Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.Rümelin über die deutschen Schulen. die entweder eine reine Gedüchtiiißleistung oder ein unreifes Raisonnement er¬ Bezüglich der Mathematik endlich müsse dein Unterschiede in der Begabung Zum Schlüsse werden die Gebrechen des modernen Gymnasiums nochmals , Diese Behauptung ist durchaus wahr, und ebenso auch das, was Rümelin Trotz alledem möchten wir der Umkehr zu den alten Verhältnissen nicht Rümelin über die deutschen Schulen. die entweder eine reine Gedüchtiiißleistung oder ein unreifes Raisonnement er¬ Bezüglich der Mathematik endlich müsse dein Unterschiede in der Begabung Zum Schlüsse werden die Gebrechen des modernen Gymnasiums nochmals , Diese Behauptung ist durchaus wahr, und ebenso auch das, was Rümelin Trotz alledem möchten wir der Umkehr zu den alten Verhältnissen nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150587"/> <fw type="header" place="top"> Rümelin über die deutschen Schulen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1399" prev="#ID_1398"> die entweder eine reine Gedüchtiiißleistung oder ein unreifes Raisonnement er¬<lb/> fordern, daß sie keinen rationellen und denknvthwendigen, sondern nur empirischen<lb/> Inhalt haben, daß ihr Hauptreiz in der Unterhaltung und sachlichen Belehrung<lb/> besteht." So sollen diese Fächer weniger zum Gegenstand eines strammen und<lb/> strengen Lernens als zur Erholung, zur Abwechselung, zum unterhaltenden und<lb/> anziehenden Ausruhen von der ernstem Arbeit dienen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1400"> Bezüglich der Mathematik endlich müsse dein Unterschiede in der Begabung<lb/> Rechnung getragen werden. Erfahrung und Psychologie bezeugten eine specifische<lb/> Differenz des mathematischen und des allgemein logischen Denkens. Es sei daher<lb/> geboten, eine selecta zu bilden und mit ihr so weit zu gehen, als sie folgen<lb/> könne, der Masse gegenüber aber sich mit den vulgären Zielen der niedern Arith¬<lb/> metik und Geometrie zu begnügen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1401"> Zum Schlüsse werden die Gebrechen des modernen Gymnasiums nochmals<lb/> in folgende Worte zusammengefaßt: „Das Uniformiren, das ununterbrochene<lb/> Doeircn, die Gleichheit der Anforderungen an alle Schüler und in allen Fächern,<lb/> die Cunmlirung intensiver Denkarbeit und extensiver Gedächtnißleistung aller<lb/> Art, das Fachlehrersystem, die stetige Ausdehnung des Umfangs stofflichen<lb/> Wissens, die Examenhetzereien machen heutzutage den ganzen Gymnasialbetrieb<lb/> zu einer zwar höchst achtungswerthen und erfolgreichen, aber straffen und zu<lb/> stetig schärfern Anspannung der Kräfte sich steigernden Ordnung, bei der, soweit<lb/> sich nicht die nie ganz versagende Selbsthilfe der Jugend geltend macht, Lehrer<lb/> »ut Schüler ihr Tagwerk im Schweiß ihres Angesichts vollbringen müssen<lb/> und sich für die meisten an die Gymnasialjahre unangenehme Erinnerungen<lb/> knüpfen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1402"> , Diese Behauptung ist durchaus wahr, und ebenso auch das, was Rümelin<lb/> an andrer Stelle sagt, wo er die jetzige Jugend mit der zu seiner Zeit ver¬<lb/> gleicht: „Unser Wissen war lückenhafter und ungleicher, aber dem eignen Suchen<lb/> und Finden war mehr Spielraum gelassen. Nachdem die geistigen Fertigkeiten<lb/> an formalen Dingen gereift und erstarkt waren, erwachte von selbst auch das<lb/> Verlangen nach stofflichen Wissen; man erlernte wenigstens die Kunst und ent¬<lb/> wickelte den Trieb des Lernens selbst. So kamen wir unwissender, aber anch<lb/> weniger lernmüde, wissensdnrstiger, erwartungsvoller auf die Hochschule. Wir<lb/> brachten weniger Kenntnisse mit, aber mehr Stil und Sprachgefühl; ich glaube,<lb/> daß wir uns 'in der Muttersprache besser auszudrücken wußten, wenn auch mit<lb/> kleiner Hinneigung zu gesteigerter und schwungreicher Redeweise."</p><lb/> <p xml:id="ID_1403" next="#ID_1404"> Trotz alledem möchten wir der Umkehr zu den alten Verhältnissen nicht<lb/> ganz widerspruchslos zustimmen. Die Schule kann sich den Einflüssen ver¬<lb/> änderter Anschauungen der Zeit nicht ganz entziehen. Sie muß ihnen Rechnung<lb/> tragen, wobei sie ihr innerstes Wesen noch nicht aufzugeben braucht. So können<lb/> wir es nicht als einen Nachtheil betrachten, wenn das Lateinsprechen, wem: die<lb/> zeitraubenden Uebungen im Drechseln lateinischer Verse in den Hintergrund ge¬<lb/> treten sind und dem Unterricht in der Muttersprache und in der Geschichte<lb/> »lehr Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Wollte man diese Disciplinen, wie<lb/> Rümelin vorschlägt, dem Privatfleiß überlassen, wollte man sich dabei beruhigen,<lb/> daß wer Vergil und Homer gelesen hat, auch ohne Erklärung unsere Klassiker<lb/> lesen könne und Lust und Liebe habe, historische Werke zu studiren, so fürchten<lb/> wir, daß große Nachtheile nicht ausbleiben würden. Rümelin steht hier im<lb/> Banne feiner Jugenderinnerungen. Er selbst hat seine Erziehung in einer<lb/> württembergischen Klosterschule erhalten. Auf einer solchen gab es aber nur</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0437]
Rümelin über die deutschen Schulen.
