Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Politische Rückblicke und Ausblicke.

wurde es ihm doch vielfach sehr verdacht, daß es eine eigne Meinung bean¬
sprucht und geltend gemacht hatte, und es fehlte nicht an Versuchen, einen Con¬
flict zwischen den Lords und den Gemeinen zu Wege zu bringen, der indeß
durch Nachgiebigkeit auf beiden Seiten verhütet wurde.

Die Thronrede, mit welcher die Session am vorletzten Sonnabend ge¬
schlossen wurde, spiegelte recht deutlich die Befürchtungen und die Hoffnungen
ab, die in den Kreisen der Regierung augenblicklich herrschen. Die sorgfältig
abgewognen Sätze dieses Documents drücken wenig Befriedigung mit der Ver¬
gangenheit und ebensowenig zuversichtliches Vertrauen auf die Zukunft aus. Es
geht durch sie ein Ton nur mäßiger Hoffnung. Man hatte sich nicht zu rühmen,
aber anch nicht gerade zu verzweifeln. Die Erfolge des Cabinets im Jnnern
wie nach außen hin ließen viel zu wünschen übrig, indeß war hier nud dort
doch etwas erreicht worden, was vielleicht Frucht zu tragen versprach. Ju der
Levante, in Afghanistan, in Tunis und Transvaal hatte die Gladstoneschc Politik
entweder Niederlagen erlitten oder mir solche Ergebnisse auszuweisen, die im Ver¬
gleiche mit den großen Vorsätzen und Anläufen mager erschienen. Der Handels¬
vertrag mit Frankreich war gescheitert, und in England erhoben sich zahlreiche
Stimmen gegen die ganze bisher für alleinseligmachend betrachtete Theorie der
Freihändler. Die Gesetzgebung hatte nur mit der irischen Landacte einen Fort¬
schritt gemacht. Aber auch in Betreff dieser großen Maßregel begnügte sich
die Königin mit dem Ausdruck lebhafter Hoffnung, daß "das neue Gesetz wohl¬
thätige Wirkung äußern werde, welche der Mühe, die auf sein Zustandekommen
verwendet wurden, entspreche." Diese Sprache ist ebenso vorsichtig gehalten,
wie die Hinweisung auf die der Regierung vom Parlamente gewährten excep¬
tionellen Vollmachten zur Unterdrückung von Unordnungen und Verbrechen in
Irland -- Vollmachten, deren man sich "mit Wachsamkeit und Festigkeit, aber
auch mit Berücksichtigung der Unterschiede" bedient hat, und von denen Ihre
Majestät hofft, man werde von ihnen absehen können, wenn der Zustand Ir¬
lands sich gebessert habe. Die Laudacte ist der einzige legislative Gewinn der
langwierigen Session, sie verschlang zu Ungunsten aller andern auf der Tages¬
ordnung stehenden Gegenstände Zeit, Geduld, Geld und Interesse des Volks.
Vielleicht seit fünfzig Jahren ist es nicht geschehen, daß eine königliche Rede
so starkes Bedauern darüber ausdrückte, daß so wenig gethan worden, "um
dem Lande Gesetze angemessen seinen wachsenden Bedürfnissen zu schaffen, trotz¬
dem daß man sich in einem Maße ohne gleichen angestrengt." Das ganze
Reich hat unter den gesteigerten Ansprüchen der Irländer gelitten, und wenn
die Thronrede von "weitgehenden Wünschen mit höchst ungewissen Ausgängen"
spricht, so klingt das fast wie dürftige Leistung nach sanguinischen Bersprechnngcn.
Jeder Regierung würde ein solches Bekenntniß peinlich sein, aber für eine solche,
die neu an ihre Arbeit geht, sich in großem Maße des öffentlichen Vertrauens
erfreut und im Unterhause über eine überwältigende Majorität unbedingter und


Politische Rückblicke und Ausblicke.

