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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Glossen eines Deutschen im Auslande.

ein, was er selbst gebaut hat. Naturhistoriker wie Vogt und Virchow werden
sich mit dieser merkwürdigen Erscheinung ohne Zweifel schou mit Hilfe ihrer
Wissenschaft abgefunden haben. Für uns Laien ist das leider nicht möglich,
und wir sind unbescheiden genug, den Worten der Redegewaltigen ebensowenig
Vertrauen zu schenken, wie sie den Thaten des Fürsten Bismarck. Worauf
aber gründet sich ihr Verdict? Die Liste der Anklagen ist lang genug, selbst
wenn wir alle die allgemeinen Redensarten, bei welchen die Redner sich so
wenig denken wie ihre Zuhörer, die liberalen Philister, ausscheiden. Versuchen
wir die Fragen, bei welchen der Reichskanzler der erbittertsten Opposition be¬
gegnete, in ein System zu bringen, so finden wir solche, deren Lösung oder deren
Auswerfen überhaupt den Liberalen gegen den Strich ist, und solche, in welchen
augenscheinlich nur opponire wurde, weil eben der Reichskanzler sie gestellt hatte.

Zu den letztern gehören die Aufnahme Hamburgs in den Zollverein und
Samoa. Die plötzliche Schwärmerei der Radicalen für Reservatrechte und
Privilegien, die sittliche Entrüstung über die Vergewaltigung der armen Hanse¬
stadt nahm sich so komisch aus wie seinerzeit das Eintreten der Republikaner
für den Bundestag, den umgestürzten Georg Rex und den ehrwürdigen letzten
Kurfürsten, und die Vorwände, welche als sachliche Gründe herbeigeholt wurden,
bewiesen zur Genüge, daß solche in Wahrheit nicht zur Verfügung standen.
Wäre dieselbe Sache zehn Jahre früher in Angriff genommen worden, so würde
die liberale Partei nicht das mindeste dagegen gehabt haben. Und nicht ge¬
ringer war die Blamage derselben Partei, als sie die Unterstützung der Süd¬
seegesellschaft verhinderte. Dieselben Leute, welche sich sonst bei jeder passenden
und unpassenden Gelegenheit so zärtlich besorgt um den Handel zeigen, setzten
sich und ihre Spießbürgerpolitik dem Gelächter des ganzen Erdbodens aus, als
endlich einmal etwas zu Schutz und Förderung des deutschen Handels geschehen
sollte, dieselben Leute, welche oft und mit Recht beklagt haben, daß der Deutsche
in fernen Ländern sich kleiner fühlen müsse als die Angehörigen aller andern
seefahrenden Nationen! In beiden Fällen brachte man das öffentliche Interesse
und den eignen Ruf dem höhern Princip zum Opfer. Man mußte dem Lande
und dem Kaiser beweisen, daß der Kanzler der böse Feind, gegen welchen jedes
Mittel erlaubt ist, und wenn das nicht gelingen sollte, vielleicht konnten ihn doch
die unablässigen Nadelstiche dermaßen reizen und ermüden, daß er freiwillig
den Platz räumte.

Aber frage" wir weiter: Wodurch hat sich der Mann so verhaßt gemacht,
daß man auch Gutes und Nothwendiges nicht aus seiner Hand empfangen mag?

Er geht nach Canossa!

Ein gewisser Muth kann den Herren nicht abgesprochen werden, welche
diesen Unkenruf immer wieder ausstoßen. Hundertmal haben sie ihn schon er¬
hoben, und ebenso oft hätten sie ihn widerrufen müssen, wenn es bei ihnen
Sitte wäre, einen Irrthum oder eine Unwahrheit einzugestehen. Uebrigens


Glossen eines Deutschen im Auslande.

ein, was er selbst gebaut hat. Naturhistoriker wie Vogt und Virchow werden
sich mit dieser merkwürdigen Erscheinung ohne Zweifel schou mit Hilfe ihrer
Wissenschaft abgefunden haben. Für uns Laien ist das leider nicht möglich,
und wir sind unbescheiden genug, den Worten der Redegewaltigen ebensowenig
Vertrauen zu schenken, wie sie den Thaten des Fürsten Bismarck. Worauf
aber gründet sich ihr Verdict? Die Liste der Anklagen ist lang genug, selbst
wenn wir alle die allgemeinen Redensarten, bei welchen die Redner sich so
wenig denken wie ihre Zuhörer, die liberalen Philister, ausscheiden. Versuchen
wir die Fragen, bei welchen der Reichskanzler der erbittertsten Opposition be¬
gegnete, in ein System zu bringen, so finden wir solche, deren Lösung oder deren
Auswerfen überhaupt den Liberalen gegen den Strich ist, und solche, in welchen
augenscheinlich nur opponire wurde, weil eben der Reichskanzler sie gestellt hatte.

