Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

des größten Jammers, wie sie sich täglich auf Straßen und Plätzen entgegen¬
drängten, das Nervenfieber, das epidemisch auftrat, das russische und dann das
Preußische Gouvernement, und endlich die bange Erwartung, was wohl aus dem
als erobert behandelten Sachsen werden würde -- alles das trug dazu bei,
daß die Stimmung in Dresden als eine äußerst ernste, kummervolle und tief
hcrabgedrückte erschien.

Als nun die Entscheidung gefallen und es doch nicht so schlimm geworden
war, wie man wiederholt fürchten zu müssen gelaubt hatte, als nicht das ganze
Land an Preußen fiel, Dresden Residenz blieb und der schwergeprüfte König
Friedrich August seinem Volle wiedergegeben ward, da machte sich eine Art von
Reaction geltend; man athmete wieder auf, und ein sorgenloseres Leben ward
wieder begonnen. Dazu kam, daß bei dem gebildeten Theile der Bewohner mehr
und mehr die Ueberzeugung Platz griff, daß Sachsen fortan mehr denn je sich
durch Ausbildung der Künste und Wissenschaften auszeichnen müsse, da ihm
zunächst jede andre Gelegenheit, sich Ruhm und Ansehen zu verschaffen, genommen
sei. Und so entwickelte sich denn in literarisch und künstlerisch gebildeten Kreisen
ein Leben, wie es vorher nie gewesen war und sich in ähnlicher Weise wohl auch
kaum jemals wiederholen wird.

Dies Leben, nur künstlerischen und literarischen Zwecken nebst heiterer, un¬
befangener Geselligkeit geweiht, hielt sich principiell fern von aller Politik und
konnte deshalb auch nur fo lange bestehen, als sich politische Fragen nicht auf¬
drängten, als sich dergleichen noch ignoriren ließen. Sobald das freilich wieder
anders wurde, sobald sich die Nachwirkungen der französischen Julirevolution
in den Jahren 1830 und 1831 auch in Sachsen, selbst in Dresden fühlbar machten,
es zu Straßenkämpsen und zu Blutvergießen kam, da mußte jenes Leben einen
Schlag erhalten, von dem es sich nicht wieder zu erholen vermochte. Seinen
äußern Verlauf zu schildern, soll im folgenden versucht werden.*)

Getragen wurde das Leben dieser Jahre von einer Anzahl hochgebildeter
Männer, die sich damals in Dresden zusammengefunden und seit dem Jahre 181S
in dem sogenannten "Liederkreis" enger aneinandergeschlossen hatten. Fast alle
Mitglieder waren mit mehr oder weniger Erfolg productiv; allwöchentlich oder
doch zweimal des Monats versammelten sie sich, um in froher Geselligkeit gegen¬
seitig mitzutheilen, was neues entstanden war. Diese Vereinigungen fanden reihum
statt, und auch die Frauen und erwachsenen Töchter hatten Zutritt. Die Seele
dieses literarischen Vereins war Arthur von Nordstern, wie sich Minister von
Nostitz als Dichter und Schriftsteller nannte. Seine Dichtungen -- "Irene,"
ein Friedensepos (1819), "Sinnbilder für Christen" u. s. w. -- können nicht für
!ehr bedeutend gelten; doch sein Eifer und seine Begeisterung für alles Gute



*) Der Verfasser hat zu dieser Schilderung eine lange Reihe von Biographie", Selbst-
ogrnphien, Erinnerungsblättcrn und Tagebüchern von Zeitgenossen durchgesehen.

des größten Jammers, wie sie sich täglich auf Straßen und Plätzen entgegen¬
drängten, das Nervenfieber, das epidemisch auftrat, das russische und dann das
Preußische Gouvernement, und endlich die bange Erwartung, was wohl aus dem
als erobert behandelten Sachsen werden würde — alles das trug dazu bei,
daß die Stimmung in Dresden als eine äußerst ernste, kummervolle und tief
hcrabgedrückte erschien.

Als nun die Entscheidung gefallen und es doch nicht so schlimm geworden
war, wie man wiederholt fürchten zu müssen gelaubt hatte, als nicht das ganze
Land an Preußen fiel, Dresden Residenz blieb und der schwergeprüfte König
Friedrich August seinem Volle wiedergegeben ward, da machte sich eine Art von
Reaction geltend; man athmete wieder auf, und ein sorgenloseres Leben ward
wieder begonnen. Dazu kam, daß bei dem gebildeten Theile der Bewohner mehr
und mehr die Ueberzeugung Platz griff, daß Sachsen fortan mehr denn je sich
durch Ausbildung der Künste und Wissenschaften auszeichnen müsse, da ihm
zunächst jede andre Gelegenheit, sich Ruhm und Ansehen zu verschaffen, genommen
sei. Und so entwickelte sich denn in literarisch und künstlerisch gebildeten Kreisen
ein Leben, wie es vorher nie gewesen war und sich in ähnlicher Weise wohl auch
kaum jemals wiederholen wird.

