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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Schule, geführt von Gewaltigen, von Mächtigen, Ich sehe, wie man die Mauern
dieses Bollwerks der allgemeinen Menschenbildung auf den Leiten? der Lüge und
Verleumdung ersteigen will, wie man eindringen will in den geheiligten Tempel
der Volkserziehung, um die frevelnde Hand anzulegen zum Werke der Zerstörung
und Verwüstung ... Da erscheint es mir als Pflicht eines jeden Lehrers, eines
jeden Freundes der modernen Schule, Hinaufzusteigen ans die bedrohten Mauern,
um mit den Waffen der Wahrheit den Feind zurückzutreiben in seine finstern
Schlupfwinkel voll Modergeruch und Grabesluft." Der stenographische Bericht
meldet nach dieser Dithyrambe natürlich ein "Bravo."

Die Debatte über einen so wichtigen Gegenstand war kaum der Rede werth.
Es sprach nämlich nur der Pfarrer Bähring (Minfeld), und dieser sprach nicht
zur Sache. Er schloß aber doch wenigstens mit den intereonfcssionellen Worten:
"Wollen Sie die moderne Volksschule in ihrem Wesen principiell recht begründen,
methodisch recht ordnen, nehmen Sie diesen Philosophen Karl Christian Friedrich
Krause zur Hand, studieren Sie ihn, verbreiten Sie seine Ideen in den Lehrer-
bilduugsanstalteu und lassen Sie dadurch diese modernen Ideen sich immer mehr
auf die Pfeiler der alten Weisheit gründen, die schon bei den Griechen, die
dann bei den Römern, die durch die Kirchenväter, wie Augustinus, mich an¬
erkannt worden sind, und die im wesentlichen dieselben Ideen sind, die Jesus
Christus verkündigt hat in seinem Evangelium."

Wie zahm aber lauteten die Thesen, welche Annahme fanden! 1. "Die re¬
ligiös-sittliche und nationale Bildung zu fördern gehört zu den vornehmsten
Aufgaben der Volksschule" und 2. "Die. Versammlung erblickt in ihr leine
Gefahr für die religiös-sittliche Bildung des Volkes und keine Schädigung des
nationalen Gedankens." Die erste These auszusprechen war vollständig über¬
flüssig, denn ein Zweifel an der religiösen und nationalen Aufgabe der Volks¬
schule ist noch nie geäußert worden. Die Entscheidung über den zweiten Punkt
aber ist nicht Sache der Lehrerversammlung, sondern dessen, dem die Schule
gehört, der Gemeinde oder des Staates.

Der nächstfolgende Vortrag Wolffs (Leipzig) "Ueber das Seelische im
Kinde und die dadurch begründete Nothwendigkeit einer allseitig logisch-psycho¬
logischen Durchbildung des Lehrers" eignete sich gar nicht zur Behandlung in
einer großen Versammlung. Er führte wieder zu einer bescheidenen Resolution,
der jeder zustimmen konnte.

Eine lebhafte Debatte erregte die These des Herrn Professor Hochstetter
(Karlsruhe): "Es ist eine pädagogische, eine methodische, eine nationale For¬
derung, daß in der deutschen Volksschule von Lehrern und Schülern nur Hoch¬
deutsch gesprochen werde." Derer, die für den Dialekt auftraten, gab es genug. Auch
Herr Pfarrer Bähring (Minfeld) brach für ihn eine Lanze. "Ich sage," so
schloß er seine Rede, "wenn die Kinder ein Gedicht wie vom Lehrer Rückert
"der von Hebel oder in Nürnberg von Grübel oder in der Pfalz von unserm


Schule, geführt von Gewaltigen, von Mächtigen, Ich sehe, wie man die Mauern
dieses Bollwerks der allgemeinen Menschenbildung auf den Leiten? der Lüge und
Verleumdung ersteigen will, wie man eindringen will in den geheiligten Tempel
der Volkserziehung, um die frevelnde Hand anzulegen zum Werke der Zerstörung
und Verwüstung ... Da erscheint es mir als Pflicht eines jeden Lehrers, eines
jeden Freundes der modernen Schule, Hinaufzusteigen ans die bedrohten Mauern,
um mit den Waffen der Wahrheit den Feind zurückzutreiben in seine finstern
Schlupfwinkel voll Modergeruch und Grabesluft." Der stenographische Bericht
meldet nach dieser Dithyrambe natürlich ein „Bravo."

Die Debatte über einen so wichtigen Gegenstand war kaum der Rede werth.
Es sprach nämlich nur der Pfarrer Bähring (Minfeld), und dieser sprach nicht
zur Sache. Er schloß aber doch wenigstens mit den intereonfcssionellen Worten:
„Wollen Sie die moderne Volksschule in ihrem Wesen principiell recht begründen,
methodisch recht ordnen, nehmen Sie diesen Philosophen Karl Christian Friedrich
Krause zur Hand, studieren Sie ihn, verbreiten Sie seine Ideen in den Lehrer-
bilduugsanstalteu und lassen Sie dadurch diese modernen Ideen sich immer mehr
auf die Pfeiler der alten Weisheit gründen, die schon bei den Griechen, die
dann bei den Römern, die durch die Kirchenväter, wie Augustinus, mich an¬
erkannt worden sind, und die im wesentlichen dieselben Ideen sind, die Jesus
Christus verkündigt hat in seinem Evangelium."

