Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Königskronen an der Donau,

Die archäologischen Novellisten können, den dilettircnden Wissenstrieb des
Publicums uoch so hoch in Anschlag gebracht, schon gar nicht mehr hoffen für
alle die phantastisch raffinirten Producte, die ans diesem Wege entstehen, einen
Kreis zu gewinnen. Diese Moderichtung der Literatur ist eine Art Lotterie ge¬
worden, in der die Gewinne beinahe noch schädlicher wirken als die nieder,




Neue Königskronen an der Donau.

n den letzten Wochen machte der Beherrscher aller Serben wieder
einmal eine europäische Tour, wobei er auch der Gast unsers
Kaisers war. Das Gerücht brachte die Reise des Fürsten mit
dessen Wunsche in Verbindung, zu königlichem Range befördert
zu werden, und das Gerücht scheint auf Wahrheit zu beruhen.
Fürst Milan Obrenowitsch der Vierte scheint mit seinen Besuchen an den drei
Kaiserhöfcn von Oesterreich, Deutschland und Rußland in der That den Zweck
verfolgt zu haben, persönlich zu sondiren, wie man dort über eine Selbsterhebung
des Fürsten zum Könige urtheilen und ob man die Rangerhöhung anerkennen
würde. Schon spricht man davon, daß dieser Schritt am 13, Juli, dem dritten
Jahrestage der Erklärung Serbiens zu einem souveränen Staate, gethan werden
soll; denn der Fürst hat diesmal allen Berichten nach gute Aussichten.

Wir geben zunächst ein paar biographische Notizen über den Cnndidaten.
Fürst Milan ist der zweitjüngste Souverän in der Reihe der gekrönten Häupter
Europas. Nur der König von Spanien übertrifft ihn an Jngend; denn dieser
zählt erst 23, der Hospodar der Serben dagegen 27 Jahre. Indeß "regiert"
letztrer schon länger als vierzehn andre europäische Potentaten, da er bereits
an, 2. Juli 1868, wenn auch unter Vormundschaft, den Fürstenstuhl bestieg.
Er ist der Sohn des Fürsten Milosch und der Fürstin Maria. Sein Vater
wurde am 10. Juni 1868 im Parke von Toptschidere von Meuchelmördern,
welche die Partei der rivalisireuden Nachkommen des "schwarzen Georg" gegen
ihn entsandt, erschossen, seine Mutter war später die Geliebte des rumänischen
Fürsten Cusa. Seine Erziehung erhielt der junge Prinz in Paris. Am 22. August
1872 für großjährig erklärt, vermählte er sich im Oetober 1875 mit Natcilia
Keschko, der Tochter eines russischen Obersten, die ihm im August des nächsten
Jahres den Prinzen Alexander gebar.


Neue Königskronen an der Donau,

Die archäologischen Novellisten können, den dilettircnden Wissenstrieb des
Publicums uoch so hoch in Anschlag gebracht, schon gar nicht mehr hoffen für
alle die phantastisch raffinirten Producte, die ans diesem Wege entstehen, einen
Kreis zu gewinnen. Diese Moderichtung der Literatur ist eine Art Lotterie ge¬
worden, in der die Gewinne beinahe noch schädlicher wirken als die nieder,




Neue Königskronen an der Donau.

n den letzten Wochen machte der Beherrscher aller Serben wieder
einmal eine europäische Tour, wobei er auch der Gast unsers
Kaisers war. Das Gerücht brachte die Reise des Fürsten mit
dessen Wunsche in Verbindung, zu königlichem Range befördert
zu werden, und das Gerücht scheint auf Wahrheit zu beruhen.
Fürst Milan Obrenowitsch der Vierte scheint mit seinen Besuchen an den drei
Kaiserhöfcn von Oesterreich, Deutschland und Rußland in der That den Zweck
verfolgt zu haben, persönlich zu sondiren, wie man dort über eine Selbsterhebung
des Fürsten zum Könige urtheilen und ob man die Rangerhöhung anerkennen
würde. Schon spricht man davon, daß dieser Schritt am 13, Juli, dem dritten
Jahrestage der Erklärung Serbiens zu einem souveränen Staate, gethan werden
soll; denn der Fürst hat diesmal allen Berichten nach gute Aussichten.

