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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

welcher in eine Sackgasse führt, aus der ihn nur schleunige Umkehr retten
kaun. Er hat sich so in archaistische Studie" vertieft, daß er die Welt und
die Menschen nur uoch mit den Augen der alten flämischen, niederrheinischen
und westfälischen Meister ansteht. Die Menschheit ist ihm der Jubegriff
aller Unvollkommensten. Zu Zeugen des heiligen Vorgangs macht er mi߬
gestaltete Personen mit ungelenken Gliedern, deren verkümmerte Gesichter
durch den Ausdruck einer bis zum Fanatismus gesteigerten religiösen Ver¬
zückung noch unsympathischer wirken. Christus leidet an denselben körperlichen
Mängeln wie die andächtige Gemeinde, welcher er durch eine Wolke entrückt wird.
Diese Wolke ist so massiv gehalten, als wäre sie aus Holz geschnitzt oder aus
Stein gemeißelt. Die Naivetät der Schilderung geht also in der Nachahmung
der alten Meister bis zu der Grenze, wo sie absurd zu werden beginnt. Auch
die Farbe ist unerfreulich und stumpf, so daß nicht einmal cvloristische Reize
für die Aermlichkeit und Reizlosigkeit der Darstellung entschädigen. Keine Spur
von der Glorie der göttlichen Majestät, von dem Verheißungsvolleu Triumph
des Ewigen über das Irdische! Es ist beklagenswerth, daß ein Künstler, der
zur Lösung der höchsten Aufgaben berufen ist, seine originelle Begabung in Ex¬
perimenten verzettelt, welche mit dem Geiste der Zeit in vollstem Widerspruche
stehen.

Diesem Geiste der Zeit hat Graf Harrach in seiner "Versuchung Christi"
die weitgehendsten Concessionen gemacht. Das Bild sieht aus wie ein Capitel
aus Ernest Renan. Graf Harrach ist eigentlich Landschaftsmaler, ein Schüler
des Grafen Kalckreuth, und liebt wie sein Lehrer die Romantik phantastischer
Lichtcffcctc. Von dem Berge, auf welchem der Sohn Gottes steht, blickt man
in eine herrliche Landschaft mit Schlössern, Burgen, Städten und anmuthigen
Thälern, im Hintergrunde das Meer, das Ganze von dem goldenen Lichte
der untergehenden Sonne umflossen. Zur Seite des Heilands schwebt nicht der
Versucher, sondern von leichtem Nebel umwallt ein schönes, nacktes Weib mit
den Attributen der Fortuna, welches ihrem standhaften Opfer verführerisch zu¬
lächelt. Es ist also nicht mehr der gewaltige Dämon des Ehrgeizes, welcher
die Rolle des Versuchers spielt, sondern die Personification niedriger, mensch¬
licher Begierden. Die Scene ist damit beinahe in die Sphäre des heiligen An-
tonius hinabgerückt. Ich glaube nicht, daß ein wirklich frommes Gemüth an
dieser Interpretation der heiligen Ueberlieferung. welche den Sohn Gottes zu
"nem gewöhnlichen Glücksritter stempeln will, trotz der edeln, fast erhabenen
'luffassung des letzter,, und trotz des Renanischen Farbenzaubers Gefallen finden
tvird. Mit religiösen Empfindungen darf man kein Spiel treiben. Verletzt bei
"Hinunelfahrt" E. v. Gebhardts die übergroße Trivialität in der Charakteristik,
so stört auf dem Bilde des Grafen Harrach das theatralische Brillantfeuer, das
und für sich ganz schön, aber nicht Mittel zum Zweck ist, sondern als Selbst¬
zweck z" se^k in den Vordergrund tritt. Man kann vor diesem Gemälde wieder


Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

welcher in eine Sackgasse führt, aus der ihn nur schleunige Umkehr retten
kaun. Er hat sich so in archaistische Studie» vertieft, daß er die Welt und
die Menschen nur uoch mit den Augen der alten flämischen, niederrheinischen
und westfälischen Meister ansteht. Die Menschheit ist ihm der Jubegriff
aller Unvollkommensten. Zu Zeugen des heiligen Vorgangs macht er mi߬
gestaltete Personen mit ungelenken Gliedern, deren verkümmerte Gesichter
durch den Ausdruck einer bis zum Fanatismus gesteigerten religiösen Ver¬
zückung noch unsympathischer wirken. Christus leidet an denselben körperlichen
Mängeln wie die andächtige Gemeinde, welcher er durch eine Wolke entrückt wird.
Diese Wolke ist so massiv gehalten, als wäre sie aus Holz geschnitzt oder aus
Stein gemeißelt. Die Naivetät der Schilderung geht also in der Nachahmung
der alten Meister bis zu der Grenze, wo sie absurd zu werden beginnt. Auch
die Farbe ist unerfreulich und stumpf, so daß nicht einmal cvloristische Reize
für die Aermlichkeit und Reizlosigkeit der Darstellung entschädigen. Keine Spur
von der Glorie der göttlichen Majestät, von dem Verheißungsvolleu Triumph
des Ewigen über das Irdische! Es ist beklagenswerth, daß ein Künstler, der
zur Lösung der höchsten Aufgaben berufen ist, seine originelle Begabung in Ex¬
perimenten verzettelt, welche mit dem Geiste der Zeit in vollstem Widerspruche
stehen.

