Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.politische Briefe. glück zu stürzen. Als er gesagt hatte, die Einheit Deutschlands könne nur durch Das Schauspiel, das wir schon oft erlebt, erleben wir heute mit der Social- Nun, die Zeit wird kommen, wo der wilde Chor von hente selbstgefällig politische Briefe. glück zu stürzen. Als er gesagt hatte, die Einheit Deutschlands könne nur durch Das Schauspiel, das wir schon oft erlebt, erleben wir heute mit der Social- Nun, die Zeit wird kommen, wo der wilde Chor von hente selbstgefällig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150677"/> <fw type="header" place="top"> politische Briefe.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1693" prev="#ID_1692"> glück zu stürzen. Als er gesagt hatte, die Einheit Deutschlands könne nur durch<lb/> Blut und Eisen hergestellt werden, hielt man dieses Wort für den Ausspruch<lb/> eines Irren. Ein Weiser jener Tage setzte diesem Ausspruch die Wahrheit der<lb/> normalen Vernunft entgegen: die Einheit werde durch Kohle und Eisen gemacht<lb/> werden. Dies Wort ist ungemein charakteristisch und muß dem ewigen Ge¬<lb/> dächtniß übergeben werden. Es spiegelt sich darin ungemein klar das Verhältniß<lb/> der Durchschnittsintelligenz zur Intelligenz des Fürsten Bismarck. ein Verhältniß,<lb/> das bis auf den heutigen Tag sich nicht um die kleinste Deeimcilstelle geändert<lb/> hat. Aus dem Abstand dieser beiden Intelligenzen erklärt sich jene seltsame Er-<lb/> scheinung, daß der Durchschuittsverstand unsrer Tage den Fürsten Bismarck<lb/> unermüdlich für einen Narren erklärt. Das Seltsame erreicht den höchsten Grad<lb/> des Komischen, wenn man beachtet, wie der Durchschnittsverstand das Gestern<lb/> desselben Mannes beurtheilt, den er eben wieder auf dem Wege zur gefährlichste»<lb/> Thorheit erblicken will. Was der Mann gestern und die vorhergehenden Tage<lb/> gethan hat, eine Reihe von großen und schönen Dingen — die hat der Durch¬<lb/> schnittsverstand gethan. Für diese Beurtheilung der Erfolge, wenn sie fertig<lb/> sind, ist ebenso typisch, wie der Ausspruch von Kohle und Eisen für die erst<lb/> angefangnen Werke, jener Tomsk des Herrn Mommsen: Fürst Bismarck habe<lb/> für die deutsche Einheit nichts weiter gethan als etwa der Schreiner, der in<lb/> den fertigen Schrank den letzten Pflock schlägt oder allenfalls die Thüre einhebt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1694"> Das Schauspiel, das wir schon oft erlebt, erleben wir heute mit der Social-<lb/> «form des Kanzlers. Alle Welt ist einig über die thörichte Ungeheuerlichkeit<lb/> und über die ungeheure Thorheit dieser Pläne. Daß die „Vosissche Zeitung"<lb/> den Weckruf zur Einigkeit aller Liberalen erschallen läßt, um den Folgen des<lb/> ..entsetzlichen Rückgangs oder vielmehr der Vernichtung aller Staatskunst im<lb/> deutschen Reiche" vorzubeugen, wird niemanden wundern. Aber auch der „Ham-<lb/> burgische Korrespondent," ein ernsthaftes und. was mehr sagen will, ein der<lb/> Socialreform ernsthaft zugekehrtes Blatt, stößt einen so grimmigen Wehruf aus,<lb/> daß ihn die „Vossische Zeitung" mit ihren Chorbrüdern nicht erreichen kann.<lb/> Im Hamburger Blatt heißt es: „Die große Zahl unbefangner Zuschauer könne<lb/> sich der Befürchtung nicht entziehen, es sei auch dieses mal — nämlich wie<lb/> 1864, wie 1866 u. s. w. — nicht auf die officiell proclamirteu Ziele, sondern<lb/> °uf gouvernementale Machtinteressen und wechselnde Opportunitütszwccke ab¬<lb/> gesehen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1695"> Nun, die Zeit wird kommen, wo der wilde Chor von hente selbstgefällig<lb/> schmunzelnd singen wird: „Die Socialreform der achtziger Jahre, die haben wir<lb/> gemacht. Wir haben immer die tollen Utopien der Socialdemokratie bekämpft;<lb/> >M'r haben immer gewußt, daß es gleichwohl einen Weg zu diesem Problem<lb/> gebe, mir haben ihn auch angedeutet, da und da. Der Unterschied ist ungefähr<lb/> ""e Mische» Kohle und Eisen oder Blut und Eisen, es ist ungefähr dasselbe;<lb/> Unser sei der Ruhm, der uns gebührt!"</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0527]
politische Briefe.
