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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Rückblicke auf die Lehrervcrsaunnluug in Karlsruhe.

zu erwarten war, machte diese ministerielle Erklärung allgemein böses Blut.
Wer einmal nach Karlsruhe zu gehen gedachte, war darüber entrüstet, daß der
Minister über jene Leserversammlung eine andre und zwar absprechende Mei¬
nung hatte, und wer zu Hause bleiben wollte, dem kam es mindestens eigen¬
thümlich vor, daß der Minister in diesem Falle dem Versammlungsfieber nicht
seinen ruhigen Verlauf gönnte. Andre zweifelten überhaupt, ob man ohne
weiteres dem Minister bei der Begründung seines Entschlusses glauben dürfe.
Bald fand man auch den Grund ganz wo anders. "Herr v. Puttkamer,"
schrieb ein fortschrittliches Blatt, "ist offenbar kein Freund dieser Versammlung,
deren bewegendes Grundprincip die Selbständigkeit der Schule ist, während der
Leiter des Unterrichts in Preußen den Einfluß der Geistlichkeit in der Schule
wieder maßgebend machen möchte." Andre drückten sich anders aus. Der Sinn
aber war allenthalben der nämliche.

Damit war denn glücklich die Sache zu einer politischen Haupt- und Staats-
aetion aufgebanscht. Hie Leserversammlung -- hie Puttkamer, hie Freiheit und
Fortschritt -- hie Herrschaft der Kirche und mittelalterliches Dunkel! So lau¬
teten die Schlachtrufe, die von beiden Seiten sich erhoben.

Aber die Weltgeschichte ging ihren Gang ruhig weiter, und die Versamm¬
lung fand statt. Zwar war die Zahl der Lehrer, die sich in Karlsruhe ein¬
fanden, nicht so groß, wie man es von früher her gewöhnt war; man
konnte sich aber damit trösten, daß bei einer großen Menge namentlich preu¬
ßischer Lehrer die Urlaubsverweigerung der Grund des Fernbleibens sei, nicht
etwa der erschütterte Glaube an den Nutzen solcher Versammlungen. Ganz
freilich wollte der Trost nicht vorhalten. Mehr als einmal ging ein elegischer
Zug dnrch die Versammlung, und die gedrückte Leichenschmausstimmung konnte
dadurch, daß man den Mund recht vollnahm von dem Segen freier Lehrerver-
einiguugen, nicht wcggeredct werden. Ein schlimmes Zeichen war es auch, das;
ein besondrer Vortrag über den Zweck und den Nutzen der Versammlung ge¬
halten wurde und folgende These Annahme fand: "Zur Hebung des Schul¬
wesens sind die freien Lehrervereine und Leserversammlungen ein ebenso noth¬
wendiges als erfolgreiches Mittel." Es erinnerte dies an jene Gewohnheit
belagerter und ausgehungerter Städte, deren Bewohner Brote über den Wall
hinauswerfen, um bei dem Feinde den Glauben zu erwecken, sie hätten noch
vollauf zu leben.

Aber es war doch Großes geschehen. Korns, könnts, sreck. Herr von Putt¬
kamer hatte wieder einmal geirrt, als er den preußischen Lehrern den Weg eigner
Entwicklung, den Weg zur Hebung des Schulwesens eigenmächtig verlegte, und
eine schwere Schuld trifft die Häupter der Königsberger Stadtverordneten, welche
die von bildungsbedürftigen Volksschullehrern erbetene Reiseunterstützung zum
Besuche der Allgemeinen deutschen Lehrerversammlung, verblendet durch die mi¬
nisterielle Erklärung, nicht bewilligten.


Rückblicke auf die Lehrervcrsaunnluug in Karlsruhe.

zu erwarten war, machte diese ministerielle Erklärung allgemein böses Blut.
Wer einmal nach Karlsruhe zu gehen gedachte, war darüber entrüstet, daß der
Minister über jene Leserversammlung eine andre und zwar absprechende Mei¬
nung hatte, und wer zu Hause bleiben wollte, dem kam es mindestens eigen¬
thümlich vor, daß der Minister in diesem Falle dem Versammlungsfieber nicht
seinen ruhigen Verlauf gönnte. Andre zweifelten überhaupt, ob man ohne
weiteres dem Minister bei der Begründung seines Entschlusses glauben dürfe.
Bald fand man auch den Grund ganz wo anders. „Herr v. Puttkamer,"
schrieb ein fortschrittliches Blatt, „ist offenbar kein Freund dieser Versammlung,
deren bewegendes Grundprincip die Selbständigkeit der Schule ist, während der
Leiter des Unterrichts in Preußen den Einfluß der Geistlichkeit in der Schule
wieder maßgebend machen möchte." Andre drückten sich anders aus. Der Sinn
aber war allenthalben der nämliche.

Damit war denn glücklich die Sache zu einer politischen Haupt- und Staats-
aetion aufgebanscht. Hie Leserversammlung — hie Puttkamer, hie Freiheit und
Fortschritt — hie Herrschaft der Kirche und mittelalterliches Dunkel! So lau¬
teten die Schlachtrufe, die von beiden Seiten sich erhoben.

Aber die Weltgeschichte ging ihren Gang ruhig weiter, und die Versamm¬
lung fand statt. Zwar war die Zahl der Lehrer, die sich in Karlsruhe ein¬
fanden, nicht so groß, wie man es von früher her gewöhnt war; man
konnte sich aber damit trösten, daß bei einer großen Menge namentlich preu¬
ßischer Lehrer die Urlaubsverweigerung der Grund des Fernbleibens sei, nicht
etwa der erschütterte Glaube an den Nutzen solcher Versammlungen. Ganz
freilich wollte der Trost nicht vorhalten. Mehr als einmal ging ein elegischer
Zug dnrch die Versammlung, und die gedrückte Leichenschmausstimmung konnte
dadurch, daß man den Mund recht vollnahm von dem Segen freier Lehrerver-
einiguugen, nicht wcggeredct werden. Ein schlimmes Zeichen war es auch, das;
ein besondrer Vortrag über den Zweck und den Nutzen der Versammlung ge¬
halten wurde und folgende These Annahme fand: „Zur Hebung des Schul¬
wesens sind die freien Lehrervereine und Leserversammlungen ein ebenso noth¬
wendiges als erfolgreiches Mittel." Es erinnerte dies an jene Gewohnheit
belagerter und ausgehungerter Städte, deren Bewohner Brote über den Wall
hinauswerfen, um bei dem Feinde den Glauben zu erwecken, sie hätten noch
vollauf zu leben.

Aber es war doch Großes geschehen. Korns, könnts, sreck. Herr von Putt¬
kamer hatte wieder einmal geirrt, als er den preußischen Lehrern den Weg eigner
Entwicklung, den Weg zur Hebung des Schulwesens eigenmächtig verlegte, und
eine schwere Schuld trifft die Häupter der Königsberger Stadtverordneten, welche
die von bildungsbedürftigen Volksschullehrern erbetene Reiseunterstützung zum
Besuche der Allgemeinen deutschen Lehrerversammlung, verblendet durch die mi¬
nisterielle Erklärung, nicht bewilligten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/559>, abgerufen am 01.09.2024.