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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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wissenschaftliche Ausbeute anbetrifft, so wird man festhalten müssen, daß jeder
Gegenstand in der stillen Arbeit der Studierstube und in darauf folgender Be¬
sprechung durch die Fachpresse gründlicher erörtert und zu größerer Klarheit
geführt werden kann als in der Arena einer großen Versammlung. Der bei
weitem größte Theil der bei der Vereinigung anwesenden Lehrer ist auf die
Themata, welche zur Verhandlung kommen, gar nicht vorbereitet, hat noch nicht
Stellung dazu genommen und steht daher den Thesen ziemlich rathlos gegen¬
über. Die Resolutionen, welche gefaßt werden, sind demnach von sehr zweifel¬
haftem Werthe und können kaum zur Directive dienen. Man hat dies selbst
schon oft genug gefühlt und giebt deshalb gewöhnlich den Thesen eine unendlich
harmlose Form, in der sie schließlich stets Annahme finden können. Lassen wir nun
unter diesen Gesichtspunkten die in Karlsruhe gehaltenen Vortrage Revue passiren.

Abgesehen von jenem bereits erwähnten Vortrage Hoffmanns, der nach
den Worten des Schuldirectors Kleinere (Dresden) recht eigentlich dazu bestimmt
war, die Versammlung zur Begeisterung hinzureißen, kam folgendes zur Ver¬
handlung. Zuerst sprach der Lehrer Schumacher (Worms) über die moderne,
das heißt interconfessionelle Schule. Er sieht in der modernen Volksschule die
Stätte echt religiös-sittlicher Bildung, der Toleranz und des confessionellen
Friedens. Ueberall, wo sie eingeführt sei, da leuchte das Morgenroth einer
glückverheißenden Zukunft am Himmel der Menschheit; die Nacht finsterer An¬
schauungen fliehe vor dem Lichte wahrer, in der Idee Gottes wurzelnder Menschen¬
bildung. Die Zöglinge der modernen Volksschule lernten sich kennen als Kinder
eines Vaters im Himmel, der für sie alle in gleicher Liebe und Barmherzigkeit
sorge und in dessen unendlicher Liebe die Confcssivnalitcit keine Scheidewand sei.
Jmmermehr träten Zucht und gute Sitten in allen Schichten der Bevölkerung
unsers deutschen Vaterlands zu Tage, aber besonders da, wo die moderne Schule
wirkte. Damit stimmt es genau zusammen, wenn das Organ der Allgemeinen
deutschen Lehrerversammlungen, die Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung, einen
Artikel bringt, dessen Verfasser sich darüber aufhält, daß man vom Lehrer ein
positives Bekenntniß verlange, und es "fast komisch" findet, daß ein Ausschreiben
von vacanten Lehrerstellen an Stadtschulen lautet: "7 Katholiken, 3 Pro¬
testanten." Daß unter andern: auch die Juden fast gnr nicht berücksichtigt würden,
ließe sich wohl auch nicht gut mit dem Princip der confessionslosen Gemeinde-
schulen vereinen. Das sei ein kleiner Zeltschatten. Die Thesen des Referenten
lauteten übrigens, mit Uebergehung der unwesentlichen zweiten, folgendermaßen:
" 1. Eine innere Nothwendigkeit der modernen Schule als Simultanschule ist die
Aufgabe der religiös-sittlichen und nationalen Erziehung" und 3. Sie löst die
Aufgabe der religiös-sittlichen und nationalen Erziehung mit allen ihr zu Ge¬
bote stehenden Mitteln in der vorzüglichsten Weise."

Das hieß nun freilich den Mund sehr voll nehmen. Aber Herr Schumacher
hatte seine Absicht dabei. "Ich sehe," sagte er, "die Kämpfe gegen die moderne


wissenschaftliche Ausbeute anbetrifft, so wird man festhalten müssen, daß jeder
Gegenstand in der stillen Arbeit der Studierstube und in darauf folgender Be¬
sprechung durch die Fachpresse gründlicher erörtert und zu größerer Klarheit
geführt werden kann als in der Arena einer großen Versammlung. Der bei
weitem größte Theil der bei der Vereinigung anwesenden Lehrer ist auf die
Themata, welche zur Verhandlung kommen, gar nicht vorbereitet, hat noch nicht
Stellung dazu genommen und steht daher den Thesen ziemlich rathlos gegen¬
über. Die Resolutionen, welche gefaßt werden, sind demnach von sehr zweifel¬
haftem Werthe und können kaum zur Directive dienen. Man hat dies selbst
schon oft genug gefühlt und giebt deshalb gewöhnlich den Thesen eine unendlich
harmlose Form, in der sie schließlich stets Annahme finden können. Lassen wir nun
unter diesen Gesichtspunkten die in Karlsruhe gehaltenen Vortrage Revue passiren.

Abgesehen von jenem bereits erwähnten Vortrage Hoffmanns, der nach
den Worten des Schuldirectors Kleinere (Dresden) recht eigentlich dazu bestimmt
war, die Versammlung zur Begeisterung hinzureißen, kam folgendes zur Ver¬
handlung. Zuerst sprach der Lehrer Schumacher (Worms) über die moderne,
das heißt interconfessionelle Schule. Er sieht in der modernen Volksschule die
Stätte echt religiös-sittlicher Bildung, der Toleranz und des confessionellen
Friedens. Ueberall, wo sie eingeführt sei, da leuchte das Morgenroth einer
glückverheißenden Zukunft am Himmel der Menschheit; die Nacht finsterer An¬
schauungen fliehe vor dem Lichte wahrer, in der Idee Gottes wurzelnder Menschen¬
bildung. Die Zöglinge der modernen Volksschule lernten sich kennen als Kinder
eines Vaters im Himmel, der für sie alle in gleicher Liebe und Barmherzigkeit
sorge und in dessen unendlicher Liebe die Confcssivnalitcit keine Scheidewand sei.
Jmmermehr träten Zucht und gute Sitten in allen Schichten der Bevölkerung
unsers deutschen Vaterlands zu Tage, aber besonders da, wo die moderne Schule
wirkte. Damit stimmt es genau zusammen, wenn das Organ der Allgemeinen
deutschen Lehrerversammlungen, die Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung, einen
Artikel bringt, dessen Verfasser sich darüber aufhält, daß man vom Lehrer ein
positives Bekenntniß verlange, und es „fast komisch" findet, daß ein Ausschreiben
von vacanten Lehrerstellen an Stadtschulen lautet: „7 Katholiken, 3 Pro¬
testanten." Daß unter andern: auch die Juden fast gnr nicht berücksichtigt würden,
ließe sich wohl auch nicht gut mit dem Princip der confessionslosen Gemeinde-
schulen vereinen. Das sei ein kleiner Zeltschatten. Die Thesen des Referenten
lauteten übrigens, mit Uebergehung der unwesentlichen zweiten, folgendermaßen:
„ 1. Eine innere Nothwendigkeit der modernen Schule als Simultanschule ist die
Aufgabe der religiös-sittlichen und nationalen Erziehung" und 3. Sie löst die
Aufgabe der religiös-sittlichen und nationalen Erziehung mit allen ihr zu Ge¬
bote stehenden Mitteln in der vorzüglichsten Weise."

Das hieß nun freilich den Mund sehr voll nehmen. Aber Herr Schumacher
hatte seine Absicht dabei. „Ich sehe," sagte er, „die Kämpfe gegen die moderne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/562>, abgerufen am 01.09.2024.