Dies Leben, nur künstlerischen und literarischen Zwecken nebst heiterer, un¬
befangener Geselligkeit geweiht, hielt sich principiell fern von aller Politik und
konnte deshalb auch nur fo lange bestehen, als sich politische Fragen nicht auf¬
drängten, als sich dergleichen noch ignoriren ließen. Sobald das freilich wieder
anders wurde, sobald sich die Nachwirkungen der französischen Julirevolution
in den Jahren 1830 und 1831 auch in Sachsen, selbst in Dresden fühlbar machten,
es zu Straßenkämpsen und zu Blutvergießen kam, da mußte jenes Leben einen
Schlag erhalten, von dem es sich nicht wieder zu erholen vermochte. Seinen
äußern Verlauf zu schildern, soll im folgenden versucht werden.*)

Getragen wurde das Leben dieser Jahre von einer Anzahl hochgebildeter
Männer, die sich damals in Dresden zusammengefunden und seit dem Jahre 181S
in dem sogenannten „Liederkreis" enger aneinandergeschlossen hatten. Fast alle
Mitglieder waren mit mehr oder weniger Erfolg productiv; allwöchentlich oder
doch zweimal des Monats versammelten sie sich, um in froher Geselligkeit gegen¬
seitig mitzutheilen, was neues entstanden war. Diese Vereinigungen fanden reihum
statt, und auch die Frauen und erwachsenen Töchter hatten Zutritt. Die Seele
dieses literarischen Vereins war Arthur von Nordstern, wie sich Minister von
Nostitz als Dichter und Schriftsteller nannte. Seine Dichtungen — „Irene,"
ein Friedensepos (1819), „Sinnbilder für Christen" u. s. w. — können nicht für
!ehr bedeutend gelten; doch sein Eifer und seine Begeisterung für alles Gute



