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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Neueste Blüten deutscher Lyrik.

lich genippt und darum noch gerade stehe und gehe. "Du über hast so tief ins
Glas gesehn, daß -- v der Schande! -- daß du -- ein Kirchthurm! -- schreck¬
lich überhängst, aussiehst, als ob im nächsten Augenblick du küssen wolltest Pisns
Straßenpflaster. Schad' wär's um deinen schwanenweißen Rock, um sein halb
Dutzend schmucker Fnlbelkränze!"

Der Dom von Genna wird in pompösen Ottaverimen folgendermaßen geschildert:


In Pfeilern steigt er auf, die groß und prächtig
Und schließt um Dach mit kahler Balkenlage,
Und so erscheint er wunderlich zwieschlttchtig.
Schön sind die Statuen am Sarkophage
Johann des Täufers; hoher Schönheit mächtig
War Snnsovino ohne alle Frage.
Doch vor Baroecio wird nicht lange stehen,
Wer Pitti und Usfizien gesehen.

Auf der Kuppel von S. Maria ti Cariguano bricht der Poet in die grandiose
Metapher ans (S. 133): "Das Wettenrund ein Pferd, und ich der Reiter!" Ueber-
wältigeud durch seine unfreiwillige Komik ist das Turiner Sonett ans S. 133; es
Migt uus den Dichter stehend auf dem Kapuzinerhügel "in des Klvsterhvfes Prosa,"
die offenbar eigens dazu erfunden ist, damit sich die "Pracht des Monte Rosa,"
die "Berge vou Pervsa" und "Monte Visv's vists glorios"." darauf reimen können.

Was der Dichter über den Mailänder Dom vorträgt, möge als Ganzes ge¬
hießen, wer sich in gehobene Stimmung versetzen will; auch eine Wanderung durch
die Brera (oder "den" Brera, wie S. 143 zu lesen) ist Hypochondern uuter der
Führung unseres poetischen Cicerone aufs wärmste zu empfehlen; als Beleg diene
Mr das vernichtende Urtheil, welches er nach Betrachtung des Raffnelschen Spvsalizio
über Mantegna ausspricht (S. 143):


Mit Schrecken aber seh' ich gleich daneben
Mantegna'S Pietü,. Die fahlen Glieder,
Trotz der Verkürzung sind sie gräßlich treu.
Die Technik kam mit einem Scheusal nieder!

Wer würde es einem Satiriker verübeln, wen" er die letzte dieser Zeilen als Motto
s'ir des Autors Poesien vorschlüge? Wir für unsern Theil sind weit davon ent-
swü, vielmehr der Meinung, daß auch dieses liebenswürdige Büchlein durch die
"'"rschöpfliche Fülle des in ihm aufgespeicherten Lnchstoffs gar manche Literatnr-
prodncte weit hinter sich läßt, die sich ausdrücklich für komische Dichtungen ausgebe".

Als originelle Bereicherung der dentschen Liebeslyrik verdienen endlich noch
'n hohem Grade Beachtung die soeben zu Danzig erschienenen Gedichte eines
Herrn Bernhard. "Alles in einen Topf, Alles aus einem Kopf, heitere Klänge,
ernste Gesänge" -- dies die versifieirte Inhaltsangabe, die uns auf dein Einband¬
deckel des Buches in goldnen Lettern entgcgenprangt. Es würde Verlorne Mühe
^"n, in dürrer Prosa daS Wesen dieser eigenthümlichen Lyrik darlegen zu wollen,
^"d ein gröbliches Unrecht gegen den, soviel uns bekannt, zum erstenmale an die"no ein gröbliches net gegen deu, soviel
^Ifeutlichkeil tretenden Verfasser bedeuten, i, ihn nicht selbst pro domo sua, reden
Zu lass".. ^ ^

Daß es diesem Novizen im Musentempel mit der Poesie heiliger Ernst ist,
schind?-t ^' ^'^'"^""buen Worte, die er der "Prosa des Lebens" ins Antlitz


O Prosa des Lebens,
Du bist mir verhaßt,
Dn bist mir von Herze"
''''echt herzlich verhaßt.....