Wir geben zunächst ein paar biographische Notizen über den Cnndidaten.
Fürst Milan ist der zweitjüngste Souverän in der Reihe der gekrönten Häupter
Europas. Nur der König von Spanien übertrifft ihn an Jngend; denn dieser
zählt erst 23, der Hospodar der Serben dagegen 27 Jahre. Indeß „regiert"
letztrer schon länger als vierzehn andre europäische Potentaten, da er bereits
an, 2. Juli 1868, wenn auch unter Vormundschaft, den Fürstenstuhl bestieg.
Er ist der Sohn des Fürsten Milosch und der Fürstin Maria. Sein Vater
wurde am 10. Juni 1868 im Parke von Toptschidere von Meuchelmördern,
welche die Partei der rivalisireuden Nachkommen des „schwarzen Georg" gegen
ihn entsandt, erschossen, seine Mutter war später die Geliebte des rumänischen
Fürsten Cusa. Seine Erziehung erhielt der junge Prinz in Paris. Am 22. August
1872 für großjährig erklärt, vermählte er sich im Oetober 1875 mit Natcilia
Keschko, der Tochter eines russischen Obersten, die ihm im August des nächsten
Jahres den Prinzen Alexander gebar.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150201"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Königskronen an der Donau,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_157"> Die archäologischen Novellisten können, den dilettircnden Wissenstrieb des<lb/>
Publicums uoch so hoch in Anschlag gebracht, schon gar nicht mehr hoffen für<lb/>
alle die phantastisch raffinirten Producte, die ans diesem Wege entstehen, einen<lb/>
Kreis zu gewinnen. Diese Moderichtung der Literatur ist eine Art Lotterie ge¬<lb/>
worden, in der die Gewinne beinahe noch schädlicher wirken als die nieder,</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Neue Königskronen an der Donau.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_158"> n den letzten Wochen machte der Beherrscher aller Serben wieder<lb/>
einmal eine europäische Tour, wobei er auch der Gast unsers<lb/>
Kaisers war. Das Gerücht brachte die Reise des Fürsten mit<lb/>
dessen Wunsche in Verbindung, zu königlichem Range befördert<lb/>
zu werden, und das Gerücht scheint auf Wahrheit zu beruhen.<lb/>
Fürst Milan Obrenowitsch der Vierte scheint mit seinen Besuchen an den drei<lb/>
Kaiserhöfcn von Oesterreich, Deutschland und Rußland in der That den Zweck<lb/>
verfolgt zu haben, persönlich zu sondiren, wie man dort über eine Selbsterhebung<lb/>
des Fürsten zum Könige urtheilen und ob man die Rangerhöhung anerkennen<lb/>
würde. Schon spricht man davon, daß dieser Schritt am 13, Juli, dem dritten<lb/>
Jahrestage der Erklärung Serbiens zu einem souveränen Staate, gethan werden<lb/>
soll; denn der Fürst hat diesmal allen Berichten nach gute Aussichten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_159"> Wir geben zunächst ein paar biographische Notizen über den Cnndidaten.<lb/>
Fürst Milan ist der zweitjüngste Souverän in der Reihe der gekrönten Häupter<lb/>
Europas. Nur der König von Spanien übertrifft ihn an Jngend; denn dieser<lb/>
zählt erst 23, der Hospodar der Serben dagegen 27 Jahre. Indeß &#x201E;regiert"<lb/>
letztrer schon länger als vierzehn andre europäische Potentaten, da er bereits<lb/>
an, 2. Juli 1868, wenn auch unter Vormundschaft, den Fürstenstuhl bestieg.<lb/>
Er ist der Sohn des Fürsten Milosch und der Fürstin Maria. Sein Vater<lb/>
wurde am 10. Juni 1868 im Parke von Toptschidere von Meuchelmördern,<lb/>
welche die Partei der rivalisireuden Nachkommen des &#x201E;schwarzen Georg" gegen<lb/>
ihn entsandt, erschossen, seine Mutter war später die Geliebte des rumänischen<lb/>
Fürsten Cusa. Seine Erziehung erhielt der junge Prinz in Paris. Am 22. August<lb/>
1872 für großjährig erklärt, vermählte er sich im Oetober 1875 mit Natcilia<lb/>
Keschko, der Tochter eines russischen Obersten, die ihm im August des nächsten<lb/>
Jahres den Prinzen Alexander gebar.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0051] Neue Königskronen an der Donau, Die archäologischen Novellisten können, den dilettircnden Wissenstrieb des Publicums uoch so hoch in Anschlag gebracht, schon gar nicht mehr hoffen für alle die phantastisch raffinirten Producte, die ans diesem Wege entstehen, einen Kreis zu gewinnen. Diese Moderichtung der Literatur ist eine Art Lotterie ge¬ worden, in der die Gewinne beinahe noch schädlicher wirken als die nieder, Neue Königskronen an der Donau. n den letzten Wochen machte der Beherrscher aller Serben wieder einmal eine europäische Tour, wobei er auch der Gast unsers Kaisers war. Das Gerücht brachte die Reise des Fürsten mit dessen Wunsche in Verbindung, zu königlichem Range befördert zu werden, und das Gerücht scheint auf Wahrheit zu beruhen. Fürst Milan Obrenowitsch der Vierte scheint mit seinen Besuchen an den drei Kaiserhöfcn von Oesterreich, Deutschland und Rußland in der That den Zweck verfolgt zu haben, persönlich zu sondiren, wie man dort über eine Selbsterhebung des Fürsten zum Könige urtheilen und ob man die Rangerhöhung anerkennen würde. Schon spricht man davon, daß dieser Schritt am 13, Juli, dem dritten Jahrestage der Erklärung Serbiens zu einem souveränen Staate, gethan werden soll; denn der Fürst hat diesmal allen Berichten nach gute Aussichten. Wir geben zunächst ein paar biographische Notizen über den Cnndidaten. Fürst Milan ist der zweitjüngste Souverän in der Reihe der gekrönten Häupter Europas. Nur der König von Spanien übertrifft ihn an Jngend; denn dieser zählt erst 23, der Hospodar der Serben dagegen 27 Jahre. Indeß „regiert" letztrer schon länger als vierzehn andre europäische Potentaten, da er bereits an, 2. Juli 1868, wenn auch unter Vormundschaft, den Fürstenstuhl bestieg. Er ist der Sohn des Fürsten Milosch und der Fürstin Maria. Sein Vater wurde am 10. Juni 1868 im Parke von Toptschidere von Meuchelmördern, welche die Partei der rivalisireuden Nachkommen des „schwarzen Georg" gegen ihn entsandt, erschossen, seine Mutter war später die Geliebte des rumänischen Fürsten Cusa. Seine Erziehung erhielt der junge Prinz in Paris. Am 22. August 1872 für großjährig erklärt, vermählte er sich im Oetober 1875 mit Natcilia Keschko, der Tochter eines russischen Obersten, die ihm im August des nächsten Jahres den Prinzen Alexander gebar.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/51
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/51>, abgerufen am 24.11.2024.