Wie zahm aber lauteten die Thesen, welche Annahme fanden! 1. „Die re¬
ligiös-sittliche und nationale Bildung zu fördern gehört zu den vornehmsten
Aufgaben der Volksschule" und 2. „Die. Versammlung erblickt in ihr leine
Gefahr für die religiös-sittliche Bildung des Volkes und keine Schädigung des
nationalen Gedankens." Die erste These auszusprechen war vollständig über¬
flüssig, denn ein Zweifel an der religiösen und nationalen Aufgabe der Volks¬
schule ist noch nie geäußert worden. Die Entscheidung über den zweiten Punkt
aber ist nicht Sache der Lehrerversammlung, sondern dessen, dem die Schule
gehört, der Gemeinde oder des Staates.

Der nächstfolgende Vortrag Wolffs (Leipzig) „Ueber das Seelische im
Kinde und die dadurch begründete Nothwendigkeit einer allseitig logisch-psycho¬
logischen Durchbildung des Lehrers" eignete sich gar nicht zur Behandlung in
einer großen Versammlung. Er führte wieder zu einer bescheidenen Resolution,
der jeder zustimmen konnte.

Eine lebhafte Debatte erregte die These des Herrn Professor Hochstetter
(Karlsruhe): „Es ist eine pädagogische, eine methodische, eine nationale For¬
derung, daß in der deutschen Volksschule von Lehrern und Schülern nur Hoch¬
deutsch gesprochen werde." Derer, die für den Dialekt auftraten, gab es genug. Auch
Herr Pfarrer Bähring (Minfeld) brach für ihn eine Lanze. „Ich sage," so
schloß er seine Rede, „wenn die Kinder ein Gedicht wie vom Lehrer Rückert
"der von Hebel oder in Nürnberg von Grübel oder in der Pfalz von unserm


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[0563] Schule, geführt von Gewaltigen, von Mächtigen, Ich sehe, wie man die Mauern dieses Bollwerks der allgemeinen Menschenbildung auf den Leiten? der Lüge und Verleumdung ersteigen will, wie man eindringen will in den geheiligten Tempel der Volkserziehung, um die frevelnde Hand anzulegen zum Werke der Zerstörung und Verwüstung ... Da erscheint es mir als Pflicht eines jeden Lehrers, eines jeden Freundes der modernen Schule, Hinaufzusteigen ans die bedrohten Mauern, um mit den Waffen der Wahrheit den Feind zurückzutreiben in seine finstern Schlupfwinkel voll Modergeruch und Grabesluft." Der stenographische Bericht meldet nach dieser Dithyrambe natürlich ein „Bravo." Die Debatte über einen so wichtigen Gegenstand war kaum der Rede werth. Es sprach nämlich nur der Pfarrer Bähring (Minfeld), und dieser sprach nicht zur Sache. Er schloß aber doch wenigstens mit den intereonfcssionellen Worten: „Wollen Sie die moderne Volksschule in ihrem Wesen principiell recht begründen, methodisch recht ordnen, nehmen Sie diesen Philosophen Karl Christian Friedrich Krause zur Hand, studieren Sie ihn, verbreiten Sie seine Ideen in den Lehrer- bilduugsanstalteu und lassen Sie dadurch diese modernen Ideen sich immer mehr auf die Pfeiler der alten Weisheit gründen, die schon bei den Griechen, die dann bei den Römern, die durch die Kirchenväter, wie Augustinus, mich an¬ erkannt worden sind, und die im wesentlichen dieselben Ideen sind, die Jesus Christus verkündigt hat in seinem Evangelium." Wie zahm aber lauteten die Thesen, welche Annahme fanden! 1. „Die re¬ ligiös-sittliche und nationale Bildung zu fördern gehört zu den vornehmsten Aufgaben der Volksschule" und 2. „Die. Versammlung erblickt in ihr leine Gefahr für die religiös-sittliche Bildung des Volkes und keine Schädigung des nationalen Gedankens." Die erste These auszusprechen war vollständig über¬ flüssig, denn ein Zweifel an der religiösen und nationalen Aufgabe der Volks¬ schule ist noch nie geäußert worden. Die Entscheidung über den zweiten Punkt aber ist nicht Sache der Lehrerversammlung, sondern dessen, dem die Schule gehört, der Gemeinde oder des Staates. Der nächstfolgende Vortrag Wolffs (Leipzig) „Ueber das Seelische im Kinde und die dadurch begründete Nothwendigkeit einer allseitig logisch-psycho¬ logischen Durchbildung des Lehrers" eignete sich gar nicht zur Behandlung in einer großen Versammlung. Er führte wieder zu einer bescheidenen Resolution, der jeder zustimmen konnte. Eine lebhafte Debatte erregte die These des Herrn Professor Hochstetter (Karlsruhe): „Es ist eine pädagogische, eine methodische, eine nationale For¬ derung, daß in der deutschen Volksschule von Lehrern und Schülern nur Hoch¬ deutsch gesprochen werde." Derer, die für den Dialekt auftraten, gab es genug. Auch Herr Pfarrer Bähring (Minfeld) brach für ihn eine Lanze. „Ich sage," so schloß er seine Rede, „wenn die Kinder ein Gedicht wie vom Lehrer Rückert "der von Hebel oder in Nürnberg von Grübel oder in der Pfalz von unserm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/563>, abgerufen am 01.09.2024.