...
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Neueste Blüten deutscher Lyrik.

lich genippt und darum noch gerade stehe und gehe. „Du über hast so tief ins
Glas gesehn, daß — v der Schande! — daß du — ein Kirchthurm! — schreck¬
lich überhängst, aussiehst, als ob im nächsten Augenblick du küssen wolltest Pisns
Straßenpflaster. Schad' wär's um deinen schwanenweißen Rock, um sein halb
Dutzend schmucker Fnlbelkränze!"

Der Dom von Genna wird in pompösen Ottaverimen folgendermaßen geschildert:


In Pfeilern steigt er auf, die groß und prächtig
Und schließt um Dach mit kahler Balkenlage,
Und so erscheint er wunderlich zwieschlttchtig.
Schön sind die Statuen am Sarkophage
Johann des Täufers; hoher Schönheit mächtig
War Snnsovino ohne alle Frage.
Doch vor Baroecio wird nicht lange stehen,
Wer Pitti und Usfizien gesehen.

Auf der Kuppel von S. Maria ti Cariguano bricht der Poet in die grandiose
Metapher ans (S. 133): „Das Wettenrund ein Pferd, und ich der Reiter!" Ueber-
wältigeud durch seine unfreiwillige Komik ist das Turiner Sonett ans S. 133; es
Migt uus den Dichter stehend auf dem Kapuzinerhügel „in des Klvsterhvfes Prosa,"
die offenbar eigens dazu erfunden ist, damit sich die „Pracht des Monte Rosa,"
die „Berge vou Pervsa" und „Monte Visv's vists glorios«." darauf reimen können.

Was der Dichter über den Mailänder Dom vorträgt, möge als Ganzes ge¬
hießen, wer sich in gehobene Stimmung versetzen will; auch eine Wanderung durch
die Brera (oder „den" Brera, wie S. 143 zu lesen) ist Hypochondern uuter der
Führung unseres poetischen Cicerone aufs wärmste zu empfehlen; als Beleg diene
Mr das vernichtende Urtheil, welches er nach Betrachtung des Raffnelschen Spvsalizio
über Mantegna ausspricht (S. 143):


Mit Schrecken aber seh' ich gleich daneben
Mantegna'S Pietü,. Die fahlen Glieder,
Trotz der Verkürzung sind sie gräßlich treu.
Die Technik kam mit einem Scheusal nieder!

Wer würde es einem Satiriker verübeln, wen» er die letzte dieser Zeilen als Motto
s'ir des Autors Poesien vorschlüge? Wir für unsern Theil sind weit davon ent-
swü, vielmehr der Meinung, daß auch dieses liebenswürdige Büchlein durch die
"'"rschöpfliche Fülle des in ihm aufgespeicherten Lnchstoffs gar manche Literatnr-
prodncte weit hinter sich läßt, die sich ausdrücklich für komische Dichtungen ausgebe«.

Als originelle Bereicherung der dentschen Liebeslyrik verdienen endlich noch
'n hohem Grade Beachtung die soeben zu Danzig erschienenen Gedichte eines
Herrn Bernhard. „Alles in einen Topf, Alles aus einem Kopf, heitere Klänge,
ernste Gesänge" — dies die versifieirte Inhaltsangabe, die uns auf dein Einband¬
deckel des Buches in goldnen Lettern entgcgenprangt. Es würde Verlorne Mühe
^"n, in dürrer Prosa daS Wesen dieser eigenthümlichen Lyrik darlegen zu wollen,
^"d ein gröbliches Unrecht gegen den, soviel uns bekannt, zum erstenmale an die"no ein gröbliches net gegen deu, soviel
^Ifeutlichkeil tretenden Verfasser bedeuten, i, ihn nicht selbst pro domo sua, reden
Zu lass«.. ^ ^

Daß es diesem Novizen im Musentempel mit der Poesie heiliger Ernst ist,
schind?-t ^' ^'^'"^""buen Worte, die er der „Prosa des Lebens" ins Antlitz


O Prosa des Lebens,
Du bist mir verhaßt,
Dn bist mir von Herze»
''''echt herzlich verhaßt.....