Diesem Geiste der Zeit hat Graf Harrach in seiner „Versuchung Christi"
die weitgehendsten Concessionen gemacht. Das Bild sieht aus wie ein Capitel
aus Ernest Renan. Graf Harrach ist eigentlich Landschaftsmaler, ein Schüler
des Grafen Kalckreuth, und liebt wie sein Lehrer die Romantik phantastischer
Lichtcffcctc. Von dem Berge, auf welchem der Sohn Gottes steht, blickt man
in eine herrliche Landschaft mit Schlössern, Burgen, Städten und anmuthigen
Thälern, im Hintergrunde das Meer, das Ganze von dem goldenen Lichte
der untergehenden Sonne umflossen. Zur Seite des Heilands schwebt nicht der
Versucher, sondern von leichtem Nebel umwallt ein schönes, nacktes Weib mit
den Attributen der Fortuna, welches ihrem standhaften Opfer verführerisch zu¬
lächelt. Es ist also nicht mehr der gewaltige Dämon des Ehrgeizes, welcher
die Rolle des Versuchers spielt, sondern die Personification niedriger, mensch¬
licher Begierden. Die Scene ist damit beinahe in die Sphäre des heiligen An-
tonius hinabgerückt. Ich glaube nicht, daß ein wirklich frommes Gemüth an
dieser Interpretation der heiligen Ueberlieferung. welche den Sohn Gottes zu
"nem gewöhnlichen Glücksritter stempeln will, trotz der edeln, fast erhabenen
'luffassung des letzter,, und trotz des Renanischen Farbenzaubers Gefallen finden
tvird. Mit religiösen Empfindungen darf man kein Spiel treiben. Verletzt bei
„Hinunelfahrt" E. v. Gebhardts die übergroße Trivialität in der Charakteristik,
so stört auf dem Bilde des Grafen Harrach das theatralische Brillantfeuer, das
und für sich ganz schön, aber nicht Mittel zum Zweck ist, sondern als Selbst¬
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[0523] Die akademische Kunstausstellung in Berlin. welcher in eine Sackgasse führt, aus der ihn nur schleunige Umkehr retten kaun. Er hat sich so in archaistische Studie» vertieft, daß er die Welt und die Menschen nur uoch mit den Augen der alten flämischen, niederrheinischen und westfälischen Meister ansteht. Die Menschheit ist ihm der Jubegriff aller Unvollkommensten. Zu Zeugen des heiligen Vorgangs macht er mi߬ gestaltete Personen mit ungelenken Gliedern, deren verkümmerte Gesichter durch den Ausdruck einer bis zum Fanatismus gesteigerten religiösen Ver¬ zückung noch unsympathischer wirken. Christus leidet an denselben körperlichen Mängeln wie die andächtige Gemeinde, welcher er durch eine Wolke entrückt wird. Diese Wolke ist so massiv gehalten, als wäre sie aus Holz geschnitzt oder aus Stein gemeißelt. Die Naivetät der Schilderung geht also in der Nachahmung der alten Meister bis zu der Grenze, wo sie absurd zu werden beginnt. Auch die Farbe ist unerfreulich und stumpf, so daß nicht einmal cvloristische Reize für die Aermlichkeit und Reizlosigkeit der Darstellung entschädigen. Keine Spur von der Glorie der göttlichen Majestät, von dem Verheißungsvolleu Triumph des Ewigen über das Irdische! Es ist beklagenswerth, daß ein Künstler, der zur Lösung der höchsten Aufgaben berufen ist, seine originelle Begabung in Ex¬ perimenten verzettelt, welche mit dem Geiste der Zeit in vollstem Widerspruche stehen. Diesem Geiste der Zeit hat Graf Harrach in seiner „Versuchung Christi" die weitgehendsten Concessionen gemacht. Das Bild sieht aus wie ein Capitel aus Ernest Renan. Graf Harrach ist eigentlich Landschaftsmaler, ein Schüler des Grafen Kalckreuth, und liebt wie sein Lehrer die Romantik phantastischer Lichtcffcctc. Von dem Berge, auf welchem der Sohn Gottes steht, blickt man in eine herrliche Landschaft mit Schlössern, Burgen, Städten und anmuthigen Thälern, im Hintergrunde das Meer, das Ganze von dem goldenen Lichte der untergehenden Sonne umflossen. Zur Seite des Heilands schwebt nicht der Versucher, sondern von leichtem Nebel umwallt ein schönes, nacktes Weib mit den Attributen der Fortuna, welches ihrem standhaften Opfer verführerisch zu¬ lächelt. Es ist also nicht mehr der gewaltige Dämon des Ehrgeizes, welcher die Rolle des Versuchers spielt, sondern die Personification niedriger, mensch¬ licher Begierden. Die Scene ist damit beinahe in die Sphäre des heiligen An- tonius hinabgerückt. Ich glaube nicht, daß ein wirklich frommes Gemüth an dieser Interpretation der heiligen Ueberlieferung. welche den Sohn Gottes zu "nem gewöhnlichen Glücksritter stempeln will, trotz der edeln, fast erhabenen 'luffassung des letzter,, und trotz des Renanischen Farbenzaubers Gefallen finden tvird. Mit religiösen Empfindungen darf man kein Spiel treiben. Verletzt bei „Hinunelfahrt" E. v. Gebhardts die übergroße Trivialität in der Charakteristik, so stört auf dem Bilde des Grafen Harrach das theatralische Brillantfeuer, das und für sich ganz schön, aber nicht Mittel zum Zweck ist, sondern als Selbst¬ zweck z» se^k in den Vordergrund tritt. Man kann vor diesem Gemälde wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/523>, abgerufen am 01.09.2024.