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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die ägyptische Frage.

welche die Prätorianer spielen oder, was näher liegt, die eilte Herrschaft der
Mameluken wieder aufleben lassen möchten.

Mit den Meuterern wird also von denen, die in Aegypten wirklich die
Macht in der Hand halten, nicht pactirt werden. Es fragt sich nur, wie mit
ihnen zu Verfahren sein wird. Der Khedive Tewfik ist, wie sich gezeigt hat,
ein schwacher, unentschlossener Herr, der sich selbst nicht zu rathen und zu helfen
weiß. Er hat bereits Aufsässigkeiten und dreiste Anmaßung seiner Truppen
erlebt, er mußte wissen, daß wieder Unheil und Unfug gebraut wurde, und es
kann ihm nicht verborgen sein, daß die Revolte vom 9. September nicht die
letzte sein wird, wenn ihre nächsten Urheber und Ursachen nicht beseitigt werden.
Es sind somit Präventivmaßregeln zu treffen oder vielmehr, sie hätten schon
getroffen sein sollen, als die Erneute stattfand. Die Geschichte konnte in
dieser Richtung einige Fingerzeige geben. Mehemed Ali litt vor nunmehr
vierzig Jahren ebenfalls unter Prätensionen seiner Soldaten und sah sich
endlich vor die Frage gestellt, ob er oder sie Herr im Lande. Er löste die
Frage als ebenso entschlossener wie treu- und gewissenloser Despot. Er lockte
die tapfern, aber turbulenter Mameluken in seine Citadelle, ließ die Mehrzahl
hier so lange mit Flintenschüssen und Kartätschen bearbeiten, bis keiner mehr
aufrecht stand, und verfolgte den Rest wie Raubthiere bis nach dem Sudan,
wobei die meisten ohne Gnade niedergemacht wurden. Zwanzig Jahre später
machte Sultan Machmud gleichfalls kurzen Proceß mit seinen nnregierbaren
Janitscharen, da er fand, daß sie mehr eine Gefahr für den Frieden seines
Reichs als ein nützliches Werkzeug im Kriege waren. Wir empfehlen und er¬
warten keine solche Radiealeur. Wir leben in andern Zeiten und unter andern Sitten,
auch scheinen die Verhältnisse in Aegypten keine so strenge Ahndung des Ge¬
schehenen zu erfordern. Die Schwierigkeit ist nicht so ernst wie in jenen Fällen,
und obwohl sich gegen mehrere von den möglichen Lösungen des Problems Ein¬
wendungen erheben lassen, würde keins derselben unwirksam sein und gegen das
öffentliche Gewissen verstoßen. Der Khedive selbst scheint, wie angedeutet, bei
seinem Charakter außer Stande, seiner Armee gegenüber die Ordnung auf die
Dauer aufrecht zu erhalten. Also muß Beistand von auswärts kommen.
Die Mächte, welche ein Interesse daran haben, daß in Aegypten Ruhe und
Sicherheit herrschen, müssen sich darüber verstündigen. Es fragt sich nur,
welcher Art dieses Interesse ist, wohin es zielt und wo es aufhört. Ueber-
einstimmend haben Frankreich und England die Aufgabe übernommen, die
Verwaltung in Aegypten, die unter dem vorigen Kedive zu ärgster Mißwirth¬
schaft ausgeartet war, zu controliren, und ihre Oberaufsicht hat ihnen und dem
Lande selbst gute Erfolge gewährt. Aegypten gewann in kurzer Zeit seinen
vollen Credit wieder, in die Administration zog Ordnung und Ehrlichkeit ein,
kurz, unter dem moralischen Protectorate Englands und Frankreichs gewann
das Land nicht bloß seinen frühern Wohlstand zurück, sondern auch Hoffnung


Die ägyptische Frage.

welche die Prätorianer spielen oder, was näher liegt, die eilte Herrschaft der
Mameluken wieder aufleben lassen möchten.

Mit den Meuterern wird also von denen, die in Aegypten wirklich die
Macht in der Hand halten, nicht pactirt werden. Es fragt sich nur, wie mit
ihnen zu Verfahren sein wird. Der Khedive Tewfik ist, wie sich gezeigt hat,
ein schwacher, unentschlossener Herr, der sich selbst nicht zu rathen und zu helfen
weiß. Er hat bereits Aufsässigkeiten und dreiste Anmaßung seiner Truppen
erlebt, er mußte wissen, daß wieder Unheil und Unfug gebraut wurde, und es
kann ihm nicht verborgen sein, daß die Revolte vom 9. September nicht die
letzte sein wird, wenn ihre nächsten Urheber und Ursachen nicht beseitigt werden.
Es sind somit Präventivmaßregeln zu treffen oder vielmehr, sie hätten schon
getroffen sein sollen, als die Erneute stattfand. Die Geschichte konnte in
dieser Richtung einige Fingerzeige geben. Mehemed Ali litt vor nunmehr
vierzig Jahren ebenfalls unter Prätensionen seiner Soldaten und sah sich
endlich vor die Frage gestellt, ob er oder sie Herr im Lande. Er löste die
Frage als ebenso entschlossener wie treu- und gewissenloser Despot. Er lockte
die tapfern, aber turbulenter Mameluken in seine Citadelle, ließ die Mehrzahl
hier so lange mit Flintenschüssen und Kartätschen bearbeiten, bis keiner mehr
aufrecht stand, und verfolgte den Rest wie Raubthiere bis nach dem Sudan,
wobei die meisten ohne Gnade niedergemacht wurden. Zwanzig Jahre später
machte Sultan Machmud gleichfalls kurzen Proceß mit seinen nnregierbaren
Janitscharen, da er fand, daß sie mehr eine Gefahr für den Frieden seines
Reichs als ein nützliches Werkzeug im Kriege waren. Wir empfehlen und er¬
warten keine solche Radiealeur. Wir leben in andern Zeiten und unter andern Sitten,
auch scheinen die Verhältnisse in Aegypten keine so strenge Ahndung des Ge¬
schehenen zu erfordern. Die Schwierigkeit ist nicht so ernst wie in jenen Fällen,
und obwohl sich gegen mehrere von den möglichen Lösungen des Problems Ein¬
wendungen erheben lassen, würde keins derselben unwirksam sein und gegen das
öffentliche Gewissen verstoßen. Der Khedive selbst scheint, wie angedeutet, bei
seinem Charakter außer Stande, seiner Armee gegenüber die Ordnung auf die
Dauer aufrecht zu erhalten. Also muß Beistand von auswärts kommen.
Die Mächte, welche ein Interesse daran haben, daß in Aegypten Ruhe und
Sicherheit herrschen, müssen sich darüber verstündigen. Es fragt sich nur,
welcher Art dieses Interesse ist, wohin es zielt und wo es aufhört. Ueber-
einstimmend haben Frankreich und England die Aufgabe übernommen, die
Verwaltung in Aegypten, die unter dem vorigen Kedive zu ärgster Mißwirth¬
schaft ausgeartet war, zu controliren, und ihre Oberaufsicht hat ihnen und dem
Lande selbst gute Erfolge gewährt. Aegypten gewann in kurzer Zeit seinen
vollen Credit wieder, in die Administration zog Ordnung und Ehrlichkeit ein,
kurz, unter dem moralischen Protectorate Englands und Frankreichs gewann
das Land nicht bloß seinen frühern Wohlstand zurück, sondern auch Hoffnung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/536>, abgerufen am 01.09.2024.