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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Dresdener Zustände in den Jahren 1^3 ^5 bis 2330.

Welt war wohl die erste Aufführung des "Faust." Mau hatte dazu den 28. August
1829, den achtzigsten Geburtstag des Dichters gewählt. Mit einem Prolog Tiecks
wurde die Festvorstcllung eingeleitet. Es war die Zeit, wo die Intendanz in
den Händen erst des Grafen Vitzthum sich befand, dann des Herrn von Kön¬
neritz, endlich von 1824 an in denen des Kammerherrn von Lüttichau. Schon
unter Könneritz erlangte Ludwig Tieck Einfluß auf die künstlerischen Leistungen
der Bühne, indem er auf dessen Drängen die Besprechungen der theatralischen
Aufführungen in der "Abendzeitung" übernahm. Theodor Hell, der Theater-
seeretär und einer der Redacteure dieses Blattes, mußte ihm ans Rücksicht
ans seinen Chef die Spalten desselben öffnen, fo ungern er es auch that.
So entstand eine Dresdener Dramaturgie, die es verdiente, nicht so ganz
vergessen zu sein. Später wurde Tieck mit dem Titel eines Hofraths geradezu
Dramaturg, und er blieb bis in die vierziger Jahre von Bedeutung für die
Dresdener Bühne.

Nach dem Theater eilte man aber noch ein Stündchen in die italienische
Clause, in den Laden des Jtalieners Chiappone auf der Schloßgasse, um dort
bei einem Glase Wein die Eindrücke, die man empfangen, auszutauschen oder
auch von andern Dingen zu plaudern und zu scherzen. Da saßen Kind und
Weber, innig gesellt, Dichter und Componist, als fühlte jeder, wie viel er dem
andern schulde; "denn, sagte man, was wäre Maria ohne Kind?" Weber gestand
selbst oft ein, daß ihm aus dem Freischütztext die Melodien wie von selbst ent¬
gegengequollen seien. Freilich überwarfen sich beide dann wegen der Honorar¬
frage; Weber hatte, wie man scherzte, seine Achillesferse im Geldbeutel. Da saß
auch Tieck, ein leidenschaftlicher Verehrer des Austerngenusses, hinter einem großen
Haufen von Austernschalen und hielt einen komischen Vortrag, wie man diesen
Genuß durch Raffinement noch steigern könne. Dann Böttiger, der in seiner
Art mit geschlossenen Augen kleine Späße erzählte, vielleicht das neueste Bonmot
der Chezy, die neulich von Ednard Gehe gesagt hatte, daß ihm die Muse selbst
den Namen gegeben: "Ednard, gehe!" Bisweilen lachte man auch auf seine
Kosten. Hatte er doch in einem seiner jüngsten Hochzeitsgedichte vom Bräutigam
drucken lassen: "Wenn er an Ihrer Seite schwitzt," statt "sitzt," wie auch schon
kurz vorher einmal in einem Aufsatze: "Venus wurde von zwei Amerikanern ge¬
zogen," statt "Amoretten," oder gar Privilegium Vensris anstatt xervigilium.
Böttiger schrieb nämlich eine wahrhaft hieroglyphische Handschrift, und bei seiner
großen Kurzsichtigkeit erlebte er so lächerliche Druckfehler wie kaum ein andrer.

An einem Aprilabend des Jahres 1828 hatten sich hier wieder einmal
verschiedne von den Stammgästen zusammengefunden, als plötzlich 101 Kanonen¬
schüsse der harrenden Residenz verkündeten, daß dem Lande ein Prinz, der sehn¬
lichst erwartete Thronerbe, geboren sei, der jetzige König Albert. Die Jünger
Chinppones erhoben sich, wie wir in Falkensteins schönem Buche vom König
Johann lesen, in heiterster Stimmung und zogen nach der Abdrücke, ließen


Dresdener Zustände in den Jahren 1^3 ^5 bis 2330.

Welt war wohl die erste Aufführung des „Faust." Mau hatte dazu den 28. August
1829, den achtzigsten Geburtstag des Dichters gewählt. Mit einem Prolog Tiecks
wurde die Festvorstcllung eingeleitet. Es war die Zeit, wo die Intendanz in
den Händen erst des Grafen Vitzthum sich befand, dann des Herrn von Kön¬
neritz, endlich von 1824 an in denen des Kammerherrn von Lüttichau. Schon
unter Könneritz erlangte Ludwig Tieck Einfluß auf die künstlerischen Leistungen
der Bühne, indem er auf dessen Drängen die Besprechungen der theatralischen
Aufführungen in der „Abendzeitung" übernahm. Theodor Hell, der Theater-
seeretär und einer der Redacteure dieses Blattes, mußte ihm ans Rücksicht
ans seinen Chef die Spalten desselben öffnen, fo ungern er es auch that.
So entstand eine Dresdener Dramaturgie, die es verdiente, nicht so ganz
vergessen zu sein. Später wurde Tieck mit dem Titel eines Hofraths geradezu
Dramaturg, und er blieb bis in die vierziger Jahre von Bedeutung für die
Dresdener Bühne.

Nach dem Theater eilte man aber noch ein Stündchen in die italienische
Clause, in den Laden des Jtalieners Chiappone auf der Schloßgasse, um dort
bei einem Glase Wein die Eindrücke, die man empfangen, auszutauschen oder
auch von andern Dingen zu plaudern und zu scherzen. Da saßen Kind und
Weber, innig gesellt, Dichter und Componist, als fühlte jeder, wie viel er dem
andern schulde; „denn, sagte man, was wäre Maria ohne Kind?" Weber gestand
selbst oft ein, daß ihm aus dem Freischütztext die Melodien wie von selbst ent¬
gegengequollen seien. Freilich überwarfen sich beide dann wegen der Honorar¬
frage; Weber hatte, wie man scherzte, seine Achillesferse im Geldbeutel. Da saß
auch Tieck, ein leidenschaftlicher Verehrer des Austerngenusses, hinter einem großen
Haufen von Austernschalen und hielt einen komischen Vortrag, wie man diesen
Genuß durch Raffinement noch steigern könne. Dann Böttiger, der in seiner
Art mit geschlossenen Augen kleine Späße erzählte, vielleicht das neueste Bonmot
der Chezy, die neulich von Ednard Gehe gesagt hatte, daß ihm die Muse selbst
den Namen gegeben: „Ednard, gehe!" Bisweilen lachte man auch auf seine
Kosten. Hatte er doch in einem seiner jüngsten Hochzeitsgedichte vom Bräutigam
drucken lassen: „Wenn er an Ihrer Seite schwitzt," statt „sitzt," wie auch schon
kurz vorher einmal in einem Aufsatze: „Venus wurde von zwei Amerikanern ge¬
zogen," statt „Amoretten," oder gar Privilegium Vensris anstatt xervigilium.
Böttiger schrieb nämlich eine wahrhaft hieroglyphische Handschrift, und bei seiner
großen Kurzsichtigkeit erlebte er so lächerliche Druckfehler wie kaum ein andrer.

An einem Aprilabend des Jahres 1828 hatten sich hier wieder einmal
verschiedne von den Stammgästen zusammengefunden, als plötzlich 101 Kanonen¬
schüsse der harrenden Residenz verkündeten, daß dem Lande ein Prinz, der sehn¬
lichst erwartete Thronerbe, geboren sei, der jetzige König Albert. Die Jünger
Chinppones erhoben sich, wie wir in Falkensteins schönem Buche vom König
Johann lesen, in heiterster Stimmung und zogen nach der Abdrücke, ließen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/458>, abgerufen am 01.09.2024.