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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die akademische Uunstausstollung in Berlin

Gussvws erhöht sich das Interesse, welches uns die Entwicklung dieses seltnen
Künstlers abnöthigt, Gustat' Graef, Jahre lang der gefeiertste Modemaler
Berlins, ist dagegen bereits auf jeuer schiefen Ebene angelangt, die von der
Höhe abwärts führt. Seine Bildnisse verlieren sich immer mehr unter dem
Mittelgut, seine Modellirung wird immer härter und trockner und sein Colorit
bunter und flauer. Vor zwei Jahren hat er mit seiner heidnisch nackten "Felieie"
einen glücklichen Aufschwung zu einem neuen Genre genommen. Aber der zweite
Versuch ans dem Gebiete, welchen er in diesem Jahre ausgestellt hat, ist bei,
weitem nicht so geglückt. Der Gedanke ist ganz hübsch und poetisch. Am Ufer
eines Weihers in jungfräulicher Waldeinsamkeit steht ein junges Mädchen, welches
eben aus einer grünlichschillerndcn Fischhaut geschlüpft ist und verwundert seinen
nackten Körper beschaut. Ein Rabe, welcher bei der Metamorphose mitgewirkt
zu haben scheint, sitzt daneben und hält die abgestreifte Hülle im Schnabel, Der
von goldige", Haar umrahmte Kopf der Nixe ist voll Anmuth und Lieb¬
lichkeit, Aber die übergroße Schlankheit der Körperformen, die sich zu einem
Paar ganz unglaublich dünner Beine steigert, vermindert doch sehr das Wohl¬
gefallen , welches uns das hübsche Gesicht und die poetische Idee einflößen. Auch
ist die koloristische Behandlung uicht besonders reizvoll. Wie man dergleichen
anfassen muß, hat Fedor Encke bewiesen, ein Schüler Gnssows, der jedoch
seinen Schliff erst in Paris erhalten hat, wo er sich gegenwärtig noch aufhält.
Ans einer mattgrünen, etwas ins Graue spielenden Wiese liegt ein schönes
Mädchen mit aschblonden Haar in jener Stellung, wie sie nach Cabancls "Venus
Anadyomene" unter den jünger" Pariser Malern typisch geworden ist, Eucles
Mädchen stimmt in der Lage der Beine und der sich anschließenden Körperhafte
sogar ganz genan mit der Liebesgöttin des französischen Akademikers überein.
Nur das Bewegungsmotiv der Arme ist dadurch geändert worden, daß Eucles
blonde Nymphe mit einer Taube spielt, die ans ihre linke Hand geflogen ist.
Aber die Originalität der Erfindung kümmert uns hier uicht. Der Vorzug des
Bildes liegt in der meisterhaften Behandlung der Formen, die zwar bis zu
einer marmorartigen Glätte getrieben ist, zugleich aber von außerordentlichem
Verständniß und Gedächtniß zeugt. Mangel an Fvrmengedächtuiß haftet nämlich
den meisten deutschen Künstlern an, Sie können sich entweder vom Modell uicht
losmachen oder, wenn sie es zu einer gcwcssen Unabhängigkeit von demselben
gebracht haben, verfallen sie in einen faden Schematismus, der jeder indivi¬
duellen Physiognomie bar ist.

Auch als Bildnißmaler zeigt sich Encke als Künstler von Geschmack und
Distinction, Dasselbe Lob können wir anch Leon Pohle mit seinen: Porträt
der Königin von Sachsen in ganzer Figur zollen, schlicht in der Auffassung,
wie es dem Wesen der hohen Frau entspricht, vornehm in der Haltung und
einfach in dem gelblichweißen Ton der Robe, Auch Schraders Bildniß der
fast noch kindlich-anmuthigen Erbgroßherzogiu von Mecklcnlmrg-Strelitz ist eine


Die akademische Uunstausstollung in Berlin

Gussvws erhöht sich das Interesse, welches uns die Entwicklung dieses seltnen
Künstlers abnöthigt, Gustat' Graef, Jahre lang der gefeiertste Modemaler
Berlins, ist dagegen bereits auf jeuer schiefen Ebene angelangt, die von der
Höhe abwärts führt. Seine Bildnisse verlieren sich immer mehr unter dem
Mittelgut, seine Modellirung wird immer härter und trockner und sein Colorit
bunter und flauer. Vor zwei Jahren hat er mit seiner heidnisch nackten „Felieie"
einen glücklichen Aufschwung zu einem neuen Genre genommen. Aber der zweite
Versuch ans dem Gebiete, welchen er in diesem Jahre ausgestellt hat, ist bei,
weitem nicht so geglückt. Der Gedanke ist ganz hübsch und poetisch. Am Ufer
eines Weihers in jungfräulicher Waldeinsamkeit steht ein junges Mädchen, welches
eben aus einer grünlichschillerndcn Fischhaut geschlüpft ist und verwundert seinen
nackten Körper beschaut. Ein Rabe, welcher bei der Metamorphose mitgewirkt
zu haben scheint, sitzt daneben und hält die abgestreifte Hülle im Schnabel, Der
von goldige», Haar umrahmte Kopf der Nixe ist voll Anmuth und Lieb¬
lichkeit, Aber die übergroße Schlankheit der Körperformen, die sich zu einem
Paar ganz unglaublich dünner Beine steigert, vermindert doch sehr das Wohl¬
gefallen , welches uns das hübsche Gesicht und die poetische Idee einflößen. Auch
ist die koloristische Behandlung uicht besonders reizvoll. Wie man dergleichen
anfassen muß, hat Fedor Encke bewiesen, ein Schüler Gnssows, der jedoch
seinen Schliff erst in Paris erhalten hat, wo er sich gegenwärtig noch aufhält.
Ans einer mattgrünen, etwas ins Graue spielenden Wiese liegt ein schönes
Mädchen mit aschblonden Haar in jener Stellung, wie sie nach Cabancls „Venus
Anadyomene" unter den jünger» Pariser Malern typisch geworden ist, Eucles
Mädchen stimmt in der Lage der Beine und der sich anschließenden Körperhafte
sogar ganz genan mit der Liebesgöttin des französischen Akademikers überein.
Nur das Bewegungsmotiv der Arme ist dadurch geändert worden, daß Eucles
blonde Nymphe mit einer Taube spielt, die ans ihre linke Hand geflogen ist.
Aber die Originalität der Erfindung kümmert uns hier uicht. Der Vorzug des
Bildes liegt in der meisterhaften Behandlung der Formen, die zwar bis zu
einer marmorartigen Glätte getrieben ist, zugleich aber von außerordentlichem
Verständniß und Gedächtniß zeugt. Mangel an Fvrmengedächtuiß haftet nämlich
den meisten deutschen Künstlern an, Sie können sich entweder vom Modell uicht
losmachen oder, wenn sie es zu einer gcwcssen Unabhängigkeit von demselben
gebracht haben, verfallen sie in einen faden Schematismus, der jeder indivi¬
duellen Physiognomie bar ist.

