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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Das deutsche Lied seit Robert Sesamum,

Etliche von Gurlitts Liedern sind mit Vignetten geschmückt. Daraus kann
man schließen, daß sie einer fernern Periode angehören. Wenn wir sie trotzdem
mit vorgeführt haben, so geschah es in der Erwägung, daß tranrigerweise so viele
lebensfähige, gehaltvolle Lieder vom Nachwuchs nicht eigentlich überholt, sondern
einfach erstickt werden. Die Hefte liegen bei den Herausgebern vergraben, die
Componisten, wenn sie gestorben sind, werden vergessen, wie die Berliner O.
Thiesen (Kaukasisches Volkslied) und Th. de Witt; leben sie noch, verstummen
sie vor der Zeit. Dies ist der Fall mit Otto Scherzer z. B, dem kürzlich in
diesen Blättern ein besondrer Aufsatz: "Ein übersehener Liedcrsängcr" gewidmet
worden ist, mit Gotthard Wühler, der, obwohl er noch in einem schaffens¬
kräftigen Alter steht, schon lange nichts mehr hat von sich hören lassen.
Einst, in den fünfziger Jahren, spielte Wühler die Balladenharfe als einer
der ersten, er war sehr reich an treffenden Klängen, wenn es etwas mit
Musik zu beschreiben galt. Vielleicht nimmt sich ein und der andre Sänger
gelegentlich seiner Composition vom "Pagen und der Königstochter" an. Es
ist Sache der Musikschriftsteller und der Verleger, solche vereinzelte und unbe-
kannte Schätze zu retten. Letztern namentlich steht nach dieser Seite hin eine
sehr schöne und lohnende Thätigkeit bevor. Die bekannte Verlagshandlung von
Peters hat mit dem "Curschmann-Album" einen guten Anfang gemacht. Von
den speciellen Liedersängern der Vergangenheit dürfte sich vielleicht ein ähnlicher
Versuch mit Dessauer lohnen. Zum Fortfahren bietet dann die Production der
letzten Periode eine überreiche Ausbeute. Eine Gesammthermlsgabe der Lieder
von Rubinstein z. B. wäre eine mißliche Sache, aber die besten davon in einem
Album zusammenzustellen, würde ein dankbares Unternehmen sein. Aehnlich ver¬
hält es sich mit Lassen, mit Reinecke. Es sind die Zeit her sehr oft Lieder¬
sammlungen und zwar von verschiednen Handlungen veranstaltet worden. Man
verfuhr dabei in der Regel so, daß man die beliebtesten Liedereompvnisten um
je einen Beitrag bat. Das ist verkehrt. Eine große Sammlung wirklich guter
Lieder könnte jeder Verleger leicht fertig bringen, wenn er aus dem gedruckten
Vorrath der laufenden Periode die Nummern aufsuchte, die, obwohl höchst
werthvoll, doch unbekannt sind. Auf die Weise kann eine Anzahl Komponisten
der Vergessenheit entzogen werden, die eine Dosis Unsterblichkeit verdienen, aber
in der Oeffentlichkeit durchzuringen nicht das Glück gehabt haben.

Wir werden uns den Talenten, deren Lieder die Aufmerksamkeit des Publicums
erhalten werden oder sollten, bald zuwenden. Ehe wir jedoch von den Tonsetzcrn,
deren Namen bereits weit bekannt sind, ganz Abschied nehmen, haben wir uns
noch zwei vorbehalten, die für die Geschichte des modernen Liedes Größen ersten
Ranges bedeuten: Robert Franz und Adolf Imsen. (Schluß folgt.)




Das deutsche Lied seit Robert Sesamum,

Etliche von Gurlitts Liedern sind mit Vignetten geschmückt. Daraus kann
man schließen, daß sie einer fernern Periode angehören. Wenn wir sie trotzdem
mit vorgeführt haben, so geschah es in der Erwägung, daß tranrigerweise so viele
lebensfähige, gehaltvolle Lieder vom Nachwuchs nicht eigentlich überholt, sondern
einfach erstickt werden. Die Hefte liegen bei den Herausgebern vergraben, die
Componisten, wenn sie gestorben sind, werden vergessen, wie die Berliner O.
Thiesen (Kaukasisches Volkslied) und Th. de Witt; leben sie noch, verstummen
sie vor der Zeit. Dies ist der Fall mit Otto Scherzer z. B, dem kürzlich in
diesen Blättern ein besondrer Aufsatz: „Ein übersehener Liedcrsängcr" gewidmet
worden ist, mit Gotthard Wühler, der, obwohl er noch in einem schaffens¬
kräftigen Alter steht, schon lange nichts mehr hat von sich hören lassen.
Einst, in den fünfziger Jahren, spielte Wühler die Balladenharfe als einer
der ersten, er war sehr reich an treffenden Klängen, wenn es etwas mit
Musik zu beschreiben galt. Vielleicht nimmt sich ein und der andre Sänger
gelegentlich seiner Composition vom „Pagen und der Königstochter" an. Es
ist Sache der Musikschriftsteller und der Verleger, solche vereinzelte und unbe-
kannte Schätze zu retten. Letztern namentlich steht nach dieser Seite hin eine
sehr schöne und lohnende Thätigkeit bevor. Die bekannte Verlagshandlung von
Peters hat mit dem „Curschmann-Album" einen guten Anfang gemacht. Von
den speciellen Liedersängern der Vergangenheit dürfte sich vielleicht ein ähnlicher
Versuch mit Dessauer lohnen. Zum Fortfahren bietet dann die Production der
letzten Periode eine überreiche Ausbeute. Eine Gesammthermlsgabe der Lieder
von Rubinstein z. B. wäre eine mißliche Sache, aber die besten davon in einem
Album zusammenzustellen, würde ein dankbares Unternehmen sein. Aehnlich ver¬
hält es sich mit Lassen, mit Reinecke. Es sind die Zeit her sehr oft Lieder¬
sammlungen und zwar von verschiednen Handlungen veranstaltet worden. Man
verfuhr dabei in der Regel so, daß man die beliebtesten Liedereompvnisten um
je einen Beitrag bat. Das ist verkehrt. Eine große Sammlung wirklich guter
Lieder könnte jeder Verleger leicht fertig bringen, wenn er aus dem gedruckten
Vorrath der laufenden Periode die Nummern aufsuchte, die, obwohl höchst
werthvoll, doch unbekannt sind. Auf die Weise kann eine Anzahl Komponisten
der Vergessenheit entzogen werden, die eine Dosis Unsterblichkeit verdienen, aber
in der Oeffentlichkeit durchzuringen nicht das Glück gehabt haben.

Wir werden uns den Talenten, deren Lieder die Aufmerksamkeit des Publicums
erhalten werden oder sollten, bald zuwenden. Ehe wir jedoch von den Tonsetzcrn,
deren Namen bereits weit bekannt sind, ganz Abschied nehmen, haben wir uns
noch zwei vorbehalten, die für die Geschichte des modernen Liedes Größen ersten
Ranges bedeuten: Robert Franz und Adolf Imsen. (Schluß folgt.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/46>, abgerufen am 01.09.2024.