glück zu stürzen. Als er gesagt hatte, die Einheit Deutschlands könne nur durch
Blut und Eisen hergestellt werden, hielt man dieses Wort für den Ausspruch
eines Irren. Ein Weiser jener Tage setzte diesem Ausspruch die Wahrheit der
normalen Vernunft entgegen: die Einheit werde durch Kohle und Eisen gemacht
werden. Dies Wort ist ungemein charakteristisch und muß dem ewigen Ge¬
dächtniß übergeben werden. Es spiegelt sich darin ungemein klar das Verhältniß
der Durchschnittsintelligenz zur Intelligenz des Fürsten Bismarck. ein Verhältniß,
das bis auf den heutigen Tag sich nicht um die kleinste Deeimcilstelle geändert
hat. Aus dem Abstand dieser beiden Intelligenzen erklärt sich jene seltsame Er-
scheinung, daß der Durchschuittsverstand unsrer Tage den Fürsten Bismarck
unermüdlich für einen Narren erklärt. Das Seltsame erreicht den höchsten Grad
des Komischen, wenn man beachtet, wie der Durchschnittsverstand das Gestern
desselben Mannes beurtheilt, den er eben wieder auf dem Wege zur gefährlichste»
Thorheit erblicken will. Was der Mann gestern und die vorhergehenden Tage
gethan hat, eine Reihe von großen und schönen Dingen — die hat der Durch¬
schnittsverstand gethan. Für diese Beurtheilung der Erfolge, wenn sie fertig
sind, ist ebenso typisch, wie der Ausspruch von Kohle und Eisen für die erst
angefangnen Werke, jener Tomsk des Herrn Mommsen: Fürst Bismarck habe
für die deutsche Einheit nichts weiter gethan als etwa der Schreiner, der in
den fertigen Schrank den letzten Pflock schlägt oder allenfalls die Thüre einhebt.
Das Schauspiel, das wir schon oft erlebt, erleben wir heute mit der Social-
«form des Kanzlers. Alle Welt ist einig über die thörichte Ungeheuerlichkeit
und über die ungeheure Thorheit dieser Pläne. Daß die „Vosissche Zeitung"
den Weckruf zur Einigkeit aller Liberalen erschallen läßt, um den Folgen des
..entsetzlichen Rückgangs oder vielmehr der Vernichtung aller Staatskunst im
deutschen Reiche" vorzubeugen, wird niemanden wundern. Aber auch der „Ham-
burgische Korrespondent," ein ernsthaftes und. was mehr sagen will, ein der
Socialreform ernsthaft zugekehrtes Blatt, stößt einen so grimmigen Wehruf aus,
daß ihn die „Vossische Zeitung" mit ihren Chorbrüdern nicht erreichen kann.
Im Hamburger Blatt heißt es: „Die große Zahl unbefangner Zuschauer könne
sich der Befürchtung nicht entziehen, es sei auch dieses mal — nämlich wie
1864, wie 1866 u. s. w. — nicht auf die officiell proclamirteu Ziele, sondern
°uf gouvernementale Machtinteressen und wechselnde Opportunitütszwccke ab¬
gesehen."
Nun, die Zeit wird kommen, wo der wilde Chor von hente selbstgefällig
schmunzelnd singen wird: „Die Socialreform der achtziger Jahre, die haben wir
gemacht. Wir haben immer die tollen Utopien der Socialdemokratie bekämpft;
>M'r haben immer gewußt, daß es gleichwohl einen Weg zu diesem Problem
gebe, mir haben ihn auch angedeutet, da und da. Der Unterschied ist ungefähr
""e Mische» Kohle und Eisen oder Blut und Eisen, es ist ungefähr dasselbe;
Unser sei der Ruhm, der uns gebührt!"
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