Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.Neueste Blüten deutscher Lyrik.
Vollkommen ebenbürtig steht diesem Prachtstück zur Seite das "Trinklied" mit
Neben derartigen leichten, schelmischen Einfällen begegnet mau jedoch auch Strophen,
Nicht minder wäre einer Preismedaille würdig, wer den Schluß des Gedichtes
Sollte aber die schier apokalyptische Dunkelheit des "Phantasie" betitelten Monstrums "Gemeingut Aller sollt ihr sein!" so ruft der Dichter seinen "lieben" Liedern
Neueste Blüten deutscher Lyrik.
Vollkommen ebenbürtig steht diesem Prachtstück zur Seite das „Trinklied" mit
Neben derartigen leichten, schelmischen Einfällen begegnet mau jedoch auch Strophen,
Nicht minder wäre einer Preismedaille würdig, wer den Schluß des Gedichtes
Sollte aber die schier apokalyptische Dunkelheit des „Phantasie" betitelten Monstrums „Gemeingut Aller sollt ihr sein!" so ruft der Dichter seinen „lieben" Liedern
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150666"/> <fw type="header" place="top"> Neueste Blüten deutscher Lyrik.</fw><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_43" type="poem"> <head> Bach er und Liebe.</head> <l> Der Becher und der Liebe Lust,<lb/> Das ist mein ganzes Sehnen;<lb/> Füllt sich der Becher, füllt die Brust<lb/> Sich voll, von süßen Thränen. Es schwillt das Herz, es schwillt zur Glut,<lb/> Es quillt und sprudelt fröhlich,<lb/> Der Gram zerrinnt, es steigt der Muth<lb/> Der ganze Kerl ist selig. </l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1662" prev="#ID_1661" next="#ID_1663"> Vollkommen ebenbürtig steht diesem Prachtstück zur Seite das „Trinklied" mit<lb/> dem schönen onomatopoetischen Refrain „Kling, kling, kling," aus dem nur eine<lb/> Strophe citirt sei:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_44" type="poem"> <l> Kling, kling, lieben Brüder,<lb/> Welch ein früher Klang!<lb/> Kling, kling, meine Lieder<lb/> Sing' ich Euch zum Dank.<lb/> Kling, kling, kling.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1663" prev="#ID_1662" next="#ID_1664"> Neben derartigen leichten, schelmischen Einfällen begegnet mau jedoch auch Strophen,<lb/> deren unergründlichein Tiefsinn man rathlos gegenübersteht; so liest man z. B-<lb/> S. 122:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_45" type="poem"> <l> Willst mein Geist, Du ewig hangen,<lb/> Ewig Dich nach Freiheit bangen,<lb/> Nimmer fassen Dein Begehr?<lb/> Eil' und stürme — in Regionen<lb/> Schaudersüstc Reize mahnen<lb/> Freier Phantasien Sphär.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1664" prev="#ID_1663" next="#ID_1665"> Nicht minder wäre einer Preismedaille würdig, wer den Schluß des Gedichtes<lb/> „Einst und jetzt" cuträthsclte, in welchem der Autor schildert, wie er allmählich<lb/> zum Dichter ward, wie das Lied in seiner Brust erst ein „unverstauolich wirrer<lb/> Klang" war,</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_46" type="poem"> <l> Doch bald entwirrte (sie) sich der Melodien Chöre,<lb/> Ein weher Tam macht alles Alte todt,<lb/> Und fern aus dem Gedankeumeere<lb/> Taucht' neues Leben mit dem Morgenroth.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1665" prev="#ID_1664"> Sollte aber die schier apokalyptische Dunkelheit des „Phantasie" betitelten Monstrums<lb/> je ihren Düntzer finden, so kann die Quadratur des Kreises fernerhin kaum noch<lb/> als unlösbares Problem gelten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1666"> „Gemeingut Aller sollt ihr sein!" so ruft der Dichter seinen „lieben" Liedern<lb/> zu, „und wo ein warmes Herz erglüht, da zieht hinein!" Wünschen wir ihm<lb/> aufrichtig, daß er an seinen Lesern befriedigendere Erfahrungen mache als an der<lb/> Dame seines Herzens, deren Gefühle für ihn er gelegentlich ahnungsvoll also<lb/> deutet:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_47" type="poem"> <l> Nicht Liebe ist es, Herz'l,<lb/> Nicht sehnsuchtsvolle Gluth;<lb/> Es ist nur Mitleid, Liebling,<lb/> Mitleid aus Edelmuth.</l> </lg> </quote><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
Neueste Blüten deutscher Lyrik.
Bach er und Liebe. Der Becher und der Liebe Lust,
Das ist mein ganzes Sehnen;
Füllt sich der Becher, füllt die Brust
Sich voll, von süßen Thränen. Es schwillt das Herz, es schwillt zur Glut,
Es quillt und sprudelt fröhlich,
Der Gram zerrinnt, es steigt der Muth
Der ganze Kerl ist selig.
Vollkommen ebenbürtig steht diesem Prachtstück zur Seite das „Trinklied" mit
dem schönen onomatopoetischen Refrain „Kling, kling, kling," aus dem nur eine
Strophe citirt sei:
Kling, kling, lieben Brüder,
Welch ein früher Klang!
Kling, kling, meine Lieder
Sing' ich Euch zum Dank.
Kling, kling, kling.
Neben derartigen leichten, schelmischen Einfällen begegnet mau jedoch auch Strophen,
deren unergründlichein Tiefsinn man rathlos gegenübersteht; so liest man z. B-
S. 122:
Willst mein Geist, Du ewig hangen,
Ewig Dich nach Freiheit bangen,
Nimmer fassen Dein Begehr?
Eil' und stürme — in Regionen
Schaudersüstc Reize mahnen
Freier Phantasien Sphär.
Nicht minder wäre einer Preismedaille würdig, wer den Schluß des Gedichtes
„Einst und jetzt" cuträthsclte, in welchem der Autor schildert, wie er allmählich
zum Dichter ward, wie das Lied in seiner Brust erst ein „unverstauolich wirrer
Klang" war,
Doch bald entwirrte (sie) sich der Melodien Chöre,
Ein weher Tam macht alles Alte todt,
Und fern aus dem Gedankeumeere
Taucht' neues Leben mit dem Morgenroth.
Sollte aber die schier apokalyptische Dunkelheit des „Phantasie" betitelten Monstrums
je ihren Düntzer finden, so kann die Quadratur des Kreises fernerhin kaum noch
als unlösbares Problem gelten.
„Gemeingut Aller sollt ihr sein!" so ruft der Dichter seinen „lieben" Liedern
zu, „und wo ein warmes Herz erglüht, da zieht hinein!" Wünschen wir ihm
aufrichtig, daß er an seinen Lesern befriedigendere Erfahrungen mache als an der
Dame seines Herzens, deren Gefühle für ihn er gelegentlich ahnungsvoll also
deutet:
Nicht Liebe ist es, Herz'l,
Nicht sehnsuchtsvolle Gluth;
Es ist nur Mitleid, Liebling,
Mitleid aus Edelmuth.
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