wurde es ihm doch vielfach sehr verdacht, daß es eine eigne Meinung bean¬
sprucht und geltend gemacht hatte, und es fehlte nicht an Versuchen, einen Con¬
flict zwischen den Lords und den Gemeinen zu Wege zu bringen, der indeß
durch Nachgiebigkeit auf beiden Seiten verhütet wurde.

Die Thronrede, mit welcher die Session am vorletzten Sonnabend ge¬
schlossen wurde, spiegelte recht deutlich die Befürchtungen und die Hoffnungen
ab, die in den Kreisen der Regierung augenblicklich herrschen. Die sorgfältig
abgewognen Sätze dieses Documents drücken wenig Befriedigung mit der Ver¬
gangenheit und ebensowenig zuversichtliches Vertrauen auf die Zukunft aus. Es
geht durch sie ein Ton nur mäßiger Hoffnung. Man hatte sich nicht zu rühmen,
aber anch nicht gerade zu verzweifeln. Die Erfolge des Cabinets im Jnnern
wie nach außen hin ließen viel zu wünschen übrig, indeß war hier nud dort
doch etwas erreicht worden, was vielleicht Frucht zu tragen versprach. Ju der
Levante, in Afghanistan, in Tunis und Transvaal hatte die Gladstoneschc Politik
entweder Niederlagen erlitten oder mir solche Ergebnisse auszuweisen, die im Ver¬
gleiche mit den großen Vorsätzen und Anläufen mager erschienen. Der Handels¬
vertrag mit Frankreich war gescheitert, und in England erhoben sich zahlreiche
Stimmen gegen die ganze bisher für alleinseligmachend betrachtete Theorie der
Freihändler. Die Gesetzgebung hatte nur mit der irischen Landacte einen Fort¬
schritt gemacht. Aber auch in Betreff dieser großen Maßregel begnügte sich
die Königin mit dem Ausdruck lebhafter Hoffnung, daß „das neue Gesetz wohl¬
thätige Wirkung äußern werde, welche der Mühe, die auf sein Zustandekommen
verwendet wurden, entspreche." Diese Sprache ist ebenso vorsichtig gehalten,
wie die Hinweisung auf die der Regierung vom Parlamente gewährten excep¬
tionellen Vollmachten zur Unterdrückung von Unordnungen und Verbrechen in
Irland — Vollmachten, deren man sich „mit Wachsamkeit und Festigkeit, aber
auch mit Berücksichtigung der Unterschiede" bedient hat, und von denen Ihre
Majestät hofft, man werde von ihnen absehen können, wenn der Zustand Ir¬
lands sich gebessert habe. Die Laudacte ist der einzige legislative Gewinn der
langwierigen Session, sie verschlang zu Ungunsten aller andern auf der Tages¬
ordnung stehenden Gegenstände Zeit, Geduld, Geld und Interesse des Volks.
Vielleicht seit fünfzig Jahren ist es nicht geschehen, daß eine königliche Rede
so starkes Bedauern darüber ausdrückte, daß so wenig gethan worden, „um
dem Lande Gesetze angemessen seinen wachsenden Bedürfnissen zu schaffen, trotz¬
dem daß man sich in einem Maße ohne gleichen angestrengt." Das ganze
Reich hat unter den gesteigerten Ansprüchen der Irländer gelitten, und wenn
die Thronrede von „weitgehenden Wünschen mit höchst ungewissen Ausgängen"
spricht, so klingt das fast wie dürftige Leistung nach sanguinischen Bersprechnngcn.
