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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die ägyptische Frage.

nicht zu dem Unfug gekommen sein, der seitdem zu beklagen war. Sie haben
eben allmählich ihre eigne Stärke und die Schwäche und Energielosigkeit ihres
Gebieters herausgefunden und darnach gehandelt. Dies muß an den Führern
bestraft, das Heer muß umgeschaffen und stark vermindert werden. Aegypten
braucht gute Köpfe und fleißige Hände für das Werk des Friedens, und es
braucht keine Soldaten, die unbeschäftigt nutzlos sind und auf arge Gedanken
kommen, mit denen sie eine Gefahr für die heimischen und nicht minder für die
europäischen Interessen werden.

Die Herstellung der Ordnung kann, wie es scheint, wenn sie Dauer haben
soll, nur von außen her bewerkstelligt werden. In Frankreich möchte man eine
gemeinsame Occupation des Landes durch französische und englische Truppen,
in England will man davon nichts wissen. Viele dagegen sind hier für eine
Intervention der Pforte. Dieselbe hat indeß ebenfalls ihr Bedenkliches. Zu¬
nächst wird Frankreich auf einen solchen Vorschlag gewiß nicht leicht eingehen,
da ein Einschreiten der Türken am Nil das Ansehen des Sultans in ganz
Nordafrika erhöhen, dasjenige Frankreichs dagegen in demselben Maße ver¬
mindern würde. Man klagt in Paris die ottomanische Regierung an, überall
am Südrande des Mittelmeeres gegen die französische Politik und die franzö¬
sischen Interessen Ränke gesponnen zu haben. Eine türkische Besetzung Aeghptens
würde von den Führern der Insurgenten in Tunis und Algerien geschickt be¬
nutzt werden, wogegen das Erscheinen eines britischen Heeres am Nil, wenn
es einem französischen an die Seite träte, unausbleiblich deren Hoffnungen und
Bestrebungen schweren Abbruch thun würde. Alle Traditionen der französischen
Diplomatie weisen auf ein thatsächlich von der Pforte unabhängiges Aegypten
hin. Das nationale Interesse am Suezeanal hat zu alten Neigungen materielle
Triebfedern kommen lassen, die Rebellion in Algerien und Tunis der frühern
Abneigung vor allem Wiederaufleben des muhammedanischen Einflusses neue
Gründe geliefert. Auch das Ministerium Gladstone sieht mit der Politik, die
es der Türkei gegenüber proclamirt und nach Kräften befolgt hat, nicht aus,
als ob es Lust haben würde, eine locale Revolte in Aegypten durch türkische
Tabors und Paschas unterdrücken zu lassen. Aber die Lage ist ernst, und
Aegypten ist kein Bulgarien. Es giebt dort kein "Volk," das sich auch nur
leidlich selbst regieren könnte. Die Fellcchin sind bereit, sich jeder Regierung
zu unterwerfen, welche sich ihnen mit Gewalt aufdrängt, jeder energische Soldat,
auch Arabi Bey also, kann sich zum Herrn über ihr Leben und ihr Eigenthum
macheu. Aegypten ist in den letzten Jahren europäisirt und civilisirt worden-
Dieses ganze Reformwerk wäre bedroht, wenn man unthätig zuschauen wollte,
wie ein Rädelsführer von meuterischen Soldaten sich auf den Stuhl des Khedive
setzte. Der Suezeanal, die große Handelsstraße zwischen England und Britisch-
Jndien, steht jetzt unter doppelter Vormundschaft. Sie läuft durch ein Gebiet,
welches in der politischen Nomenclatur noch zum ottomanischen Reiche gerechnet


Die ägyptische Frage.

nicht zu dem Unfug gekommen sein, der seitdem zu beklagen war. Sie haben
eben allmählich ihre eigne Stärke und die Schwäche und Energielosigkeit ihres
Gebieters herausgefunden und darnach gehandelt. Dies muß an den Führern
bestraft, das Heer muß umgeschaffen und stark vermindert werden. Aegypten
braucht gute Köpfe und fleißige Hände für das Werk des Friedens, und es
braucht keine Soldaten, die unbeschäftigt nutzlos sind und auf arge Gedanken
kommen, mit denen sie eine Gefahr für die heimischen und nicht minder für die
europäischen Interessen werden.

Die Herstellung der Ordnung kann, wie es scheint, wenn sie Dauer haben
soll, nur von außen her bewerkstelligt werden. In Frankreich möchte man eine
gemeinsame Occupation des Landes durch französische und englische Truppen,
in England will man davon nichts wissen. Viele dagegen sind hier für eine
Intervention der Pforte. Dieselbe hat indeß ebenfalls ihr Bedenkliches. Zu¬
nächst wird Frankreich auf einen solchen Vorschlag gewiß nicht leicht eingehen,
da ein Einschreiten der Türken am Nil das Ansehen des Sultans in ganz
Nordafrika erhöhen, dasjenige Frankreichs dagegen in demselben Maße ver¬
mindern würde. Man klagt in Paris die ottomanische Regierung an, überall
am Südrande des Mittelmeeres gegen die französische Politik und die franzö¬
sischen Interessen Ränke gesponnen zu haben. Eine türkische Besetzung Aeghptens
würde von den Führern der Insurgenten in Tunis und Algerien geschickt be¬
nutzt werden, wogegen das Erscheinen eines britischen Heeres am Nil, wenn
es einem französischen an die Seite träte, unausbleiblich deren Hoffnungen und
Bestrebungen schweren Abbruch thun würde. Alle Traditionen der französischen
Diplomatie weisen auf ein thatsächlich von der Pforte unabhängiges Aegypten
hin. Das nationale Interesse am Suezeanal hat zu alten Neigungen materielle
Triebfedern kommen lassen, die Rebellion in Algerien und Tunis der frühern
Abneigung vor allem Wiederaufleben des muhammedanischen Einflusses neue
Gründe geliefert. Auch das Ministerium Gladstone sieht mit der Politik, die
es der Türkei gegenüber proclamirt und nach Kräften befolgt hat, nicht aus,
als ob es Lust haben würde, eine locale Revolte in Aegypten durch türkische
Tabors und Paschas unterdrücken zu lassen. Aber die Lage ist ernst, und
Aegypten ist kein Bulgarien. Es giebt dort kein „Volk," das sich auch nur
leidlich selbst regieren könnte. Die Fellcchin sind bereit, sich jeder Regierung
zu unterwerfen, welche sich ihnen mit Gewalt aufdrängt, jeder energische Soldat,
auch Arabi Bey also, kann sich zum Herrn über ihr Leben und ihr Eigenthum
macheu. Aegypten ist in den letzten Jahren europäisirt und civilisirt worden-
Dieses ganze Reformwerk wäre bedroht, wenn man unthätig zuschauen wollte,
wie ein Rädelsführer von meuterischen Soldaten sich auf den Stuhl des Khedive
setzte. Der Suezeanal, die große Handelsstraße zwischen England und Britisch-
Jndien, steht jetzt unter doppelter Vormundschaft. Sie läuft durch ein Gebiet,
welches in der politischen Nomenclatur noch zum ottomanischen Reiche gerechnet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/540>, abgerufen am 01.09.2024.