*) Der Verfasser hat zu dieser Schilderung eine lange Reihe von Biographie», Selbst-
ogrnphien, Erinnerungsblättcrn und Tagebüchern von Zeitgenossen durchgesehen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150601"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1441" prev="#ID_1440"> des größten Jammers, wie sie sich täglich auf Straßen und Plätzen entgegen¬<lb/>
drängten, das Nervenfieber, das epidemisch auftrat, das russische und dann das<lb/>
Preußische Gouvernement, und endlich die bange Erwartung, was wohl aus dem<lb/>
als erobert behandelten Sachsen werden würde &#x2014; alles das trug dazu bei,<lb/>
daß die Stimmung in Dresden als eine äußerst ernste, kummervolle und tief<lb/>
hcrabgedrückte erschien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1442"> Als nun die Entscheidung gefallen und es doch nicht so schlimm geworden<lb/>
war, wie man wiederholt fürchten zu müssen gelaubt hatte, als nicht das ganze<lb/>
Land an Preußen fiel, Dresden Residenz blieb und der schwergeprüfte König<lb/>
Friedrich August seinem Volle wiedergegeben ward, da machte sich eine Art von<lb/>
Reaction geltend; man athmete wieder auf, und ein sorgenloseres Leben ward<lb/>
wieder begonnen. Dazu kam, daß bei dem gebildeten Theile der Bewohner mehr<lb/>
und mehr die Ueberzeugung Platz griff, daß Sachsen fortan mehr denn je sich<lb/>
durch Ausbildung der Künste und Wissenschaften auszeichnen müsse, da ihm<lb/>
zunächst jede andre Gelegenheit, sich Ruhm und Ansehen zu verschaffen, genommen<lb/>
sei. Und so entwickelte sich denn in literarisch und künstlerisch gebildeten Kreisen<lb/>
ein Leben, wie es vorher nie gewesen war und sich in ähnlicher Weise wohl auch<lb/>
kaum jemals wiederholen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1443"> Dies Leben, nur künstlerischen und literarischen Zwecken nebst heiterer, un¬<lb/>
befangener Geselligkeit geweiht, hielt sich principiell fern von aller Politik und<lb/>
konnte deshalb auch nur fo lange bestehen, als sich politische Fragen nicht auf¬<lb/>
drängten, als sich dergleichen noch ignoriren ließen. Sobald das freilich wieder<lb/>
anders wurde, sobald sich die Nachwirkungen der französischen Julirevolution<lb/>
in den Jahren 1830 und 1831 auch in Sachsen, selbst in Dresden fühlbar machten,<lb/>
es zu Straßenkämpsen und zu Blutvergießen kam, da mußte jenes Leben einen<lb/>
Schlag erhalten, von dem es sich nicht wieder zu erholen vermochte. Seinen<lb/>
äußern Verlauf zu schildern, soll im folgenden versucht werden.*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1444" next="#ID_1445"> Getragen wurde das Leben dieser Jahre von einer Anzahl hochgebildeter<lb/>
Männer, die sich damals in Dresden zusammengefunden und seit dem Jahre 181S<lb/>
in dem sogenannten &#x201E;Liederkreis" enger aneinandergeschlossen hatten. Fast alle<lb/>
Mitglieder waren mit mehr oder weniger Erfolg productiv; allwöchentlich oder<lb/>
doch zweimal des Monats versammelten sie sich, um in froher Geselligkeit gegen¬<lb/>
seitig mitzutheilen, was neues entstanden war. Diese Vereinigungen fanden reihum<lb/>
statt, und auch die Frauen und erwachsenen Töchter hatten Zutritt. Die Seele<lb/>
dieses literarischen Vereins war Arthur von Nordstern, wie sich Minister von<lb/>
Nostitz als Dichter und Schriftsteller nannte. Seine Dichtungen &#x2014; &#x201E;Irene,"<lb/>
ein Friedensepos (1819), &#x201E;Sinnbilder für Christen" u. s. w. &#x2014; können nicht für<lb/>
!ehr bedeutend gelten; doch sein Eifer und seine Begeisterung für alles Gute</p><lb/>
          <note xml:id="FID_82" place="foot"> *) Der Verfasser hat zu dieser Schilderung eine lange Reihe von Biographie», Selbst-<lb/>
ogrnphien, Erinnerungsblättcrn und Tagebüchern von Zeitgenossen durchgesehen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0451] des größten Jammers, wie sie sich täglich auf Straßen und Plätzen entgegen¬ drängten, das Nervenfieber, das epidemisch auftrat, das russische und dann das Preußische Gouvernement, und endlich die bange Erwartung, was wohl aus dem als erobert behandelten Sachsen werden würde — alles das trug dazu bei, daß die Stimmung in Dresden als eine äußerst ernste, kummervolle und tief hcrabgedrückte erschien. Als nun die Entscheidung gefallen und es doch nicht so schlimm geworden war, wie man wiederholt fürchten zu müssen gelaubt hatte, als nicht das ganze Land an Preußen fiel, Dresden Residenz blieb und der schwergeprüfte König Friedrich August seinem Volle wiedergegeben ward, da machte sich eine Art von Reaction geltend; man athmete wieder auf, und ein sorgenloseres Leben ward wieder begonnen. Dazu kam, daß bei dem gebildeten Theile der Bewohner mehr und mehr die Ueberzeugung Platz griff, daß Sachsen fortan mehr denn je sich durch Ausbildung der Künste und Wissenschaften auszeichnen müsse, da ihm zunächst jede andre Gelegenheit, sich Ruhm und Ansehen zu verschaffen, genommen sei. Und so entwickelte sich denn in literarisch und künstlerisch gebildeten Kreisen ein Leben, wie es vorher nie gewesen war und sich in ähnlicher Weise wohl auch kaum jemals wiederholen wird. Dies Leben, nur künstlerischen und literarischen Zwecken nebst heiterer, un¬ befangener Geselligkeit geweiht, hielt sich principiell fern von aller Politik und konnte deshalb auch nur fo lange bestehen, als sich politische Fragen nicht auf¬ drängten, als sich dergleichen noch ignoriren ließen. Sobald das freilich wieder anders wurde, sobald sich die Nachwirkungen der französischen Julirevolution in den Jahren 1830 und 1831 auch in Sachsen, selbst in Dresden fühlbar machten, es zu Straßenkämpsen und zu Blutvergießen kam, da mußte jenes Leben einen Schlag erhalten, von dem es sich nicht wieder zu erholen vermochte. Seinen äußern Verlauf zu schildern, soll im folgenden versucht werden.*) Getragen wurde das Leben dieser Jahre von einer Anzahl hochgebildeter Männer, die sich damals in Dresden zusammengefunden und seit dem Jahre 181S in dem sogenannten „Liederkreis" enger aneinandergeschlossen hatten. Fast alle Mitglieder waren mit mehr oder weniger Erfolg productiv; allwöchentlich oder doch zweimal des Monats versammelten sie sich, um in froher Geselligkeit gegen¬ seitig mitzutheilen, was neues entstanden war. Diese Vereinigungen fanden reihum statt, und auch die Frauen und erwachsenen Töchter hatten Zutritt. Die Seele dieses literarischen Vereins war Arthur von Nordstern, wie sich Minister von Nostitz als Dichter und Schriftsteller nannte. Seine Dichtungen — „Irene," ein Friedensepos (1819), „Sinnbilder für Christen" u. s. w. — können nicht für !ehr bedeutend gelten; doch sein Eifer und seine Begeisterung für alles Gute *) Der Verfasser hat zu dieser Schilderung eine lange Reihe von Biographie», Selbst- ogrnphien, Erinnerungsblättcrn und Tagebüchern von Zeitgenossen durchgesehen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/451
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/451>, abgerufen am 01.09.2024.