Jeder Regierung würde ein solches Bekenntniß peinlich sein, aber für eine solche,
die neu an ihre Arbeit geht, sich in großem Maße des öffentlichen Vertrauens
erfreut und im Unterhause über eine überwältigende Majorität unbedingter und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150644"/>
          <fw type="header" place="top"> Politische Rückblicke und Ausblicke.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1562" prev="#ID_1561"> wurde es ihm doch vielfach sehr verdacht, daß es eine eigne Meinung bean¬<lb/>
sprucht und geltend gemacht hatte, und es fehlte nicht an Versuchen, einen Con¬<lb/>
flict zwischen den Lords und den Gemeinen zu Wege zu bringen, der indeß<lb/>
durch Nachgiebigkeit auf beiden Seiten verhütet wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1563" next="#ID_1564"> Die Thronrede, mit welcher die Session am vorletzten Sonnabend ge¬<lb/>
schlossen wurde, spiegelte recht deutlich die Befürchtungen und die Hoffnungen<lb/>
ab, die in den Kreisen der Regierung augenblicklich herrschen. Die sorgfältig<lb/>
abgewognen Sätze dieses Documents drücken wenig Befriedigung mit der Ver¬<lb/>
gangenheit und ebensowenig zuversichtliches Vertrauen auf die Zukunft aus. Es<lb/>
geht durch sie ein Ton nur mäßiger Hoffnung. Man hatte sich nicht zu rühmen,<lb/>
aber anch nicht gerade zu verzweifeln. Die Erfolge des Cabinets im Jnnern<lb/>
wie nach außen hin ließen viel zu wünschen übrig, indeß war hier nud dort<lb/>
doch etwas erreicht worden, was vielleicht Frucht zu tragen versprach. Ju der<lb/>
Levante, in Afghanistan, in Tunis und Transvaal hatte die Gladstoneschc Politik<lb/>
entweder Niederlagen erlitten oder mir solche Ergebnisse auszuweisen, die im Ver¬<lb/>
gleiche mit den großen Vorsätzen und Anläufen mager erschienen. Der Handels¬<lb/>
vertrag mit Frankreich war gescheitert, und in England erhoben sich zahlreiche<lb/>
Stimmen gegen die ganze bisher für alleinseligmachend betrachtete Theorie der<lb/>
Freihändler. Die Gesetzgebung hatte nur mit der irischen Landacte einen Fort¬<lb/>
schritt gemacht. Aber auch in Betreff dieser großen Maßregel begnügte sich<lb/>
die Königin mit dem Ausdruck lebhafter Hoffnung, daß &#x201E;das neue Gesetz wohl¬<lb/>
thätige Wirkung äußern werde, welche der Mühe, die auf sein Zustandekommen<lb/>
verwendet wurden, entspreche." Diese Sprache ist ebenso vorsichtig gehalten,<lb/>
wie die Hinweisung auf die der Regierung vom Parlamente gewährten excep¬<lb/>
tionellen Vollmachten zur Unterdrückung von Unordnungen und Verbrechen in<lb/>
Irland &#x2014; Vollmachten, deren man sich &#x201E;mit Wachsamkeit und Festigkeit, aber<lb/>
auch mit Berücksichtigung der Unterschiede" bedient hat, und von denen Ihre<lb/>
Majestät hofft, man werde von ihnen absehen können, wenn der Zustand Ir¬<lb/>
lands sich gebessert habe. Die Laudacte ist der einzige legislative Gewinn der<lb/>
langwierigen Session, sie verschlang zu Ungunsten aller andern auf der Tages¬<lb/>
ordnung stehenden Gegenstände Zeit, Geduld, Geld und Interesse des Volks.<lb/>
Vielleicht seit fünfzig Jahren ist es nicht geschehen, daß eine königliche Rede<lb/>
so starkes Bedauern darüber ausdrückte, daß so wenig gethan worden, &#x201E;um<lb/>
dem Lande Gesetze angemessen seinen wachsenden Bedürfnissen zu schaffen, trotz¬<lb/>
dem daß man sich in einem Maße ohne gleichen angestrengt." Das ganze<lb/>
Reich hat unter den gesteigerten Ansprüchen der Irländer gelitten, und wenn<lb/>
die Thronrede von &#x201E;weitgehenden Wünschen mit höchst ungewissen Ausgängen"<lb/>
spricht, so klingt das fast wie dürftige Leistung nach sanguinischen Bersprechnngcn.<lb/>