Auch als Bildnißmaler zeigt sich Encke als Künstler von Geschmack und
Distinction, Dasselbe Lob können wir anch Leon Pohle mit seinen: Porträt
der Königin von Sachsen in ganzer Figur zollen, schlicht in der Auffassung,
wie es dem Wesen der hohen Frau entspricht, vornehm in der Haltung und
einfach in dem gelblichweißen Ton der Robe, Auch Schraders Bildniß der
fast noch kindlich-anmuthigen Erbgroßherzogiu von Mecklcnlmrg-Strelitz ist eine


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[0520] Die akademische Uunstausstollung in Berlin Gussvws erhöht sich das Interesse, welches uns die Entwicklung dieses seltnen Künstlers abnöthigt, Gustat' Graef, Jahre lang der gefeiertste Modemaler Berlins, ist dagegen bereits auf jeuer schiefen Ebene angelangt, die von der Höhe abwärts führt. Seine Bildnisse verlieren sich immer mehr unter dem Mittelgut, seine Modellirung wird immer härter und trockner und sein Colorit bunter und flauer. Vor zwei Jahren hat er mit seiner heidnisch nackten „Felieie" einen glücklichen Aufschwung zu einem neuen Genre genommen. Aber der zweite Versuch ans dem Gebiete, welchen er in diesem Jahre ausgestellt hat, ist bei, weitem nicht so geglückt. Der Gedanke ist ganz hübsch und poetisch. Am Ufer eines Weihers in jungfräulicher Waldeinsamkeit steht ein junges Mädchen, welches eben aus einer grünlichschillerndcn Fischhaut geschlüpft ist und verwundert seinen nackten Körper beschaut. Ein Rabe, welcher bei der Metamorphose mitgewirkt zu haben scheint, sitzt daneben und hält die abgestreifte Hülle im Schnabel, Der von goldige», Haar umrahmte Kopf der Nixe ist voll Anmuth und Lieb¬ lichkeit, Aber die übergroße Schlankheit der Körperformen, die sich zu einem Paar ganz unglaublich dünner Beine steigert, vermindert doch sehr das Wohl¬ gefallen , welches uns das hübsche Gesicht und die poetische Idee einflößen. Auch ist die koloristische Behandlung uicht besonders reizvoll. Wie man dergleichen anfassen muß, hat Fedor Encke bewiesen, ein Schüler Gnssows, der jedoch seinen Schliff erst in Paris erhalten hat, wo er sich gegenwärtig noch aufhält. Ans einer mattgrünen, etwas ins Graue spielenden Wiese liegt ein schönes Mädchen mit aschblonden Haar in jener Stellung, wie sie nach Cabancls „Venus Anadyomene" unter den jünger» Pariser Malern typisch geworden ist, Eucles Mädchen stimmt in der Lage der Beine und der sich anschließenden Körperhafte sogar ganz genan mit der Liebesgöttin des französischen Akademikers überein. Nur das Bewegungsmotiv der Arme ist dadurch geändert worden, daß Eucles blonde Nymphe mit einer Taube spielt, die ans ihre linke Hand geflogen ist. Aber die Originalität der Erfindung kümmert uns hier uicht. Der Vorzug des Bildes liegt in der meisterhaften Behandlung der Formen, die zwar bis zu einer marmorartigen Glätte getrieben ist, zugleich aber von außerordentlichem Verständniß und Gedächtniß zeugt. Mangel an Fvrmengedächtuiß haftet nämlich den meisten deutschen Künstlern an, Sie können sich entweder vom Modell uicht losmachen oder, wenn sie es zu einer gcwcssen Unabhängigkeit von demselben gebracht haben, verfallen sie in einen faden Schematismus, der jeder indivi¬ duellen Physiognomie bar ist. Auch als Bildnißmaler zeigt sich Encke als Künstler von Geschmack und Distinction, Dasselbe Lob können wir anch Leon Pohle mit seinen: Porträt der Königin von Sachsen in ganzer Figur zollen, schlicht in der Auffassung, wie es dem Wesen der hohen Frau entspricht, vornehm in der Haltung und einfach in dem gelblichweißen Ton der Robe, Auch Schraders Bildniß der fast noch kindlich-anmuthigen Erbgroßherzogiu von Mecklcnlmrg-Strelitz ist eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/520>, abgerufen am 01.09.2024.