...
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[0513] Neueste Blüten deutscher Lyrik. lich genippt und darum noch gerade stehe und gehe. „Du über hast so tief ins Glas gesehn, daß — v der Schande! — daß du — ein Kirchthurm! — schreck¬ lich überhängst, aussiehst, als ob im nächsten Augenblick du küssen wolltest Pisns Straßenpflaster. Schad' wär's um deinen schwanenweißen Rock, um sein halb Dutzend schmucker Fnlbelkränze!" Der Dom von Genna wird in pompösen Ottaverimen folgendermaßen geschildert: In Pfeilern steigt er auf, die groß und prächtig Und schließt um Dach mit kahler Balkenlage, Und so erscheint er wunderlich zwieschlttchtig. Schön sind die Statuen am Sarkophage Johann des Täufers; hoher Schönheit mächtig War Snnsovino ohne alle Frage. Doch vor Baroecio wird nicht lange stehen, Wer Pitti und Usfizien gesehen. Auf der Kuppel von S. Maria ti Cariguano bricht der Poet in die grandiose Metapher ans (S. 133): „Das Wettenrund ein Pferd, und ich der Reiter!" Ueber- wältigeud durch seine unfreiwillige Komik ist das Turiner Sonett ans S. 133; es Migt uus den Dichter stehend auf dem Kapuzinerhügel „in des Klvsterhvfes Prosa," die offenbar eigens dazu erfunden ist, damit sich die „Pracht des Monte Rosa," die „Berge vou Pervsa" und „Monte Visv's vists glorios«." darauf reimen können. Was der Dichter über den Mailänder Dom vorträgt, möge als Ganzes ge¬ hießen, wer sich in gehobene Stimmung versetzen will; auch eine Wanderung durch die Brera (oder „den" Brera, wie S. 143 zu lesen) ist Hypochondern uuter der Führung unseres poetischen Cicerone aufs wärmste zu empfehlen; als Beleg diene Mr das vernichtende Urtheil, welches er nach Betrachtung des Raffnelschen Spvsalizio über Mantegna ausspricht (S. 143): Mit Schrecken aber seh' ich gleich daneben Mantegna'S Pietü,. Die fahlen Glieder, Trotz der Verkürzung sind sie gräßlich treu. Die Technik kam mit einem Scheusal nieder! Wer würde es einem Satiriker verübeln, wen» er die letzte dieser Zeilen als Motto s'ir des Autors Poesien vorschlüge? Wir für unsern Theil sind weit davon ent- swü, vielmehr der Meinung, daß auch dieses liebenswürdige Büchlein durch die "'"rschöpfliche Fülle des in ihm aufgespeicherten Lnchstoffs gar manche Literatnr- prodncte weit hinter sich läßt, die sich ausdrücklich für komische Dichtungen ausgebe«. Als originelle Bereicherung der dentschen Liebeslyrik verdienen endlich noch 'n hohem Grade Beachtung die soeben zu Danzig erschienenen Gedichte eines Herrn Bernhard. „Alles in einen Topf, Alles aus einem Kopf, heitere Klänge, ernste Gesänge" — dies die versifieirte Inhaltsangabe, die uns auf dein Einband¬ deckel des Buches in goldnen Lettern entgcgenprangt. Es würde Verlorne Mühe ^"n, in dürrer Prosa daS Wesen dieser eigenthümlichen Lyrik darlegen zu wollen, ^"d ein gröbliches Unrecht gegen den, soviel uns bekannt, zum erstenmale an die"no ein gröbliches net gegen deu, soviel ^Ifeutlichkeil tretenden Verfasser bedeuten, i, ihn nicht selbst pro domo sua, reden Zu lass«.. ^ ^ Daß es diesem Novizen im Musentempel mit der Poesie heiliger Ernst ist, schind?-t ^' ^'^'"^""buen Worte, die er der „Prosa des Lebens" ins Antlitz O Prosa des Lebens, Du bist mir verhaßt, Dn bist mir von Herze» ''''echt herzlich verhaßt..... ... ^-"zlwten 111. IWt. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/513>, abgerufen am 26.12.2024.