Jeder Regierung würde ein solches Bekenntniß peinlich sein, aber für eine solche,<lb/>
die neu an ihre Arbeit geht, sich in großem Maße des öffentlichen Vertrauens<lb/>
erfreut und im Unterhause über eine überwältigende Majorität unbedingter und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0494] Politische Rückblicke und Ausblicke. wurde es ihm doch vielfach sehr verdacht, daß es eine eigne Meinung bean¬ sprucht und geltend gemacht hatte, und es fehlte nicht an Versuchen, einen Con¬ flict zwischen den Lords und den Gemeinen zu Wege zu bringen, der indeß durch Nachgiebigkeit auf beiden Seiten verhütet wurde. Die Thronrede, mit welcher die Session am vorletzten Sonnabend ge¬ schlossen wurde, spiegelte recht deutlich die Befürchtungen und die Hoffnungen ab, die in den Kreisen der Regierung augenblicklich herrschen. Die sorgfältig abgewognen Sätze dieses Documents drücken wenig Befriedigung mit der Ver¬ gangenheit und ebensowenig zuversichtliches Vertrauen auf die Zukunft aus. Es geht durch sie ein Ton nur mäßiger Hoffnung. Man hatte sich nicht zu rühmen, aber anch nicht gerade zu verzweifeln. Die Erfolge des Cabinets im Jnnern wie nach außen hin ließen viel zu wünschen übrig, indeß war hier nud dort doch etwas erreicht worden, was vielleicht Frucht zu tragen versprach. Ju der Levante, in Afghanistan, in Tunis und Transvaal hatte die Gladstoneschc Politik entweder Niederlagen erlitten oder mir solche Ergebnisse auszuweisen, die im Ver¬ gleiche mit den großen Vorsätzen und Anläufen mager erschienen. Der Handels¬ vertrag mit Frankreich war gescheitert, und in England erhoben sich zahlreiche Stimmen gegen die ganze bisher für alleinseligmachend betrachtete Theorie der Freihändler. Die Gesetzgebung hatte nur mit der irischen Landacte einen Fort¬ schritt gemacht. Aber auch in Betreff dieser großen Maßregel begnügte sich die Königin mit dem Ausdruck lebhafter Hoffnung, daß „das neue Gesetz wohl¬ thätige Wirkung äußern werde, welche der Mühe, die auf sein Zustandekommen verwendet wurden, entspreche." Diese Sprache ist ebenso vorsichtig gehalten, wie die Hinweisung auf die der Regierung vom Parlamente gewährten excep¬ tionellen Vollmachten zur Unterdrückung von Unordnungen und Verbrechen in Irland — Vollmachten, deren man sich „mit Wachsamkeit und Festigkeit, aber auch mit Berücksichtigung der Unterschiede" bedient hat, und von denen Ihre Majestät hofft, man werde von ihnen absehen können, wenn der Zustand Ir¬ lands sich gebessert habe. Die Laudacte ist der einzige legislative Gewinn der langwierigen Session, sie verschlang zu Ungunsten aller andern auf der Tages¬ ordnung stehenden Gegenstände Zeit, Geduld, Geld und Interesse des Volks. Vielleicht seit fünfzig Jahren ist es nicht geschehen, daß eine königliche Rede so starkes Bedauern darüber ausdrückte, daß so wenig gethan worden, „um dem Lande Gesetze angemessen seinen wachsenden Bedürfnissen zu schaffen, trotz¬ dem daß man sich in einem Maße ohne gleichen angestrengt." Das ganze Reich hat unter den gesteigerten Ansprüchen der Irländer gelitten, und wenn die Thronrede von „weitgehenden Wünschen mit höchst ungewissen Ausgängen" spricht, so klingt das fast wie dürftige Leistung nach sanguinischen Bersprechnngcn. Jeder Regierung würde ein solches Bekenntniß peinlich sein, aber für eine solche, die neu an ihre Arbeit geht, sich in großem Maße des öffentlichen Vertrauens erfreut und im Unterhause über eine überwältigende Majorität unbedingter und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/494
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/494>, abgerufen am 01.09.2024.