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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Glossen eines Deutschen im Auslande.

günstigen Boden die aller geschichtlichen Erfahrung widerstreitende Lehre, nicht
durch große Männer, sondern durch "das Volk" selbst werde dessen Ge¬
schick bestimmt. Wie das Volk seine Aufgabe angriff, als es wirklich gerufen
wurde, das wissen wir. Daß dann der Hader nach der Verlornen Schlacht
begann, ein jeder sich von den andern verrathen meinte, konnte nicht befremden.
Allein die Katzcnjammerstimmung hielt etwas lange an, und als sie endlich
geschwunden war, wußten die meisten nichts besseres, als sich wiederum in
den alten Rausch zu versetzen, so daß schon damals ehemalige Demokraten,
welche in der Fremde gelernt und vergessen hatten, ihren einstigen Parteigenossen
vorwerfen durften, sie hätten das eine wie das andere unterlassen, zu ihrem
und des ganzen Volkes Schaden. Was den Parlamentariern nicht geglückt
war, sollten nun Schützen- und Sangesbrüder verrichten. Aber als man es
aur wenigsten vermuthete, war plötzlich der ersehnte Staatsmann da, that die
große Arbeit wider den Willen des "Volkes," und bat dann ganz bescheiden
ore Klein-Roland: Zürnt mir nicht, daß ich erschlug den groben Wicht, der¬
weil ihr eben -- debattirtet. Das war natürlich alles sehr vorwitzig von ihm.
Er hätte zurücktreten müssen, als der preußische Landtag ihm das Vertrauen
versagte. Dann wäre wohl der alte Bundestag nach dem einen oder andern
Recept reformirt worden, vielleicht säßen die Herren von Bennigsen und von
Stauffenberg und von Forckenbeck neben dem liberalgcwordeuen Herrn von Beust
in der Eschenheimer Gasse, in Preußen wäre ein Ministerium Laster-Bau-
'erger.Richter am Ruder, alle berechtigten Eigenthümlichkeiten wären wohl eon-
wrvirt und Deutschland immer noch der "Eckstein aller Nationen," das Reich
er Mitte, welches von den übrigen Staaten höflich eingeladen würde, zu con-
rrasignircn, was jene verfügt hätten. Bekanntlich gingen auch ganz Principien-
treue Männer ernstlich mit sich zu Rathe, ob sie das als vorhanden anerkennen
willen, was der Mann, welchen sie hinwegzuresvlvireu und hmwegzuhöhucn
gedacht hatten, gegen allen Comment geschaffen hatte. Doch, was hälfs, der-
lelbe Mann wurde von der Welt angestaunt, um seinen Besitz wurde und wird
Deutschland jeden Tag von allen Völkern des Erdballs beneidet: mit Ausnahme
weniger antiker Charaktere, wie Jacoby, Freese, Vogt n. s. w., mußten sich auch
d'e Gegner entschließen, ihm eine gewisse Größe zuzugestehen.

Das thun sie freilich auch jetzt noch, aber -- mir für das Auswärtige,
^'e man ihm vereinst jede staatsmännische Befähigung überhaupt abstritt, so
wacht man jetzt einen ganz absonderlich organisirten Menschen ans ihm. Von
er einen Seite angesehen, bekundet er alle mit -ficht zusammengesetzten guten
^genschnften, Einsicht, Umsicht, Uebersicht, Vorsicht n. s. w. im nllerreichstcn
MZe, und wendet alle seine Fähigkeiten einzig und allein im Dienste des Vater-
andes an; jetzt dreht er sich um, und siehe da, er ist bis zur Blindheit kurz-
''adlig, leichtfertig, der Belehrung unzugänglich, eigensinnig, rechthaberisch, stellt
^"nderintercssen über das Wohl des Allgemeinen und reißt muthwillig wieder


Glossen eines Deutschen im Auslande.

günstigen Boden die aller geschichtlichen Erfahrung widerstreitende Lehre, nicht
durch große Männer, sondern durch „das Volk" selbst werde dessen Ge¬
schick bestimmt. Wie das Volk seine Aufgabe angriff, als es wirklich gerufen
wurde, das wissen wir. Daß dann der Hader nach der Verlornen Schlacht
begann, ein jeder sich von den andern verrathen meinte, konnte nicht befremden.
Allein die Katzcnjammerstimmung hielt etwas lange an, und als sie endlich
geschwunden war, wußten die meisten nichts besseres, als sich wiederum in
den alten Rausch zu versetzen, so daß schon damals ehemalige Demokraten,
welche in der Fremde gelernt und vergessen hatten, ihren einstigen Parteigenossen
vorwerfen durften, sie hätten das eine wie das andere unterlassen, zu ihrem
und des ganzen Volkes Schaden. Was den Parlamentariern nicht geglückt
war, sollten nun Schützen- und Sangesbrüder verrichten. Aber als man es
aur wenigsten vermuthete, war plötzlich der ersehnte Staatsmann da, that die
große Arbeit wider den Willen des „Volkes," und bat dann ganz bescheiden
ore Klein-Roland: Zürnt mir nicht, daß ich erschlug den groben Wicht, der¬
weil ihr eben — debattirtet. Das war natürlich alles sehr vorwitzig von ihm.
Er hätte zurücktreten müssen, als der preußische Landtag ihm das Vertrauen
versagte. Dann wäre wohl der alte Bundestag nach dem einen oder andern
Recept reformirt worden, vielleicht säßen die Herren von Bennigsen und von
Stauffenberg und von Forckenbeck neben dem liberalgcwordeuen Herrn von Beust
in der Eschenheimer Gasse, in Preußen wäre ein Ministerium Laster-Bau-
'erger.Richter am Ruder, alle berechtigten Eigenthümlichkeiten wären wohl eon-
wrvirt und Deutschland immer noch der „Eckstein aller Nationen," das Reich
er Mitte, welches von den übrigen Staaten höflich eingeladen würde, zu con-
rrasignircn, was jene verfügt hätten. Bekanntlich gingen auch ganz Principien-
treue Männer ernstlich mit sich zu Rathe, ob sie das als vorhanden anerkennen
willen, was der Mann, welchen sie hinwegzuresvlvireu und hmwegzuhöhucn
gedacht hatten, gegen allen Comment geschaffen hatte. Doch, was hälfs, der-
lelbe Mann wurde von der Welt angestaunt, um seinen Besitz wurde und wird
Deutschland jeden Tag von allen Völkern des Erdballs beneidet: mit Ausnahme
weniger antiker Charaktere, wie Jacoby, Freese, Vogt n. s. w., mußten sich auch
d'e Gegner entschließen, ihm eine gewisse Größe zuzugestehen.

