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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Rückblicke auf die Lehrerversammlung in Karlsruhe.

Schandei", wie das öfters geschieht, declamiren, es macht einen ganz andern
Eindruck, als wenn sie ein Gedicht von Goethe oder Schiller, etwa die Kraniche
des Ibykus und so etwas declamiren." Dieser "ganz andre Eindruck" soll aber
erhalten bleiben. Denn die Resolution, die schließlich angenommen wurde, ver¬
langt nur, daß der Lehrer hochdeutsch unterrichte, selbstverständlich soweit ihm
dies möglich ist.

Der letzte Vortrag handelte von der Nothwendigkeit der Concentration des
Unterrichts in der Volksschule. Der Referent, Lehrer Funk (Marienschloß)
machte auf einen Uebelstand des deutschen Volksschulwcsens aufmerksam, der
vielfach hervorgetreten sei, nämlich auf die einseitige Vorherrschaft des Strebens
nach Kenntnissen und Fertigkeiten. Es herrsche in der Volksschule der sogenannte
Parallelismus, d. h. die Unterrichtsstoffe liefen parallel neben einander her und
würden auch so den Schülern verabreicht; durch den Fachunterricht, den man
selbst bis in die Volksschule hineingetragen habe, werde dieser Parallelismus
noch gehätschelt, leider auf Kosten der allgemeinen Volksbildung. Man wisse,
mit welcher Treue und Hingabe die deutschen Lehrer ihres Berufes warteten,
man dürfe aber trotzdem nicht darauf verzichten, einen fo bedeutenden Maugel
der Volksschulbildung, dessen Folgen so allgemein seien, daß sie von jedem er¬
kannt werden müßten, vorzubringen und der Beachtung zu empfehlen. Noch sei
es nicht gelungen, der Volksschulbildung einen eigentlichen, abgerundeten Schluß
zu geben, dem Volksschüler einen festen Mittelpunkt, einen Standpunkt zu schaffen,
von dem aus er die Welt und ihre Erscheinungen an sich vorüberziehen lasse,
von dem aus er sie beurtheilen lerne. Er sei immer in der Peripherie der
Erscheinungen, er werde hin und her geschleudert und verfalle entweder einem
trägen Aberglauben oder einem trostlosen Unglauben und Pessimismus. Die
Thesen, welche der Redner schließlich aufstellte, lauteten folgendermaßen: 1. "Der
Unterricht in der Volksschule leidet mit Bezug auf die Zahl der Unterrichts¬
gegenstände und auf die Summe des Unterrichtsstoffes an Uebermaß" und 2. "Die
Unterrichtsstoffe sind hinsichtlich der Lehrmethode zu vereinfachen, aber in innigere,
ineinandergreifende Beziehung zu setzen und der Concentration des Unterrichts
auf den obern Stufen der Volksschule die eingehendste Pflege zu widmen."

Man hätte nun annehmen sollen, daß die Versammlung auf diese eminent
wichtige pädagogische Frage näher eingegangen wäre. Das war aber nicht der
Fall. Seminarlehrer Halben (Hamburg) machte darauf aufmerksam, daß wir auch
auf dem Gebiete der Schule uns in einer Zeit der Reaction befänden. In einer
solchen Zeit solle man sehr vorsichtig sein mit dem, was man als einzelner, und
noch viel vorsichtiger mit dem, was man als Corporation, als in Vertretung
des ganzen Standes fordre, und er sei der Meinung, daß, wenn man die Thesen
Fürth zur Resolution erhebe, diese Resolution ausgenützt werden könne gegen
das wohlverstanden Interesse des Fortschritts unsrer Volksschule. Er schlug
daher folgende harmlose Thesen vor: "Der Unterricht in der Volksschule soll


Rückblicke auf die Lehrerversammlung in Karlsruhe.

Schandei», wie das öfters geschieht, declamiren, es macht einen ganz andern
Eindruck, als wenn sie ein Gedicht von Goethe oder Schiller, etwa die Kraniche
des Ibykus und so etwas declamiren." Dieser „ganz andre Eindruck" soll aber
erhalten bleiben. Denn die Resolution, die schließlich angenommen wurde, ver¬
langt nur, daß der Lehrer hochdeutsch unterrichte, selbstverständlich soweit ihm
dies möglich ist.

Der letzte Vortrag handelte von der Nothwendigkeit der Concentration des
Unterrichts in der Volksschule. Der Referent, Lehrer Funk (Marienschloß)
machte auf einen Uebelstand des deutschen Volksschulwcsens aufmerksam, der
vielfach hervorgetreten sei, nämlich auf die einseitige Vorherrschaft des Strebens
nach Kenntnissen und Fertigkeiten. Es herrsche in der Volksschule der sogenannte
Parallelismus, d. h. die Unterrichtsstoffe liefen parallel neben einander her und
würden auch so den Schülern verabreicht; durch den Fachunterricht, den man
selbst bis in die Volksschule hineingetragen habe, werde dieser Parallelismus
noch gehätschelt, leider auf Kosten der allgemeinen Volksbildung. Man wisse,
mit welcher Treue und Hingabe die deutschen Lehrer ihres Berufes warteten,
man dürfe aber trotzdem nicht darauf verzichten, einen fo bedeutenden Maugel
der Volksschulbildung, dessen Folgen so allgemein seien, daß sie von jedem er¬
kannt werden müßten, vorzubringen und der Beachtung zu empfehlen. Noch sei
es nicht gelungen, der Volksschulbildung einen eigentlichen, abgerundeten Schluß
zu geben, dem Volksschüler einen festen Mittelpunkt, einen Standpunkt zu schaffen,
von dem aus er die Welt und ihre Erscheinungen an sich vorüberziehen lasse,
von dem aus er sie beurtheilen lerne. Er sei immer in der Peripherie der
Erscheinungen, er werde hin und her geschleudert und verfalle entweder einem
trägen Aberglauben oder einem trostlosen Unglauben und Pessimismus. Die
Thesen, welche der Redner schließlich aufstellte, lauteten folgendermaßen: 1. „Der
Unterricht in der Volksschule leidet mit Bezug auf die Zahl der Unterrichts¬
gegenstände und auf die Summe des Unterrichtsstoffes an Uebermaß" und 2. „Die
Unterrichtsstoffe sind hinsichtlich der Lehrmethode zu vereinfachen, aber in innigere,
ineinandergreifende Beziehung zu setzen und der Concentration des Unterrichts
auf den obern Stufen der Volksschule die eingehendste Pflege zu widmen."