Zu den letztern gehören die Aufnahme Hamburgs in den Zollverein und
Samoa. Die plötzliche Schwärmerei der Radicalen für Reservatrechte und
Privilegien, die sittliche Entrüstung über die Vergewaltigung der armen Hanse¬
stadt nahm sich so komisch aus wie seinerzeit das Eintreten der Republikaner
für den Bundestag, den umgestürzten Georg Rex und den ehrwürdigen letzten
Kurfürsten, und die Vorwände, welche als sachliche Gründe herbeigeholt wurden,
bewiesen zur Genüge, daß solche in Wahrheit nicht zur Verfügung standen.
Wäre dieselbe Sache zehn Jahre früher in Angriff genommen worden, so würde
die liberale Partei nicht das mindeste dagegen gehabt haben. Und nicht ge¬
ringer war die Blamage derselben Partei, als sie die Unterstützung der Süd¬
seegesellschaft verhinderte. Dieselben Leute, welche sich sonst bei jeder passenden
und unpassenden Gelegenheit so zärtlich besorgt um den Handel zeigen, setzten
sich und ihre Spießbürgerpolitik dem Gelächter des ganzen Erdbodens aus, als
endlich einmal etwas zu Schutz und Förderung des deutschen Handels geschehen
sollte, dieselben Leute, welche oft und mit Recht beklagt haben, daß der Deutsche
in fernen Ländern sich kleiner fühlen müsse als die Angehörigen aller andern
seefahrenden Nationen! In beiden Fällen brachte man das öffentliche Interesse
und den eignen Ruf dem höhern Princip zum Opfer. Man mußte dem Lande
und dem Kaiser beweisen, daß der Kanzler der böse Feind, gegen welchen jedes
Mittel erlaubt ist, und wenn das nicht gelingen sollte, vielleicht konnten ihn doch
die unablässigen Nadelstiche dermaßen reizen und ermüden, daß er freiwillig
den Platz räumte.

Aber frage» wir weiter: Wodurch hat sich der Mann so verhaßt gemacht,
daß man auch Gutes und Nothwendiges nicht aus seiner Hand empfangen mag?

Er geht nach Canossa!

Ein gewisser Muth kann den Herren nicht abgesprochen werden, welche
diesen Unkenruf immer wieder ausstoßen. Hundertmal haben sie ihn schon er¬
hoben, und ebenso oft hätten sie ihn widerrufen müssen, wenn es bei ihnen
Sitte wäre, einen Irrthum oder eine Unwahrheit einzugestehen. Uebrigens


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[0444] Glossen eines Deutschen im Auslande. ein, was er selbst gebaut hat. Naturhistoriker wie Vogt und Virchow werden sich mit dieser merkwürdigen Erscheinung ohne Zweifel schou mit Hilfe ihrer Wissenschaft abgefunden haben. Für uns Laien ist das leider nicht möglich, und wir sind unbescheiden genug, den Worten der Redegewaltigen ebensowenig Vertrauen zu schenken, wie sie den Thaten des Fürsten Bismarck. Worauf aber gründet sich ihr Verdict? Die Liste der Anklagen ist lang genug, selbst wenn wir alle die allgemeinen Redensarten, bei welchen die Redner sich so wenig denken wie ihre Zuhörer, die liberalen Philister, ausscheiden. Versuchen wir die Fragen, bei welchen der Reichskanzler der erbittertsten Opposition be¬ gegnete, in ein System zu bringen, so finden wir solche, deren Lösung oder deren Auswerfen überhaupt den Liberalen gegen den Strich ist, und solche, in welchen augenscheinlich nur opponire wurde, weil eben der Reichskanzler sie gestellt hatte. Zu den letztern gehören die Aufnahme Hamburgs in den Zollverein und Samoa. Die plötzliche Schwärmerei der Radicalen für Reservatrechte und Privilegien, die sittliche Entrüstung über die Vergewaltigung der armen Hanse¬ stadt nahm sich so komisch aus wie seinerzeit das Eintreten der Republikaner für den Bundestag, den umgestürzten Georg Rex und den ehrwürdigen letzten Kurfürsten, und die Vorwände, welche als sachliche Gründe herbeigeholt wurden, bewiesen zur Genüge, daß solche in Wahrheit nicht zur Verfügung standen. Wäre dieselbe Sache zehn Jahre früher in Angriff genommen worden, so würde die liberale Partei nicht das mindeste dagegen gehabt haben. Und nicht ge¬ ringer war die Blamage derselben Partei, als sie die Unterstützung der Süd¬ seegesellschaft verhinderte. Dieselben Leute, welche sich sonst bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit so zärtlich besorgt um den Handel zeigen, setzten sich und ihre Spießbürgerpolitik dem Gelächter des ganzen Erdbodens aus, als endlich einmal etwas zu Schutz und Förderung des deutschen Handels geschehen sollte, dieselben Leute, welche oft und mit Recht beklagt haben, daß der Deutsche in fernen Ländern sich kleiner fühlen müsse als die Angehörigen aller andern seefahrenden Nationen! In beiden Fällen brachte man das öffentliche Interesse und den eignen Ruf dem höhern Princip zum Opfer. Man mußte dem Lande und dem Kaiser beweisen, daß der Kanzler der böse Feind, gegen welchen jedes Mittel erlaubt ist, und wenn das nicht gelingen sollte, vielleicht konnten ihn doch die unablässigen Nadelstiche dermaßen reizen und ermüden, daß er freiwillig den Platz räumte. Aber frage» wir weiter: Wodurch hat sich der Mann so verhaßt gemacht, daß man auch Gutes und Nothwendiges nicht aus seiner Hand empfangen mag? Er geht nach Canossa! Ein gewisser Muth kann den Herren nicht abgesprochen werden, welche diesen Unkenruf immer wieder ausstoßen. Hundertmal haben sie ihn schon er¬ hoben, und ebenso oft hätten sie ihn widerrufen müssen, wenn es bei ihnen Sitte wäre, einen Irrthum oder eine Unwahrheit einzugestehen. Uebrigens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/444>, abgerufen am 01.09.2024.