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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Charakteristik des Manchesterthums.

und politisch. Ein Schutz der sich weiter ausdehnt und deu bloßen Zweck verfolgt,
Einkünfte zu schaffen oder zu erhalten, ist ganz und gar nicht zu vertheidigen.
Ob der Zoll ein für allemal festgestellt oder stufenweise erhöht werden soll, unter¬
liegt dein Zweifel, aber daran ist kaum zu zweifeln, daß er Unterschiede machen
muß. Sonst könnten die benachbarten Häfen, die nichts von uns nehmen, unsre
bessern, aber entfernteren Kunden, wie das bereits geschieht, ausschließen. Und
was ist das für eine Ermuthigung mit uns zu handeln, wenn wir die, welche das
thun, und die, welche das nicht thun, vollkommen gleich behandeln, ausgenommen,
daß wir Sorge tragen, denen, die nicht mit uns handeln, deu vollen Vortheil der
Nähe zu sichern?

Das Nichtvorhandensein irgend eines Zolls auf die Einfuhr oder Ausfuhr
von Getreide unter allen Umständen ist in einem beschränkten und starkbevölkerten
Gebiete ein gefährliches Experiment. Es kann keinen größern Irrthum geben als
den Schluß, daß der Preis deshalb immer niedrig sein und sich gleich bleiben
werden. Man glaubt, daß der verstorbene Lord Lauderdale in seinem Buche über
Nationalökonomie der erste gewesen, der ein wohlbegründetes Princip auseinander¬
setzte und einleuchtend machte, welches in der Kürze so ausgedrückt werden kann:
Wenn eine Waare von erster Nothwendigkeit, aber von beschränkter Zufuhr, ab¬
zunehmen anfängt, so steigen die Preise derselben nicht in arithmetischen Ver¬
hältnisse zum Mangel, sondern in einem so viel größer" Verhältnisse, daß es bei¬
nahe ein geometrisches Verhältniß genannt werden darf.

Nehmen wir eine belagerte Stadt an, der das Brot zu mangeln angefangen
hat. Der Mangel mag bloß zehn Procent betragen, aber Brot muß man habe",
koste es, was es wolle. Der Preis kauu also ans hundert, auf fünfhundert Pro¬
cent und noch viel höher steigen. Im letzten großen Kriege haben wir selbst die
Behauptung aufgestellt, daß Lebensmittel in Frankreich eingeführt Kriegseontre-
bande sein würden. Aber obwohl das unter gewöhnlichen Umständen keine Geltung
haben mag, wenn nun England mit einer großen Seemacht Krieg führte und, wie
jetzt, von Getreidezufuhren aus dem Auslande abhinge und die Herrschaft über
die See verlöre, wie hoch würde da nicht der Preis des Brotes steigen, gesetzt
selbst, daß der Procentsatz des Mangels genau bekannt wäre? Aber es giebt gar
kein Mittel, diesen Procentsatz ausfindig zu machen, und derselbe würde sicherlich
hoch in die Höhe getrieben werden durch die panische Furcht des Publicums.
Wir wolle" uns nicht mit deu Schrecken einer Hungersnoth und der Seuchen, die ihr
zu folgen pflegen, aufhalten. Auf einer unsrer Inseln (Irland) haben wir bereits
kürzlich eine Hungersnot!) erlebt, die plötzlich eintrat und nicht vorausgesehen werden
konnte. Aber es ist nicht zu erwarten, daß solche Warnungen wirken werden; denn
mit Recht ist oft, zuletzt noch von Lord Palmerston, bemerkt worden, daß Nationen
keine Augen für die Zukunft haben."

Die Freihändler von Manchester und ihr Anhang sagten: "Andere Nationen
werden unserm Beispiele folgen, wenn wir den Freihandel einführen."


Zur Charakteristik des Manchesterthums.

und politisch. Ein Schutz der sich weiter ausdehnt und deu bloßen Zweck verfolgt,
Einkünfte zu schaffen oder zu erhalten, ist ganz und gar nicht zu vertheidigen.
Ob der Zoll ein für allemal festgestellt oder stufenweise erhöht werden soll, unter¬
liegt dein Zweifel, aber daran ist kaum zu zweifeln, daß er Unterschiede machen
muß. Sonst könnten die benachbarten Häfen, die nichts von uns nehmen, unsre
bessern, aber entfernteren Kunden, wie das bereits geschieht, ausschließen. Und
was ist das für eine Ermuthigung mit uns zu handeln, wenn wir die, welche das
thun, und die, welche das nicht thun, vollkommen gleich behandeln, ausgenommen,
daß wir Sorge tragen, denen, die nicht mit uns handeln, deu vollen Vortheil der
Nähe zu sichern?

Das Nichtvorhandensein irgend eines Zolls auf die Einfuhr oder Ausfuhr
von Getreide unter allen Umständen ist in einem beschränkten und starkbevölkerten
Gebiete ein gefährliches Experiment. Es kann keinen größern Irrthum geben als
den Schluß, daß der Preis deshalb immer niedrig sein und sich gleich bleiben
werden. Man glaubt, daß der verstorbene Lord Lauderdale in seinem Buche über
Nationalökonomie der erste gewesen, der ein wohlbegründetes Princip auseinander¬
setzte und einleuchtend machte, welches in der Kürze so ausgedrückt werden kann:
Wenn eine Waare von erster Nothwendigkeit, aber von beschränkter Zufuhr, ab¬
zunehmen anfängt, so steigen die Preise derselben nicht in arithmetischen Ver¬
hältnisse zum Mangel, sondern in einem so viel größer» Verhältnisse, daß es bei¬
nahe ein geometrisches Verhältniß genannt werden darf.

Nehmen wir eine belagerte Stadt an, der das Brot zu mangeln angefangen
hat. Der Mangel mag bloß zehn Procent betragen, aber Brot muß man habe»,
koste es, was es wolle. Der Preis kauu also ans hundert, auf fünfhundert Pro¬
cent und noch viel höher steigen. Im letzten großen Kriege haben wir selbst die
Behauptung aufgestellt, daß Lebensmittel in Frankreich eingeführt Kriegseontre-
bande sein würden. Aber obwohl das unter gewöhnlichen Umständen keine Geltung
haben mag, wenn nun England mit einer großen Seemacht Krieg führte und, wie
jetzt, von Getreidezufuhren aus dem Auslande abhinge und die Herrschaft über
die See verlöre, wie hoch würde da nicht der Preis des Brotes steigen, gesetzt
selbst, daß der Procentsatz des Mangels genau bekannt wäre? Aber es giebt gar
kein Mittel, diesen Procentsatz ausfindig zu machen, und derselbe würde sicherlich
hoch in die Höhe getrieben werden durch die panische Furcht des Publicums.
Wir wolle» uns nicht mit deu Schrecken einer Hungersnoth und der Seuchen, die ihr
zu folgen pflegen, aufhalten. Auf einer unsrer Inseln (Irland) haben wir bereits
kürzlich eine Hungersnot!) erlebt, die plötzlich eintrat und nicht vorausgesehen werden
konnte. Aber es ist nicht zu erwarten, daß solche Warnungen wirken werden; denn
mit Recht ist oft, zuletzt noch von Lord Palmerston, bemerkt worden, daß Nationen
keine Augen für die Zukunft haben."

Die Freihändler von Manchester und ihr Anhang sagten: „Andere Nationen
werden unserm Beispiele folgen, wenn wir den Freihandel einführen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/470>, abgerufen am 01.09.2024.