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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Dramatische Novellen.

man damit zusammen, was wir in der pädagogischen Presse lesen, z, B, in der
Allgemeinen deutschen Lehrerzeitung, wie hier die starke Agitation der Kasseler
Lehrer für den fortschrittlichen Candidaten, Lehrer a. D. Liebermaun, besprochen
und die Regierung getadelt wird, weil sie diese Agitationen ihrer Lehrer nicht
billigt, wie hier immer getreulich referirt wird, wenn ein fortschrittlicher Lehrer
aus irgend einem Grunde zum "Opfer seiner politischen Ueberzeugung" wird,
d. h. einen Verweis bekommt, und dergleichen mehr, so muß man nachgerade
der Ansicht beitreten, die oft schon von conservativen Blättern geäußert worden
ist, daß die Führer in den Lehrerversammlungen der fortschrittlichen Partei an¬
gehören und innerhalb des Lehrerstandes eine starke fortschrittliche Agitation
betrieben wird. Daß gerade die extremen Parteien hier Boden finden, darf uns
freilich nicht befremden. Die oft klägliche materielle Stellung des Lehrers wie
die vollständige Unbekanntschaft mit den realen Verhältnissen tragen zu gleichen
Theilen die Schuld daran, daß hier der Radicalismus blüht. "Ich kenne die
Gründe der Regierung nicht, aber ich mißbillige sie" -- dies vielberufene Wort
der Ueberzeugungstreue wurde ja auch von einem sächsischen Schuldirector im
Unverstandslandtage, auf dem die Lehrer sich sehr hervorthaten, gesprochen.

Mit Freuden begrüßen wir es, daß eine thüringische Leserversammlung
jüngst die verständige Resolution gefaßt hat, daß der Lehrer sich von jeder po¬
litischen Agitation fern zu halten habe. Mögen andre Versammlungen diesem
Beschlusse nachfolgen. Die Würde des Lehrerstandes wird gewiß nicht darunter
leiden.




Dramatische Novellen.

l
e Bemerkung, daß jene Ausschließlichkeit, mit welcher das deutsche
Publicum der Gegenwart Roman und Novelle als die einzig be¬
rechtigten und beachtenswerthen Formen der modernen Poesie an¬
sieht, dem Roman und der Novelle nicht eben zu Gute kommt,
ist weder neu noch besonders geistreich. Es liegt auf der Hand,
daß der gesteigerte Anreiz, zu diesen Formen zu greisen, der geradezu ungeheure
Verbrauch, mit welchem eine innerlich lebendige und literarisch werthvolle Pro-
duction gar nicht Schritt halten kann, eine ganze Reihe von Viertels- und Halb¬
talenten in berufsmäßige Erzähler verwandeln müssen, daß Dichter, die ihr


Dramatische Novellen.

man damit zusammen, was wir in der pädagogischen Presse lesen, z, B, in der
Allgemeinen deutschen Lehrerzeitung, wie hier die starke Agitation der Kasseler
Lehrer für den fortschrittlichen Candidaten, Lehrer a. D. Liebermaun, besprochen
und die Regierung getadelt wird, weil sie diese Agitationen ihrer Lehrer nicht
billigt, wie hier immer getreulich referirt wird, wenn ein fortschrittlicher Lehrer
aus irgend einem Grunde zum „Opfer seiner politischen Ueberzeugung" wird,
d. h. einen Verweis bekommt, und dergleichen mehr, so muß man nachgerade
der Ansicht beitreten, die oft schon von conservativen Blättern geäußert worden
ist, daß die Führer in den Lehrerversammlungen der fortschrittlichen Partei an¬
gehören und innerhalb des Lehrerstandes eine starke fortschrittliche Agitation
betrieben wird. Daß gerade die extremen Parteien hier Boden finden, darf uns
freilich nicht befremden. Die oft klägliche materielle Stellung des Lehrers wie
die vollständige Unbekanntschaft mit den realen Verhältnissen tragen zu gleichen
Theilen die Schuld daran, daß hier der Radicalismus blüht. „Ich kenne die
Gründe der Regierung nicht, aber ich mißbillige sie" — dies vielberufene Wort
der Ueberzeugungstreue wurde ja auch von einem sächsischen Schuldirector im
Unverstandslandtage, auf dem die Lehrer sich sehr hervorthaten, gesprochen.

