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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung des Rechts in Deutschland.

fischen Alterthums zog auch das italienische Recht über die Alpen, nach Frank¬
reich und Deutschland. Aber während die großen französischen Juristen, Cujaeius
und Donellus, an die Arbeit der Glosfatorcu des zwölften Jahrhunderts an¬
knüpfend, die historische und systematische Behandlung des reinen römische,: Rechts
sich zur Aufgabe machten, ließ die deutsche Jurisprudenz der Receptionsperivde
sich daran genügen, die aus Italien entlehnte Rechtslehre zu popularisiren, indem
sie sich um die lombardischen Kommentatoren anlehnte. Erst Savigny und seiue
Schule im neunzehnten Jahrhundert nahm die frühere Arbeit der Glossatoren
lind der großen französischen Juristen wieder auf.

In dem Kampfe, der im sechzehnten Jahrhundert im ganzen Abendlande
zwischen dem fränkischen und dem römischen Recht um die Herrschaft sich ent¬
spann, blieb in Frankreich und England das fränkische Recht der Sieger. Noch
Napoleons I. Gesetzbücher zeigen, daß wenigstens das Privat- und Proeeßrccht
Frankreichs ein Abkömmling des fränkischen Rechtes ist. In Deutschland da¬
gegen ging das deutsche Recht vor dem römischen Eindringling zu Grunde; nur
auf dem Gebiete des Privatrechts behauptete dasselbe und auch da nur in Par-
tieularrechten einzelne Eigenthümlichkeiten; im übrigen wurde sowohl für das
Proceß- und Strafrecht, als auch für das Privatrecht das italienische Recht als
gemeines Recht Deutschlands recipirt. Was diese Reception unterstützte, war
neben der wissenschaftlichen Bewegung für den Geist des Alterthums der Um¬
stand, daß centrale Punkte des bisherigen Rechtsleben in Deutschland, wie sie
England in seinem königlichen Hofgericht und Frankreich in seinen Parlamenten
besaß, fehlten. Das Reichshofgericht hatte seine Bedeutung für das Rechtsleben
der Nation verloren, das gerade in der Zeit der Renaissance entstandene Reichs-
kammergericht neigte der modernen Rechtsprechung nach italienischem Muster zu,
nud die deutsche Nation gab, unzufrieden mit den bisherigen Gerichten und ihrem
Rechtsgang, dem andringenden Fremdling nach, der schärfern und erfolgreichen
Widerstand nur in einzelnen Territorien und in den Reichsstädten fand. So
bildeten sich die Landrechte in den Territorien im sechzehnten und siebzehnten
Jahrhundert, so die Reformationen in den deutschen Städten. Der Gegensatz
des gemeinen Rechts und des Particularrechts trat so in die deutsche Rechts-
geschichte ein, der im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert mit dem Gegensatz
des italienischen und des fränkischen Rechts, soweit es gerettet war, zusammenfällt.

Bis ins achtzehnte Jahrhundert behielt das recipirte italienische Recht ent¬
schieden die Oberhand. Dann beginnt die erfolgreiche Reaction der Partieular-
rechte gegen das fremde Recht. Das Naturrecht und die Gesetzgebung der ab¬
solute,? Monarchie bekämpften das gemeine Recht, und das preußische Landrecht,
wie das österreichische bürgerliche Gesetzbuch erschütterten zuerst die Herrschaft
des recipirten italienischen Rechts. Als dann Savigny und seine Schule das
reine römische Recht des Lorüns.juris an die Stelle des überkommenen, mit
italienischen und deutschen Gewohnheiten durchsetzten Rechts brachte, wurde zwar


Die Entwicklung des Rechts in Deutschland.

fischen Alterthums zog auch das italienische Recht über die Alpen, nach Frank¬
reich und Deutschland. Aber während die großen französischen Juristen, Cujaeius
und Donellus, an die Arbeit der Glosfatorcu des zwölften Jahrhunderts an¬
knüpfend, die historische und systematische Behandlung des reinen römische,: Rechts
sich zur Aufgabe machten, ließ die deutsche Jurisprudenz der Receptionsperivde
sich daran genügen, die aus Italien entlehnte Rechtslehre zu popularisiren, indem
sie sich um die lombardischen Kommentatoren anlehnte. Erst Savigny und seiue
Schule im neunzehnten Jahrhundert nahm die frühere Arbeit der Glossatoren
lind der großen französischen Juristen wieder auf.