Das thun sie freilich auch jetzt noch, aber — mir für das Auswärtige,
^'e man ihm vereinst jede staatsmännische Befähigung überhaupt abstritt, so
wacht man jetzt einen ganz absonderlich organisirten Menschen ans ihm. Von
er einen Seite angesehen, bekundet er alle mit -ficht zusammengesetzten guten
^genschnften, Einsicht, Umsicht, Uebersicht, Vorsicht n. s. w. im nllerreichstcn
MZe, und wendet alle seine Fähigkeiten einzig und allein im Dienste des Vater-
andes an; jetzt dreht er sich um, und siehe da, er ist bis zur Blindheit kurz-
''adlig, leichtfertig, der Belehrung unzugänglich, eigensinnig, rechthaberisch, stellt
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[0443] Glossen eines Deutschen im Auslande. günstigen Boden die aller geschichtlichen Erfahrung widerstreitende Lehre, nicht durch große Männer, sondern durch „das Volk" selbst werde dessen Ge¬ schick bestimmt. Wie das Volk seine Aufgabe angriff, als es wirklich gerufen wurde, das wissen wir. Daß dann der Hader nach der Verlornen Schlacht begann, ein jeder sich von den andern verrathen meinte, konnte nicht befremden. Allein die Katzcnjammerstimmung hielt etwas lange an, und als sie endlich geschwunden war, wußten die meisten nichts besseres, als sich wiederum in den alten Rausch zu versetzen, so daß schon damals ehemalige Demokraten, welche in der Fremde gelernt und vergessen hatten, ihren einstigen Parteigenossen vorwerfen durften, sie hätten das eine wie das andere unterlassen, zu ihrem und des ganzen Volkes Schaden. Was den Parlamentariern nicht geglückt war, sollten nun Schützen- und Sangesbrüder verrichten. Aber als man es aur wenigsten vermuthete, war plötzlich der ersehnte Staatsmann da, that die große Arbeit wider den Willen des „Volkes," und bat dann ganz bescheiden ore Klein-Roland: Zürnt mir nicht, daß ich erschlug den groben Wicht, der¬ weil ihr eben — debattirtet. Das war natürlich alles sehr vorwitzig von ihm. Er hätte zurücktreten müssen, als der preußische Landtag ihm das Vertrauen versagte. Dann wäre wohl der alte Bundestag nach dem einen oder andern Recept reformirt worden, vielleicht säßen die Herren von Bennigsen und von Stauffenberg und von Forckenbeck neben dem liberalgcwordeuen Herrn von Beust in der Eschenheimer Gasse, in Preußen wäre ein Ministerium Laster-Bau- 'erger.Richter am Ruder, alle berechtigten Eigenthümlichkeiten wären wohl eon- wrvirt und Deutschland immer noch der „Eckstein aller Nationen," das Reich er Mitte, welches von den übrigen Staaten höflich eingeladen würde, zu con- rrasignircn, was jene verfügt hätten. Bekanntlich gingen auch ganz Principien- treue Männer ernstlich mit sich zu Rathe, ob sie das als vorhanden anerkennen willen, was der Mann, welchen sie hinwegzuresvlvireu und hmwegzuhöhucn gedacht hatten, gegen allen Comment geschaffen hatte. Doch, was hälfs, der- lelbe Mann wurde von der Welt angestaunt, um seinen Besitz wurde und wird Deutschland jeden Tag von allen Völkern des Erdballs beneidet: mit Ausnahme weniger antiker Charaktere, wie Jacoby, Freese, Vogt n. s. w., mußten sich auch d'e Gegner entschließen, ihm eine gewisse Größe zuzugestehen. Das thun sie freilich auch jetzt noch, aber — mir für das Auswärtige, ^'e man ihm vereinst jede staatsmännische Befähigung überhaupt abstritt, so wacht man jetzt einen ganz absonderlich organisirten Menschen ans ihm. Von er einen Seite angesehen, bekundet er alle mit -ficht zusammengesetzten guten ^genschnften, Einsicht, Umsicht, Uebersicht, Vorsicht n. s. w. im nllerreichstcn MZe, und wendet alle seine Fähigkeiten einzig und allein im Dienste des Vater- andes an; jetzt dreht er sich um, und siehe da, er ist bis zur Blindheit kurz- ''adlig, leichtfertig, der Belehrung unzugänglich, eigensinnig, rechthaberisch, stellt ^»nderintercssen über das Wohl des Allgemeinen und reißt muthwillig wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/443>, abgerufen am 24.11.2024.