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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Archäologische Novelle",

nichts andres zu Grunde als eine öde Gliede nach dem Aparten, Nieerhörten,
nach der Wirkung des Pikanten, Abenteuerlichen, eine Sucht, die sich nur selten
in die echte Poeteusehusucht, aus der Fülle und Tiefe des Erlebnisses und Lebens
zu schöpfen, wandeln kann. Und gewinnt etwa die Wissenschaft dabei? Nein,
auch diese ist, sammt dem Interesse des Publicums für sie, durch den garstigen
Zwitter des archäologischen Romans in höchst beklagenswerther Weise geschädigt
worden. Ehe diese Epidemie in Deutschland ausbrach, waren wir auf dem besten
Wege zu einer wahrhaft künstlerischen populären Geschichtschreibung, an deren
Leistnnge" die weitesten Kreise der Gebildeten sich erfreuen konnten und schon
sich zu erfreuen anfingen. Heute verschlingen dieselben Kreise ihre archäologischen
Romane, bilden sich dabei ein, gleichzeitig einen künstlerischen Genuß und einen
wissenschaftlichen Gewinn zu haben, und haben in Wahrheit -- eine Poesie, die
leine ist, und eine Wissenschaft, die leine ist. Inzwischen wird der rvinane-
fabrieirendc Universitätsprofessor von seinen College" mit demselben mißbilligenden
Seitenblick betrachtet wie der doeirende Poet von den ungelehrten Spielleuten;
jede von beiden Parteien schiebt ihn der andern zu und lehnt die Gemeinschaft
mit ihm ab.

Die moderne archäologische Poesie unterscheidet sich in sehr bestimmten Mo¬
menten von manchen frühern Ankäufen dieser Art. Als Thomas Chcitterton
nnter dein Namen eines angeblichen Dichters Rowley aus dem 16. Jahrhundert
schrieb, als Henry Ireland seine Tragödie "Vortygeru" unter Shakespeares
unsterblichem. Namen aufführen ließ, als in unsrer eignen Literatur der selige
Pfarrer Wilhelm Meinhold seinen Roman "Maria Schmaltier, die Bernstein¬
hexe" für ein Manuseript des 17. Jahrhunderts ausgab, belebte sie alle der
Wunsch, ihre Dichtungen rein als Dichtungen erscheinen zu lassen, sich nur
auf das poetische Element derselben zu berufen und ihnen durch ihre archäolo¬
gische" Bemühungen allenfalls den Reiz alter Literaturwerke zu geben, die ver¬
gangnes Leben unbewußt, aber treu spiegeln. Die Vorläufer unsrer modernen
archäologischen Erzähler, welche sich auf die wissenschaftliche Seite, auf die Kennt-
uißfülle und Methode ihrer Bücher berufen, müssen wir unter jenen deutsche"
Romanschriftstellern des 17. Jahrhunderts suchen, welche durch ihre laug
athmigen Romane gelehrte Kenntnisse inS große Publieuiu brachten, in jenem
Eberhard Werner Happel von Marburg, der im "Europäischen Tvroan" eine
"curieuse Beschreibung aller Königreiche und Staaten in ganz Europa" in eiuer
"galanten christlich-türkischen Helden- nud Liebesgeschichte" vortrug und in dem
Roman "Der insularische Mandorell" eine "geographisch-historische und politische
Beschreibung aller Jnsuln" mit der Helden- und Liebesgeschichte verband, in jenem
Joachim Meier von Perleberg, dessen "Durchlauchtige Römerin Lesvia" "alle
Gedichte des Poeten Catullus in einer anmuthigen Liebesgeschichte vorstellete,"
während "Die Römerin Della" dieselbe Arbeit für die Gedichte Tibulls unter¬
nahm. Gewiß ist die heutige Verarbeitung des wissenschaftlichen Materials ge-


Archäologische Novelle»,

nichts andres zu Grunde als eine öde Gliede nach dem Aparten, Nieerhörten,
nach der Wirkung des Pikanten, Abenteuerlichen, eine Sucht, die sich nur selten
in die echte Poeteusehusucht, aus der Fülle und Tiefe des Erlebnisses und Lebens
zu schöpfen, wandeln kann. Und gewinnt etwa die Wissenschaft dabei? Nein,
auch diese ist, sammt dem Interesse des Publicums für sie, durch den garstigen
Zwitter des archäologischen Romans in höchst beklagenswerther Weise geschädigt
worden. Ehe diese Epidemie in Deutschland ausbrach, waren wir auf dem besten
Wege zu einer wahrhaft künstlerischen populären Geschichtschreibung, an deren
Leistnnge» die weitesten Kreise der Gebildeten sich erfreuen konnten und schon
sich zu erfreuen anfingen. Heute verschlingen dieselben Kreise ihre archäologischen
Romane, bilden sich dabei ein, gleichzeitig einen künstlerischen Genuß und einen
wissenschaftlichen Gewinn zu haben, und haben in Wahrheit — eine Poesie, die
leine ist, und eine Wissenschaft, die leine ist. Inzwischen wird der rvinane-
fabrieirendc Universitätsprofessor von seinen College» mit demselben mißbilligenden
Seitenblick betrachtet wie der doeirende Poet von den ungelehrten Spielleuten;
jede von beiden Parteien schiebt ihn der andern zu und lehnt die Gemeinschaft
mit ihm ab.

Die moderne archäologische Poesie unterscheidet sich in sehr bestimmten Mo¬
menten von manchen frühern Ankäufen dieser Art. Als Thomas Chcitterton
nnter dein Namen eines angeblichen Dichters Rowley aus dem 16. Jahrhundert
schrieb, als Henry Ireland seine Tragödie „Vortygeru" unter Shakespeares
unsterblichem. Namen aufführen ließ, als in unsrer eignen Literatur der selige
Pfarrer Wilhelm Meinhold seinen Roman „Maria Schmaltier, die Bernstein¬
hexe" für ein Manuseript des 17. Jahrhunderts ausgab, belebte sie alle der
Wunsch, ihre Dichtungen rein als Dichtungen erscheinen zu lassen, sich nur
auf das poetische Element derselben zu berufen und ihnen durch ihre archäolo¬
gische» Bemühungen allenfalls den Reiz alter Literaturwerke zu geben, die ver¬
gangnes Leben unbewußt, aber treu spiegeln. Die Vorläufer unsrer modernen
archäologischen Erzähler, welche sich auf die wissenschaftliche Seite, auf die Kennt-
uißfülle und Methode ihrer Bücher berufen, müssen wir unter jenen deutsche»
Romanschriftstellern des 17. Jahrhunderts suchen, welche durch ihre laug
athmigen Romane gelehrte Kenntnisse inS große Publieuiu brachten, in jenem
Eberhard Werner Happel von Marburg, der im „Europäischen Tvroan" eine
„curieuse Beschreibung aller Königreiche und Staaten in ganz Europa" in eiuer
„galanten christlich-türkischen Helden- nud Liebesgeschichte" vortrug und in dem
Roman „Der insularische Mandorell" eine „geographisch-historische und politische
Beschreibung aller Jnsuln" mit der Helden- und Liebesgeschichte verband, in jenem
Joachim Meier von Perleberg, dessen „Durchlauchtige Römerin Lesvia" „alle
Gedichte des Poeten Catullus in einer anmuthigen Liebesgeschichte vorstellete,"
während „Die Römerin Della" dieselbe Arbeit für die Gedichte Tibulls unter¬
nahm. Gewiß ist die heutige Verarbeitung des wissenschaftlichen Materials ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/48>, abgerufen am 25.11.2024.