Mit Freuden begrüßen wir es, daß eine thüringische Leserversammlung
jüngst die verständige Resolution gefaßt hat, daß der Lehrer sich von jeder po¬
litischen Agitation fern zu halten habe. Mögen andre Versammlungen diesem
Beschlusse nachfolgen. Die Würde des Lehrerstandes wird gewiß nicht darunter
leiden.




Dramatische Novellen.

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e Bemerkung, daß jene Ausschließlichkeit, mit welcher das deutsche
Publicum der Gegenwart Roman und Novelle als die einzig be¬
rechtigten und beachtenswerthen Formen der modernen Poesie an¬
sieht, dem Roman und der Novelle nicht eben zu Gute kommt,
ist weder neu noch besonders geistreich. Es liegt auf der Hand,
daß der gesteigerte Anreiz, zu diesen Formen zu greisen, der geradezu ungeheure
Verbrauch, mit welchem eine innerlich lebendige und literarisch werthvolle Pro-
duction gar nicht Schritt halten kann, eine ganze Reihe von Viertels- und Halb¬
talenten in berufsmäßige Erzähler verwandeln müssen, daß Dichter, die ihr


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[0568] Dramatische Novellen. man damit zusammen, was wir in der pädagogischen Presse lesen, z, B, in der Allgemeinen deutschen Lehrerzeitung, wie hier die starke Agitation der Kasseler Lehrer für den fortschrittlichen Candidaten, Lehrer a. D. Liebermaun, besprochen und die Regierung getadelt wird, weil sie diese Agitationen ihrer Lehrer nicht billigt, wie hier immer getreulich referirt wird, wenn ein fortschrittlicher Lehrer aus irgend einem Grunde zum „Opfer seiner politischen Ueberzeugung" wird, d. h. einen Verweis bekommt, und dergleichen mehr, so muß man nachgerade der Ansicht beitreten, die oft schon von conservativen Blättern geäußert worden ist, daß die Führer in den Lehrerversammlungen der fortschrittlichen Partei an¬ gehören und innerhalb des Lehrerstandes eine starke fortschrittliche Agitation betrieben wird. Daß gerade die extremen Parteien hier Boden finden, darf uns freilich nicht befremden. Die oft klägliche materielle Stellung des Lehrers wie die vollständige Unbekanntschaft mit den realen Verhältnissen tragen zu gleichen Theilen die Schuld daran, daß hier der Radicalismus blüht. „Ich kenne die Gründe der Regierung nicht, aber ich mißbillige sie" — dies vielberufene Wort der Ueberzeugungstreue wurde ja auch von einem sächsischen Schuldirector im Unverstandslandtage, auf dem die Lehrer sich sehr hervorthaten, gesprochen. Mit Freuden begrüßen wir es, daß eine thüringische Leserversammlung jüngst die verständige Resolution gefaßt hat, daß der Lehrer sich von jeder po¬ litischen Agitation fern zu halten habe. Mögen andre Versammlungen diesem Beschlusse nachfolgen. Die Würde des Lehrerstandes wird gewiß nicht darunter leiden. Dramatische Novellen. l e Bemerkung, daß jene Ausschließlichkeit, mit welcher das deutsche Publicum der Gegenwart Roman und Novelle als die einzig be¬ rechtigten und beachtenswerthen Formen der modernen Poesie an¬ sieht, dem Roman und der Novelle nicht eben zu Gute kommt, ist weder neu noch besonders geistreich. Es liegt auf der Hand, daß der gesteigerte Anreiz, zu diesen Formen zu greisen, der geradezu ungeheure Verbrauch, mit welchem eine innerlich lebendige und literarisch werthvolle Pro- duction gar nicht Schritt halten kann, eine ganze Reihe von Viertels- und Halb¬ talenten in berufsmäßige Erzähler verwandeln müssen, daß Dichter, die ihr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/568>, abgerufen am 01.09.2024.