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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Glosse" eines Deutschen im Auslande.

werden sie wohl endlich Recht behalten: es kommt nur darauf an, was man
unter dem Gange nach Canossa versteht. Als der Kanzler das geflügelte Wort
sprach, meinte er natürlich, die Staatsgewalt werde sich nicht demüthige" vor
der Kirche, nicht von Rom aus sich vorschreiben lassen, was Gesetz und Recht
im Lande sein soll und was nicht. Hat er irgendwie Anstalten gemacht, welche
dem widersprächen? Giebt seine gesummte Vergangenheit dem Verdachte Raum,
daß er dem Recht und der Ehre Deutschlands auch nur ein Titelchen vergeben
oder daß er sich von den Diplomaten ^des Vatican übertölpeln lassen werde?
Diese Fragen wird sein bitterster Feind nicht zu bejahen wagen. Allein sie
meinen auch etwas ganz andres. Man darf nicht übersehen, daß es fast aus¬
schließlich jüdische oder verjudete Journalisten sind, welche sich so uneigennützig
um Dinge sorgen, die sie im Grunde sehr wenig angehen. Bei dieser Sorte
bedeutet "Glaubensfreiheit" nur: Freiheit des Unglaubens. Jedes positive
Bekenntniß flößt ihnen Haß und Angst ein, jeder Bekenner, vor allen jeder
Priester einer Religion (mit Ausnahme der mosaischen, die immer mit Rück¬
sicht zu behandeln ist), ist für sie ein Gegenstand des Abscheus und des
Hohns. Wollten sie das leugnen, so müßten sie vor dem Zeugniß ihrer Blätter
verstummen; obwohl diese in neuester Zeit ein ganz klein wenig vorsichtiger ge¬
worden sind, bricht der Fanatismus doch immer aufs neue durch, so oft ein
katholischer oder protestantischer Geistlicher von seinem Bürgerrecht Gebrauch
wacht, oder Studenten es wagen, von ihrem Christenthum zu sprechen. Man
mag ihnen ihre Empfindungen zugute halten, da ihre Vorfahren schwer dafür
haben büßen müssen, daß die mosaische Vorstellung von einem alleinseligmachenden
Glauben und mit ihr die Intoleranz in der christlichen Kirche Wurzel geschlagen
hat. Allein sehr unklug ist es von ihnen, auch in diesem Punkte zu verrathen,
wie weit das Judenthum im großen und ganzen noch von der Reife für den
von ihnen so gern angerufenen "modernen Staat" entfernt ist. Sie wissen
ganz gut, daß die Freiheit ihrer Religionsübungen nicht verkümmert werden
wird, was auch zwischen Berlin und Rom etwa abgemacht werden sollte. Aber
ihnen ist die Möglichkeit des Friedens zwischen Staat und Kirche ein
Greuel. Knüpfen sie Befürchtungen für ihre Rasse daran -- um so schlimmer
sur sie. Und in der That scheinen sie zu besorgen, daß das Aufhören des
"Culturkampfes" dem Geschäfte Schaden bringen könne, und eine Menge bor-
mrter Köpfe unter den Deutschen läßt sich von ihnen einreden, der Staat
dürfe nicht eingestehen, daß er Fehler begangen hat. Als die altkatholische Be¬
legung begann, konnte man in derselben einen wichtigen Bundesgenossen für
den Staat erhoffen; das war eine Täuschung, und die Handvoll Generale ohne
Armee werden wohl nicht verlangen, daß um ihretwillen der Krieg fortgesetzt
'"erde. Heute weiß ferner jedes Kind, daß Herr Falk ein guter Jurist sein mag,
aber gar kein Staatsmann ist, daß seine Strafbestimmungen der klerikalen Partei
"ur wohlfeile Märtyrer verschafft haben. Aber sagen darf man das beileibe


Glosse» eines Deutschen im Auslande.

werden sie wohl endlich Recht behalten: es kommt nur darauf an, was man
unter dem Gange nach Canossa versteht. Als der Kanzler das geflügelte Wort
sprach, meinte er natürlich, die Staatsgewalt werde sich nicht demüthige» vor
der Kirche, nicht von Rom aus sich vorschreiben lassen, was Gesetz und Recht
im Lande sein soll und was nicht. Hat er irgendwie Anstalten gemacht, welche
dem widersprächen? Giebt seine gesummte Vergangenheit dem Verdachte Raum,
daß er dem Recht und der Ehre Deutschlands auch nur ein Titelchen vergeben
oder daß er sich von den Diplomaten ^des Vatican übertölpeln lassen werde?
Diese Fragen wird sein bitterster Feind nicht zu bejahen wagen. Allein sie
meinen auch etwas ganz andres. Man darf nicht übersehen, daß es fast aus¬
schließlich jüdische oder verjudete Journalisten sind, welche sich so uneigennützig
um Dinge sorgen, die sie im Grunde sehr wenig angehen. Bei dieser Sorte
bedeutet „Glaubensfreiheit" nur: Freiheit des Unglaubens. Jedes positive
Bekenntniß flößt ihnen Haß und Angst ein, jeder Bekenner, vor allen jeder
Priester einer Religion (mit Ausnahme der mosaischen, die immer mit Rück¬
sicht zu behandeln ist), ist für sie ein Gegenstand des Abscheus und des
Hohns. Wollten sie das leugnen, so müßten sie vor dem Zeugniß ihrer Blätter
verstummen; obwohl diese in neuester Zeit ein ganz klein wenig vorsichtiger ge¬
worden sind, bricht der Fanatismus doch immer aufs neue durch, so oft ein
katholischer oder protestantischer Geistlicher von seinem Bürgerrecht Gebrauch
wacht, oder Studenten es wagen, von ihrem Christenthum zu sprechen. Man
mag ihnen ihre Empfindungen zugute halten, da ihre Vorfahren schwer dafür
haben büßen müssen, daß die mosaische Vorstellung von einem alleinseligmachenden
Glauben und mit ihr die Intoleranz in der christlichen Kirche Wurzel geschlagen
hat. Allein sehr unklug ist es von ihnen, auch in diesem Punkte zu verrathen,
wie weit das Judenthum im großen und ganzen noch von der Reife für den
von ihnen so gern angerufenen „modernen Staat" entfernt ist. Sie wissen
ganz gut, daß die Freiheit ihrer Religionsübungen nicht verkümmert werden
wird, was auch zwischen Berlin und Rom etwa abgemacht werden sollte. Aber
ihnen ist die Möglichkeit des Friedens zwischen Staat und Kirche ein
Greuel. Knüpfen sie Befürchtungen für ihre Rasse daran — um so schlimmer
sur sie. Und in der That scheinen sie zu besorgen, daß das Aufhören des
»Culturkampfes" dem Geschäfte Schaden bringen könne, und eine Menge bor-
mrter Köpfe unter den Deutschen läßt sich von ihnen einreden, der Staat
dürfe nicht eingestehen, daß er Fehler begangen hat. Als die altkatholische Be¬
legung begann, konnte man in derselben einen wichtigen Bundesgenossen für
den Staat erhoffen; das war eine Täuschung, und die Handvoll Generale ohne
Armee werden wohl nicht verlangen, daß um ihretwillen der Krieg fortgesetzt
'"erde. Heute weiß ferner jedes Kind, daß Herr Falk ein guter Jurist sein mag,
aber gar kein Staatsmann ist, daß seine Strafbestimmungen der klerikalen Partei
"ur wohlfeile Märtyrer verschafft haben. Aber sagen darf man das beileibe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/445>, abgerufen am 25.11.2024.