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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Dresdener Zustände in den Jahren ^5 bis 1.830.

lieben lernte." Des Abends war er fast immer auf der Brühlschen Terrasse
zu finden, und so verstärkte sich die dort gewöhnlich versammelte Gesellschaft
durch die Hoffnung, ihn zu sehen. Es war ihm ein besondrer Stuhl vorbe¬
halten, der in der Regel von Frauenhänden mit Blumenguirlanden geschmückt
erschien. In der Terrasse erblickte er, wie er später schrieb, "die himmlische
Stätte wahrer Lenz- und Sommerabend-Feier, eine Natnrvesperkirche" und
erfreute sich von hier aus an der wunderbaren Aussicht und an dem regen
Leben und Treiben auf dem Strom und auf der Brücke, die er "den Triumph¬
bogen Deutschlands" nannte. Die fünf Wochen in Dresden bildeten übrigens
den letzten Lichtblick in Jean Pauls Leben. Fortan kränkelte er, erblindete dann
fast und starb, bis zuletzt mit der Vorbereitung zur Herausgabe seiner sämmt¬
lichen Werke beschäftigt/um 13. November des Jahres 1825,

Aber auch unter deu Dresdener Freunden hielt der Tod reiche Ernte. Schon
vor Jean Paul war Malsburg 1824 auf einem feiner hessischen Güter Plötzlich
an einem Nervenschlag verschieden; 1825 folgte ihm Graf Loben, nachdem er
vergeblich bei seinem Freunde Justinus Karner in Weinsberg Heilung gesucht
hatte; 1826 starb Karl Maria von Weber in London, wohin er, schon krank,
gegangen war, um seinen "Oberen" aufzuführen; man hatte ihn früh todt in seinein
Bette gefunden. Den Dresdener Bekannten, die ihn in Hinblick auf seinen lei¬
denden Zustand vor der Reise gewarnt, hatte er entgegnet: "Das ist all gleich!
Ob ich reise, ob ich nicht reise, bin ich in einen" Jahre ein todter Mann. Wenn ich
aber reise, haben meine Kinder zu essen, wenn der Vater todt ist, während sie
hungern, wenn ich bleibe." Viele Thränen wurden "dem geliebten Freunde, dem
seltenen Menschen, dein großen Künstler" nachgeweint.

Mehr aber als der Tod geliebter Genossen wirkten die Zeitereignisse auf
die Zerstörung jenes unbefangenen, in künstlerischen und wissenschaftlichen Be¬
strebungen aufgehenden, durch heitere Geselligkeit verklärten Lebens. Es kamen
die Jahre 1830 und 1831, Auf den Straßen Dresdens war Blut geflossen,
und -- Blut ist ein ganz besondrer Saft. Dazu näherte sich zum erstenmale
das schreckliche Gespenst der Cholera den sächsischen Grenzen, und in Kreisen,
in denen man nur einigermaßen in der frühern harmlosen Art verkehren wollte,
mußte nicht allein die Politik, sondern auch die drohende Kraukheitsgefahr aus¬
drücklich als Gegenstand der Unterhaltung ausgeschlossen werden. Und war
>nnn glücklich über eine solche Beschränkung übereingekommen, so wurden wohl
die Männer aus der Gesellschaft zu den Waffen gerufen durch die Allarm-
trvmmel der 1830 ins Leben gerufnen Communalgarde.

So war die Zeit, in welcher "der Menschheit ganzer Jammer" vergessen
schien, wenigstens in Dresden vergessen schien, verrauscht, auf immer verrauscht.
In literarischen Dingen aber galten von jetzt an -- Börne und Heine. Das
"junge Deutschland" erstand und zog politische und sociale Fragen in das Reich
der Poesie.


Grenzboten III. 1L31. Sö
Dresdener Zustände in den Jahren ^5 bis 1.830.

lieben lernte." Des Abends war er fast immer auf der Brühlschen Terrasse
zu finden, und so verstärkte sich die dort gewöhnlich versammelte Gesellschaft
durch die Hoffnung, ihn zu sehen. Es war ihm ein besondrer Stuhl vorbe¬
halten, der in der Regel von Frauenhänden mit Blumenguirlanden geschmückt
erschien. In der Terrasse erblickte er, wie er später schrieb, „die himmlische
Stätte wahrer Lenz- und Sommerabend-Feier, eine Natnrvesperkirche" und
erfreute sich von hier aus an der wunderbaren Aussicht und an dem regen
Leben und Treiben auf dem Strom und auf der Brücke, die er „den Triumph¬
bogen Deutschlands" nannte. Die fünf Wochen in Dresden bildeten übrigens
den letzten Lichtblick in Jean Pauls Leben. Fortan kränkelte er, erblindete dann
fast und starb, bis zuletzt mit der Vorbereitung zur Herausgabe seiner sämmt¬
lichen Werke beschäftigt/um 13. November des Jahres 1825,

Aber auch unter deu Dresdener Freunden hielt der Tod reiche Ernte. Schon
vor Jean Paul war Malsburg 1824 auf einem feiner hessischen Güter Plötzlich
an einem Nervenschlag verschieden; 1825 folgte ihm Graf Loben, nachdem er
vergeblich bei seinem Freunde Justinus Karner in Weinsberg Heilung gesucht
hatte; 1826 starb Karl Maria von Weber in London, wohin er, schon krank,
gegangen war, um seinen „Oberen" aufzuführen; man hatte ihn früh todt in seinein
Bette gefunden. Den Dresdener Bekannten, die ihn in Hinblick auf seinen lei¬
denden Zustand vor der Reise gewarnt, hatte er entgegnet: „Das ist all gleich!
Ob ich reise, ob ich nicht reise, bin ich in einen« Jahre ein todter Mann. Wenn ich
aber reise, haben meine Kinder zu essen, wenn der Vater todt ist, während sie
hungern, wenn ich bleibe." Viele Thränen wurden „dem geliebten Freunde, dem
seltenen Menschen, dein großen Künstler" nachgeweint.

