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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Das deutsche Tieo seit Robert Schumann.

krank" freut man sich getroffen zu haben. Unter seinen italienischen Liedern
(Opus 23) ist namentlich ein Schifferständchen mit einer vortrefflichen Vegleitungs-
figur und einem interessanten Mittelsalz zu erwähnen.

Franz Lachner gehört als Liedcreomponist einer frühern Periode an.
Am meisten gesungen sind seine Lieder mit Begleitung eines zweiten Instrumentes,
Cello oder Horn, wie deren in den ersten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts viele
geschrieben worden sind. Wenn Sänger heute in die Lage kommen, sich zur
Befestigung des Muthes noch einen zweiten Solisten an die Seite zu wünschen,
ist guter Rath unter der neuern Literatur ziemlich rar. Da sind Reinecke, Wurst
mit einzelnen Heften, etwas weiter zurück Franz Lachner, Julius Otto, Louis
Spohr, aber sichre Rettung ist nur bei den ältern. Diese einst so beliebte Gat¬
tung -- warum ist sie aus der Mode gekommen?

Georg Vierung, der durch manch wirksamen Chor bekannt geworden
ist, hat zu der neuern Liederlitcratur einen stattlichen Theil beigetragen. Sein
Talent entwickelt sich am günstigsten bei einfachen Empfindungen und klar aus-
gesprochnen Pointen. Als Humorist hat er den Männerchören manches Ver¬
gnügen bereitet; in seinen "Hafisliedcrn", die er sür eine Baßstimme schrieb,
war er weniger glücklich. Zwei seiner gelungensten Nummern auf dem erotisch-
elegischen Gebiete sind "Ach Ekstein, liebes Ekstein" und "An Dich allein, an
Dich." Sein bestes, frischestes Werk auf dem Gebiete des Liedes bildet der
"Cyclus erotischer Dichtungen", eine Reihe von breit angelegten Liebesgesängen,
die in den leidenschaftlichen Sätzen ungefähr den Ton von Beethovens ^.ki xgr-
liäo anschlagen und in sehr einfach rührender Weise zu seufzen und zu klagen
wissen.

Ein sehr beachtenswerther Liedercomponist ist Carl Reinthaler. Sein
besondres Genre ist das halbmelancholische. Bei Dichtungen wie dem "Nacht¬
gesang des Wandrers" trifft man ihn von dieser Seite. Da entfaltet sich sein
Geist ins Weite und spricht mit der Bestimmtheit und freien Festigkeit eines
Musikers, der ein Meister ist. Kompositionen wie dieses Lied sollten nicht so
unbekannt sein. Es ist außerdem für Baß geschrieben, und die Bassisten klagen
doch immer über Mangel an geeignetem Vortragsstoff. Es gäbe außer den
Reiterliedern von Franz von Holstein und einigen Liedern von Joseph Bram-
bnch so gut wie nichts neues, hört man sie sagen. Reinthaler ist ein ernst
solider Zug eigen, er spricht seine Sprache für sich ohne moderne und auffallende
Wendung, aber immer sachgemäß und gehaltvoll, für das Frische wie im "Wander¬
liede" so gut den richtigen Ton findend wie für das Mildruhige in Goethes
"An den Mond." Auch im Graziösen sind ihm treffliche Lieder zu danken,
so vor allem das altväterisch artige "Glockenthürmers Töchterlein" und das
"Ständchen" mit dem neckischen Schlußrefrain, nicht minder anch im Leidenschaft¬
lichen, was unverkennbar dasjenige Gebiet ist, wo sich die heutigen Componisten
am meisten zu Hanse fühlen. In dieser Gruppe ist von Reinthaler seine Coa-


Das deutsche Tieo seit Robert Schumann.

krank" freut man sich getroffen zu haben. Unter seinen italienischen Liedern
(Opus 23) ist namentlich ein Schifferständchen mit einer vortrefflichen Vegleitungs-
figur und einem interessanten Mittelsalz zu erwähnen.

Franz Lachner gehört als Liedcreomponist einer frühern Periode an.
Am meisten gesungen sind seine Lieder mit Begleitung eines zweiten Instrumentes,
Cello oder Horn, wie deren in den ersten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts viele
geschrieben worden sind. Wenn Sänger heute in die Lage kommen, sich zur
Befestigung des Muthes noch einen zweiten Solisten an die Seite zu wünschen,
ist guter Rath unter der neuern Literatur ziemlich rar. Da sind Reinecke, Wurst
mit einzelnen Heften, etwas weiter zurück Franz Lachner, Julius Otto, Louis
Spohr, aber sichre Rettung ist nur bei den ältern. Diese einst so beliebte Gat¬
tung — warum ist sie aus der Mode gekommen?

Georg Vierung, der durch manch wirksamen Chor bekannt geworden
ist, hat zu der neuern Liederlitcratur einen stattlichen Theil beigetragen. Sein
Talent entwickelt sich am günstigsten bei einfachen Empfindungen und klar aus-
gesprochnen Pointen. Als Humorist hat er den Männerchören manches Ver¬
gnügen bereitet; in seinen „Hafisliedcrn", die er sür eine Baßstimme schrieb,
war er weniger glücklich. Zwei seiner gelungensten Nummern auf dem erotisch-
elegischen Gebiete sind „Ach Ekstein, liebes Ekstein" und „An Dich allein, an
Dich." Sein bestes, frischestes Werk auf dem Gebiete des Liedes bildet der
„Cyclus erotischer Dichtungen", eine Reihe von breit angelegten Liebesgesängen,
die in den leidenschaftlichen Sätzen ungefähr den Ton von Beethovens ^.ki xgr-
liäo anschlagen und in sehr einfach rührender Weise zu seufzen und zu klagen
wissen.

Ein sehr beachtenswerther Liedercomponist ist Carl Reinthaler. Sein
besondres Genre ist das halbmelancholische. Bei Dichtungen wie dem „Nacht¬
gesang des Wandrers" trifft man ihn von dieser Seite. Da entfaltet sich sein
Geist ins Weite und spricht mit der Bestimmtheit und freien Festigkeit eines
Musikers, der ein Meister ist. Kompositionen wie dieses Lied sollten nicht so
unbekannt sein. Es ist außerdem für Baß geschrieben, und die Bassisten klagen
doch immer über Mangel an geeignetem Vortragsstoff. Es gäbe außer den
Reiterliedern von Franz von Holstein und einigen Liedern von Joseph Bram-
bnch so gut wie nichts neues, hört man sie sagen. Reinthaler ist ein ernst
solider Zug eigen, er spricht seine Sprache für sich ohne moderne und auffallende
Wendung, aber immer sachgemäß und gehaltvoll, für das Frische wie im „Wander¬
liede" so gut den richtigen Ton findend wie für das Mildruhige in Goethes
„An den Mond." Auch im Graziösen sind ihm treffliche Lieder zu danken,
so vor allem das altväterisch artige „Glockenthürmers Töchterlein" und das
„Ständchen" mit dem neckischen Schlußrefrain, nicht minder anch im Leidenschaft¬
lichen, was unverkennbar dasjenige Gebiet ist, wo sich die heutigen Componisten
am meisten zu Hanse fühlen. In dieser Gruppe ist von Reinthaler seine Coa-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/42>, abgerufen am 01.09.2024.