Man hätte nun annehmen sollen, daß die Versammlung auf diese eminent
wichtige pädagogische Frage näher eingegangen wäre. Das war aber nicht der
Fall. Seminarlehrer Halben (Hamburg) machte darauf aufmerksam, daß wir auch
auf dem Gebiete der Schule uns in einer Zeit der Reaction befänden. In einer
solchen Zeit solle man sehr vorsichtig sein mit dem, was man als einzelner, und
noch viel vorsichtiger mit dem, was man als Corporation, als in Vertretung
des ganzen Standes fordre, und er sei der Meinung, daß, wenn man die Thesen
Fürth zur Resolution erhebe, diese Resolution ausgenützt werden könne gegen
das wohlverstanden Interesse des Fortschritts unsrer Volksschule. Er schlug
daher folgende harmlose Thesen vor: „Der Unterricht in der Volksschule soll


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[0564] Rückblicke auf die Lehrerversammlung in Karlsruhe. Schandei», wie das öfters geschieht, declamiren, es macht einen ganz andern Eindruck, als wenn sie ein Gedicht von Goethe oder Schiller, etwa die Kraniche des Ibykus und so etwas declamiren." Dieser „ganz andre Eindruck" soll aber erhalten bleiben. Denn die Resolution, die schließlich angenommen wurde, ver¬ langt nur, daß der Lehrer hochdeutsch unterrichte, selbstverständlich soweit ihm dies möglich ist. Der letzte Vortrag handelte von der Nothwendigkeit der Concentration des Unterrichts in der Volksschule. Der Referent, Lehrer Funk (Marienschloß) machte auf einen Uebelstand des deutschen Volksschulwcsens aufmerksam, der vielfach hervorgetreten sei, nämlich auf die einseitige Vorherrschaft des Strebens nach Kenntnissen und Fertigkeiten. Es herrsche in der Volksschule der sogenannte Parallelismus, d. h. die Unterrichtsstoffe liefen parallel neben einander her und würden auch so den Schülern verabreicht; durch den Fachunterricht, den man selbst bis in die Volksschule hineingetragen habe, werde dieser Parallelismus noch gehätschelt, leider auf Kosten der allgemeinen Volksbildung. Man wisse, mit welcher Treue und Hingabe die deutschen Lehrer ihres Berufes warteten, man dürfe aber trotzdem nicht darauf verzichten, einen fo bedeutenden Maugel der Volksschulbildung, dessen Folgen so allgemein seien, daß sie von jedem er¬ kannt werden müßten, vorzubringen und der Beachtung zu empfehlen. Noch sei es nicht gelungen, der Volksschulbildung einen eigentlichen, abgerundeten Schluß zu geben, dem Volksschüler einen festen Mittelpunkt, einen Standpunkt zu schaffen, von dem aus er die Welt und ihre Erscheinungen an sich vorüberziehen lasse, von dem aus er sie beurtheilen lerne. Er sei immer in der Peripherie der Erscheinungen, er werde hin und her geschleudert und verfalle entweder einem trägen Aberglauben oder einem trostlosen Unglauben und Pessimismus. Die Thesen, welche der Redner schließlich aufstellte, lauteten folgendermaßen: 1. „Der Unterricht in der Volksschule leidet mit Bezug auf die Zahl der Unterrichts¬ gegenstände und auf die Summe des Unterrichtsstoffes an Uebermaß" und 2. „Die Unterrichtsstoffe sind hinsichtlich der Lehrmethode zu vereinfachen, aber in innigere, ineinandergreifende Beziehung zu setzen und der Concentration des Unterrichts auf den obern Stufen der Volksschule die eingehendste Pflege zu widmen." Man hätte nun annehmen sollen, daß die Versammlung auf diese eminent wichtige pädagogische Frage näher eingegangen wäre. Das war aber nicht der Fall. Seminarlehrer Halben (Hamburg) machte darauf aufmerksam, daß wir auch auf dem Gebiete der Schule uns in einer Zeit der Reaction befänden. In einer solchen Zeit solle man sehr vorsichtig sein mit dem, was man als einzelner, und noch viel vorsichtiger mit dem, was man als Corporation, als in Vertretung des ganzen Standes fordre, und er sei der Meinung, daß, wenn man die Thesen Fürth zur Resolution erhebe, diese Resolution ausgenützt werden könne gegen das wohlverstanden Interesse des Fortschritts unsrer Volksschule. Er schlug daher folgende harmlose Thesen vor: „Der Unterricht in der Volksschule soll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/564>, abgerufen am 01.09.2024.