Mehr aber als der Tod geliebter Genossen wirkten die Zeitereignisse auf
die Zerstörung jenes unbefangenen, in künstlerischen und wissenschaftlichen Be¬
strebungen aufgehenden, durch heitere Geselligkeit verklärten Lebens. Es kamen
die Jahre 1830 und 1831, Auf den Straßen Dresdens war Blut geflossen,
und — Blut ist ein ganz besondrer Saft. Dazu näherte sich zum erstenmale
das schreckliche Gespenst der Cholera den sächsischen Grenzen, und in Kreisen,
in denen man nur einigermaßen in der frühern harmlosen Art verkehren wollte,
mußte nicht allein die Politik, sondern auch die drohende Kraukheitsgefahr aus¬
drücklich als Gegenstand der Unterhaltung ausgeschlossen werden. Und war
>nnn glücklich über eine solche Beschränkung übereingekommen, so wurden wohl
die Männer aus der Gesellschaft zu den Waffen gerufen durch die Allarm-
trvmmel der 1830 ins Leben gerufnen Communalgarde.

So war die Zeit, in welcher „der Menschheit ganzer Jammer" vergessen
schien, wenigstens in Dresden vergessen schien, verrauscht, auf immer verrauscht.
In literarischen Dingen aber galten von jetzt an — Börne und Heine. Das
„junge Deutschland" erstand und zog politische und sociale Fragen in das Reich
der Poesie.


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[0465] Dresdener Zustände in den Jahren ^5 bis 1.830. lieben lernte." Des Abends war er fast immer auf der Brühlschen Terrasse zu finden, und so verstärkte sich die dort gewöhnlich versammelte Gesellschaft durch die Hoffnung, ihn zu sehen. Es war ihm ein besondrer Stuhl vorbe¬ halten, der in der Regel von Frauenhänden mit Blumenguirlanden geschmückt erschien. In der Terrasse erblickte er, wie er später schrieb, „die himmlische Stätte wahrer Lenz- und Sommerabend-Feier, eine Natnrvesperkirche" und erfreute sich von hier aus an der wunderbaren Aussicht und an dem regen Leben und Treiben auf dem Strom und auf der Brücke, die er „den Triumph¬ bogen Deutschlands" nannte. Die fünf Wochen in Dresden bildeten übrigens den letzten Lichtblick in Jean Pauls Leben. Fortan kränkelte er, erblindete dann fast und starb, bis zuletzt mit der Vorbereitung zur Herausgabe seiner sämmt¬ lichen Werke beschäftigt/um 13. November des Jahres 1825, Aber auch unter deu Dresdener Freunden hielt der Tod reiche Ernte. Schon vor Jean Paul war Malsburg 1824 auf einem feiner hessischen Güter Plötzlich an einem Nervenschlag verschieden; 1825 folgte ihm Graf Loben, nachdem er vergeblich bei seinem Freunde Justinus Karner in Weinsberg Heilung gesucht hatte; 1826 starb Karl Maria von Weber in London, wohin er, schon krank, gegangen war, um seinen „Oberen" aufzuführen; man hatte ihn früh todt in seinein Bette gefunden. Den Dresdener Bekannten, die ihn in Hinblick auf seinen lei¬ denden Zustand vor der Reise gewarnt, hatte er entgegnet: „Das ist all gleich! Ob ich reise, ob ich nicht reise, bin ich in einen« Jahre ein todter Mann. Wenn ich aber reise, haben meine Kinder zu essen, wenn der Vater todt ist, während sie hungern, wenn ich bleibe." Viele Thränen wurden „dem geliebten Freunde, dem seltenen Menschen, dein großen Künstler" nachgeweint. Mehr aber als der Tod geliebter Genossen wirkten die Zeitereignisse auf die Zerstörung jenes unbefangenen, in künstlerischen und wissenschaftlichen Be¬ strebungen aufgehenden, durch heitere Geselligkeit verklärten Lebens. Es kamen die Jahre 1830 und 1831, Auf den Straßen Dresdens war Blut geflossen, und — Blut ist ein ganz besondrer Saft. Dazu näherte sich zum erstenmale das schreckliche Gespenst der Cholera den sächsischen Grenzen, und in Kreisen, in denen man nur einigermaßen in der frühern harmlosen Art verkehren wollte, mußte nicht allein die Politik, sondern auch die drohende Kraukheitsgefahr aus¬ drücklich als Gegenstand der Unterhaltung ausgeschlossen werden. Und war >nnn glücklich über eine solche Beschränkung übereingekommen, so wurden wohl die Männer aus der Gesellschaft zu den Waffen gerufen durch die Allarm- trvmmel der 1830 ins Leben gerufnen Communalgarde. So war die Zeit, in welcher „der Menschheit ganzer Jammer" vergessen schien, wenigstens in Dresden vergessen schien, verrauscht, auf immer verrauscht. In literarischen Dingen aber galten von jetzt an — Börne und Heine. Das „junge Deutschland" erstand und zog politische und sociale Fragen in das Reich der Poesie. Grenzboten III. 1L31. Sö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/465>, abgerufen am 24.11.2024.