die entweder eine reine Gedüchtiiißleistung oder ein unreifes Raisonnement er¬
fordern, daß sie keinen rationellen und denknvthwendigen, sondern nur empirischen
Inhalt haben, daß ihr Hauptreiz in der Unterhaltung und sachlichen Belehrung
besteht." So sollen diese Fächer weniger zum Gegenstand eines strammen und
strengen Lernens als zur Erholung, zur Abwechselung, zum unterhaltenden und
anziehenden Ausruhen von der ernstem Arbeit dienen.
Bezüglich der Mathematik endlich müsse dein Unterschiede in der Begabung
Rechnung getragen werden. Erfahrung und Psychologie bezeugten eine specifische
Differenz des mathematischen und des allgemein logischen Denkens. Es sei daher
geboten, eine selecta zu bilden und mit ihr so weit zu gehen, als sie folgen
könne, der Masse gegenüber aber sich mit den vulgären Zielen der niedern Arith¬
metik und Geometrie zu begnügen.
Zum Schlüsse werden die Gebrechen des modernen Gymnasiums nochmals
in folgende Worte zusammengefaßt: „Das Uniformiren, das ununterbrochene
Doeircn, die Gleichheit der Anforderungen an alle Schüler und in allen Fächern,
die Cunmlirung intensiver Denkarbeit und extensiver Gedächtnißleistung aller
Art, das Fachlehrersystem, die stetige Ausdehnung des Umfangs stofflichen
Wissens, die Examenhetzereien machen heutzutage den ganzen Gymnasialbetrieb
zu einer zwar höchst achtungswerthen und erfolgreichen, aber straffen und zu
stetig schärfern Anspannung der Kräfte sich steigernden Ordnung, bei der, soweit
sich nicht die nie ganz versagende Selbsthilfe der Jugend geltend macht, Lehrer
»ut Schüler ihr Tagwerk im Schweiß ihres Angesichts vollbringen müssen
und sich für die meisten an die Gymnasialjahre unangenehme Erinnerungen
knüpfen."
, Diese Behauptung ist durchaus wahr, und ebenso auch das, was Rümelin
an andrer Stelle sagt, wo er die jetzige Jugend mit der zu seiner Zeit ver¬
gleicht: „Unser Wissen war lückenhafter und ungleicher, aber dem eignen Suchen
und Finden war mehr Spielraum gelassen. Nachdem die geistigen Fertigkeiten
an formalen Dingen gereift und erstarkt waren, erwachte von selbst auch das
Verlangen nach stofflichen Wissen; man erlernte wenigstens die Kunst und ent¬
wickelte den Trieb des Lernens selbst. So kamen wir unwissender, aber anch
weniger lernmüde, wissensdnrstiger, erwartungsvoller auf die Hochschule. Wir
brachten weniger Kenntnisse mit, aber mehr Stil und Sprachgefühl; ich glaube,
daß wir uns 'in der Muttersprache besser auszudrücken wußten, wenn auch mit
kleiner Hinneigung zu gesteigerter und schwungreicher Redeweise."
Trotz alledem möchten wir der Umkehr zu den alten Verhältnissen nicht
ganz widerspruchslos zustimmen. Die Schule kann sich den Einflüssen ver¬
änderter Anschauungen der Zeit nicht ganz entziehen. Sie muß ihnen Rechnung
tragen, wobei sie ihr innerstes Wesen noch nicht aufzugeben braucht. So können
wir es nicht als einen Nachtheil betrachten, wenn das Lateinsprechen, wem: die
zeitraubenden Uebungen im Drechseln lateinischer Verse in den Hintergrund ge¬
treten sind und dem Unterricht in der Muttersprache und in der Geschichte
»lehr Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Wollte man diese Disciplinen, wie
Rümelin vorschlägt, dem Privatfleiß überlassen, wollte man sich dabei beruhigen,
daß wer Vergil und Homer gelesen hat, auch ohne Erklärung unsere Klassiker
lesen könne und Lust und Liebe habe, historische Werke zu studiren, so fürchten
wir, daß große Nachtheile nicht ausbleiben würden. Rümelin steht hier im
Banne feiner Jugenderinnerungen. Er selbst hat seine Erziehung in einer
württembergischen Klosterschule erhalten. Auf einer solchen gab es aber nur
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |