III. 1L81. 7


Russische Agrarzustände.
von Lrnst von der Brügger.

äst scheint es an der unrechten Zeit zu sein, heute von russischen
Agrarzuständcn zu reden, statt von Nihilisten, von Mord und
Minen, vom neue» Zar und von seinen neuen Ministern, Die
Ereignisse des Tages drängen sich so eilig, daß die äußern Er¬
scheinungen der mancherlei in dem russischen Staate und Volte
wirksamen Gewalten, ihre jeweiligen und thatsächlichen Wirkungen die ganze Auf¬
merksamkeit der politisch interessirten ausfüllen und daß man gerade jetzt am ehesten
die Forschung nach den dauernden Quellen der ungewöhnlichen Ausbrüche, die
wir sehen, bei Seite läßt. Mau hat zu oft zu fragen, was in Rußland wiederum
geschehen sei, um sich daneben um das Warum noch groß kümmern zu können,
Und doch sind die Ereignisse unsrer Tage längst nicht mehr halb zufällige Be¬
gebenheiten von oberflächlicher oder örtlicher Bedeutung, sondern zumeist Er¬
scheinungen von tiefgreifender Wurzel, begründet in den Zuständen großer Länder¬
strecken und zahlreicher Bevölkerung. Die lange berechtigte und noch länger
verkündete Behauptung, dnß der Nihilismus bloß das Hirngespinnst weniger jugend¬
licher Schwärmer sei, kann heute schwer mehr verfochten werden, da trotz der
Tausende, welche unschädlich gemacht wurden, immer wieder neue Herde dieser
Schwärmerei entdeckt werden, und da der Zar selbst, indem er die Juden-
hetze der letzten Wochen auf Rechnung revolutionärer Anstiftungen gesetzt, den
großen Einfluß dieser revolutionären Verbindungen officiell beglaubigt hat. ES
giebt also im heutigen Nußland in der That eine erhebliche revolutionäre Macht
oder doch erhebliche revolutionäre Mächte, und es giebt Volkstheile, die ihrem
Einfluß folgen. Das bezeichnet ganz andre Gefahren, als in dem vereinzelten
Wahnsinn von Königsmördern liegt, die zu alleu Zeiten aus persönlichem indivi-


Grenzbotm III. 1L81. 7
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[0057] [Abbildung] Russische Agrarzustände. von Lrnst von der Brügger. äst scheint es an der unrechten Zeit zu sein, heute von russischen Agrarzuständcn zu reden, statt von Nihilisten, von Mord und Minen, vom neue» Zar und von seinen neuen Ministern, Die Ereignisse des Tages drängen sich so eilig, daß die äußern Er¬ scheinungen der mancherlei in dem russischen Staate und Volte wirksamen Gewalten, ihre jeweiligen und thatsächlichen Wirkungen die ganze Auf¬ merksamkeit der politisch interessirten ausfüllen und daß man gerade jetzt am ehesten die Forschung nach den dauernden Quellen der ungewöhnlichen Ausbrüche, die wir sehen, bei Seite läßt. Mau hat zu oft zu fragen, was in Rußland wiederum geschehen sei, um sich daneben um das Warum noch groß kümmern zu können, Und doch sind die Ereignisse unsrer Tage längst nicht mehr halb zufällige Be¬ gebenheiten von oberflächlicher oder örtlicher Bedeutung, sondern zumeist Er¬ scheinungen von tiefgreifender Wurzel, begründet in den Zuständen großer Länder¬ strecken und zahlreicher Bevölkerung. Die lange berechtigte und noch länger verkündete Behauptung, dnß der Nihilismus bloß das Hirngespinnst weniger jugend¬ licher Schwärmer sei, kann heute schwer mehr verfochten werden, da trotz der Tausende, welche unschädlich gemacht wurden, immer wieder neue Herde dieser Schwärmerei entdeckt werden, und da der Zar selbst, indem er die Juden- hetze der letzten Wochen auf Rechnung revolutionärer Anstiftungen gesetzt, den großen Einfluß dieser revolutionären Verbindungen officiell beglaubigt hat. ES giebt also im heutigen Nußland in der That eine erhebliche revolutionäre Macht oder doch erhebliche revolutionäre Mächte, und es giebt Volkstheile, die ihrem Einfluß folgen. Das bezeichnet ganz andre Gefahren, als in dem vereinzelten Wahnsinn von Königsmördern liegt, die zu alleu Zeiten aus persönlichem indivi- Grenzbotm III. 1L81. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/57>, abgerufen am 01.09.2024.