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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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licher schädige", und da man das nicht geradezu sagen mag, versteckt man sich hinter
technische Schwierigkeiten.

Die Abgeschmacktheit, Steuer- und Zvllfragen mit sittlichem Pathos zu
tractiren und die Begriffe Freiheit lind Fortschritt hineinzumengen, ist so groß,
daß der Fernstehende seinen Sinnen nicht traut, wenn dergleichen von der Tribüne
und in den Zeitungen ertönt nud -- ruhig angehört wird. Das Gezänk zwischen
Freihändlern und Schntzzöllnern macht hänfig den Eindruck, als behaupte einer:
da im Sommer das Heizen überflüssig ist, so ist es überhaupt und überall über¬
flüssig; und der andre: da man im Winter heizt, muß auch im Sommer geheizt
werden. Nur das kann sich niemand vorstellen, daß der erste den zweiten als
einen unmoralischen Menschen und Rückschrittler behandeln würde, wenn dieser
die Behauptung aufstellte: wenn es kalt ist, soll man einbeizen. Zu solchem
Aberwitz versteigen sich nur die Schlauen, deren Geschäft der Freihandel ist und
die -- weniger schlauen -- Doetrinäre, welche imstande wären, dem Princip zu¬
liebe zu hungern und zu frieren, um wievielmehr also andre dem Hunger und
Frost auszusetzen. An der Uneigennützigkeit dieser sonderbaren Schwärmer ist
nicht zu zweifeln. Sie verlangen nur, daß ihre Mitbürger das Ungemach mit
gleichem Enthusiasmus tragen und dabei laut versichern sollen, sie befänden sich
ganz außerordentlich wohl.

Es ist kein Wunder, daß solche Helden sich auch mit dem Worte Staatssocialis-
mus ins Bockshorn jagen lassen. Die Aeußerungen, zu welchen dieses Schauspiel
dem Auslande Anlaß giebt, pflegen darauf hinauszulaufen, daß der große Moment
ein kleines Geschlecht gefunden habe. Die Deutschen haben nicht mehr das Zeug
zu einer großen Nation, heißt es je nachdem mit Schmunzeln oder mit Bedauern;
sie möchten eine werden, aber die Kleinstaaterei, die Buchgelehrsamkeit, die an-
geborne Rechthaberei sind ihnen verderblich geworden, und der eine Mann wird
sie nicht ändern. Ob die so urtheilenden wirklich Recht behalten werden? Wohl
ergreift einen Bangigkeit, wenn man gewahr wird, bis zu welchem Grade das
Vaterlaudsgefühl geschwunden ist, das einst unser größter Stolz war. Wie in
den Zeiten der tiefsten Erniedrigung bemühen sich Parteiführer, das Mitleid
andrer Völker zu erregen, kokettiren mit allem, was reichsfcindlich ist, und die aus¬
wärtigen Zeitungen wimmeln von giftigen oder kläglichen Ausfällen auf den
Mann, welcher Deutschland in den Sattel gesetzt hat und um fordert, es solle
reite". Das ist ein untröstlicher Anblick, aber entmuthigen darf er doch wohl
nicht. Auch in Deutschland muß, wie es scheint, jenes "Vürgerthum," welches
jetzt das Wort führt, erst abwirtschaften, jene Bourgeoisie, welche sich in Frank¬
reich unter Louis Philipp, in Italien unter der Consvrterici, in Spanien nach
der Verjagung Jsabellens, in Oesterreich unter zwei "Bürgerministerien" als
regierungsunfähig documentirt hat. Der Schwindel, welchen man jetzt mit dein
"liberalen Bürgerthum," wie früher mit dem "Volk," treibt, wird die deutsche
Sprache noch zwingen, sich unterscheidende Ausdrücke für Lom'g'voiL und Kto/Ku


licher schädige», und da man das nicht geradezu sagen mag, versteckt man sich hinter
technische Schwierigkeiten.

Die Abgeschmacktheit, Steuer- und Zvllfragen mit sittlichem Pathos zu
tractiren und die Begriffe Freiheit lind Fortschritt hineinzumengen, ist so groß,
daß der Fernstehende seinen Sinnen nicht traut, wenn dergleichen von der Tribüne
und in den Zeitungen ertönt nud — ruhig angehört wird. Das Gezänk zwischen
Freihändlern und Schntzzöllnern macht hänfig den Eindruck, als behaupte einer:
da im Sommer das Heizen überflüssig ist, so ist es überhaupt und überall über¬
flüssig; und der andre: da man im Winter heizt, muß auch im Sommer geheizt
werden. Nur das kann sich niemand vorstellen, daß der erste den zweiten als
einen unmoralischen Menschen und Rückschrittler behandeln würde, wenn dieser
die Behauptung aufstellte: wenn es kalt ist, soll man einbeizen. Zu solchem
Aberwitz versteigen sich nur die Schlauen, deren Geschäft der Freihandel ist und
die — weniger schlauen — Doetrinäre, welche imstande wären, dem Princip zu¬
liebe zu hungern und zu frieren, um wievielmehr also andre dem Hunger und
Frost auszusetzen. An der Uneigennützigkeit dieser sonderbaren Schwärmer ist
nicht zu zweifeln. Sie verlangen nur, daß ihre Mitbürger das Ungemach mit
gleichem Enthusiasmus tragen und dabei laut versichern sollen, sie befänden sich
ganz außerordentlich wohl.

Es ist kein Wunder, daß solche Helden sich auch mit dem Worte Staatssocialis-
mus ins Bockshorn jagen lassen. Die Aeußerungen, zu welchen dieses Schauspiel
dem Auslande Anlaß giebt, pflegen darauf hinauszulaufen, daß der große Moment
ein kleines Geschlecht gefunden habe. Die Deutschen haben nicht mehr das Zeug
zu einer großen Nation, heißt es je nachdem mit Schmunzeln oder mit Bedauern;
sie möchten eine werden, aber die Kleinstaaterei, die Buchgelehrsamkeit, die an-
geborne Rechthaberei sind ihnen verderblich geworden, und der eine Mann wird
sie nicht ändern. Ob die so urtheilenden wirklich Recht behalten werden? Wohl
ergreift einen Bangigkeit, wenn man gewahr wird, bis zu welchem Grade das
Vaterlaudsgefühl geschwunden ist, das einst unser größter Stolz war. Wie in
den Zeiten der tiefsten Erniedrigung bemühen sich Parteiführer, das Mitleid
andrer Völker zu erregen, kokettiren mit allem, was reichsfcindlich ist, und die aus¬
wärtigen Zeitungen wimmeln von giftigen oder kläglichen Ausfällen auf den
Mann, welcher Deutschland in den Sattel gesetzt hat und um fordert, es solle
reite». Das ist ein untröstlicher Anblick, aber entmuthigen darf er doch wohl
nicht. Auch in Deutschland muß, wie es scheint, jenes „Vürgerthum," welches
jetzt das Wort führt, erst abwirtschaften, jene Bourgeoisie, welche sich in Frank¬
reich unter Louis Philipp, in Italien unter der Consvrterici, in Spanien nach
der Verjagung Jsabellens, in Oesterreich unter zwei „Bürgerministerien" als
regierungsunfähig documentirt hat. Der Schwindel, welchen man jetzt mit dein
„liberalen Bürgerthum," wie früher mit dem „Volk," treibt, wird die deutsche
Sprache noch zwingen, sich unterscheidende Ausdrücke für Lom'g'voiL und Kto/Ku


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/447>, abgerufen am 01.09.2024.