In dem Kampfe, der im sechzehnten Jahrhundert im ganzen Abendlande
zwischen dem fränkischen und dem römischen Recht um die Herrschaft sich ent¬
spann, blieb in Frankreich und England das fränkische Recht der Sieger. Noch
Napoleons I. Gesetzbücher zeigen, daß wenigstens das Privat- und Proeeßrccht
Frankreichs ein Abkömmling des fränkischen Rechtes ist. In Deutschland da¬
gegen ging das deutsche Recht vor dem römischen Eindringling zu Grunde; nur
auf dem Gebiete des Privatrechts behauptete dasselbe und auch da nur in Par-
tieularrechten einzelne Eigenthümlichkeiten; im übrigen wurde sowohl für das
Proceß- und Strafrecht, als auch für das Privatrecht das italienische Recht als
gemeines Recht Deutschlands recipirt. Was diese Reception unterstützte, war
neben der wissenschaftlichen Bewegung für den Geist des Alterthums der Um¬
stand, daß centrale Punkte des bisherigen Rechtsleben in Deutschland, wie sie
England in seinem königlichen Hofgericht und Frankreich in seinen Parlamenten
besaß, fehlten. Das Reichshofgericht hatte seine Bedeutung für das Rechtsleben
der Nation verloren, das gerade in der Zeit der Renaissance entstandene Reichs-
kammergericht neigte der modernen Rechtsprechung nach italienischem Muster zu,
nud die deutsche Nation gab, unzufrieden mit den bisherigen Gerichten und ihrem
Rechtsgang, dem andringenden Fremdling nach, der schärfern und erfolgreichen
Widerstand nur in einzelnen Territorien und in den Reichsstädten fand. So
bildeten sich die Landrechte in den Territorien im sechzehnten und siebzehnten
Jahrhundert, so die Reformationen in den deutschen Städten. Der Gegensatz
des gemeinen Rechts und des Particularrechts trat so in die deutsche Rechts-
geschichte ein, der im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert mit dem Gegensatz
des italienischen und des fränkischen Rechts, soweit es gerettet war, zusammenfällt.

Bis ins achtzehnte Jahrhundert behielt das recipirte italienische Recht ent¬
schieden die Oberhand. Dann beginnt die erfolgreiche Reaction der Partieular-
rechte gegen das fremde Recht. Das Naturrecht und die Gesetzgebung der ab¬
solute,? Monarchie bekämpften das gemeine Recht, und das preußische Landrecht,
wie das österreichische bürgerliche Gesetzbuch erschütterten zuerst die Herrschaft
des recipirten italienischen Rechts. Als dann Savigny und seine Schule das
reine römische Recht des Lorüns.juris an die Stelle des überkommenen, mit
italienischen und deutschen Gewohnheiten durchsetzten Rechts brachte, wurde zwar


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[0419] Die Entwicklung des Rechts in Deutschland. fischen Alterthums zog auch das italienische Recht über die Alpen, nach Frank¬ reich und Deutschland. Aber während die großen französischen Juristen, Cujaeius und Donellus, an die Arbeit der Glosfatorcu des zwölften Jahrhunderts an¬ knüpfend, die historische und systematische Behandlung des reinen römische,: Rechts sich zur Aufgabe machten, ließ die deutsche Jurisprudenz der Receptionsperivde sich daran genügen, die aus Italien entlehnte Rechtslehre zu popularisiren, indem sie sich um die lombardischen Kommentatoren anlehnte. Erst Savigny und seiue Schule im neunzehnten Jahrhundert nahm die frühere Arbeit der Glossatoren lind der großen französischen Juristen wieder auf. In dem Kampfe, der im sechzehnten Jahrhundert im ganzen Abendlande zwischen dem fränkischen und dem römischen Recht um die Herrschaft sich ent¬ spann, blieb in Frankreich und England das fränkische Recht der Sieger. Noch Napoleons I. Gesetzbücher zeigen, daß wenigstens das Privat- und Proeeßrccht Frankreichs ein Abkömmling des fränkischen Rechtes ist. In Deutschland da¬ gegen ging das deutsche Recht vor dem römischen Eindringling zu Grunde; nur auf dem Gebiete des Privatrechts behauptete dasselbe und auch da nur in Par- tieularrechten einzelne Eigenthümlichkeiten; im übrigen wurde sowohl für das Proceß- und Strafrecht, als auch für das Privatrecht das italienische Recht als gemeines Recht Deutschlands recipirt. Was diese Reception unterstützte, war neben der wissenschaftlichen Bewegung für den Geist des Alterthums der Um¬ stand, daß centrale Punkte des bisherigen Rechtsleben in Deutschland, wie sie England in seinem königlichen Hofgericht und Frankreich in seinen Parlamenten besaß, fehlten. Das Reichshofgericht hatte seine Bedeutung für das Rechtsleben der Nation verloren, das gerade in der Zeit der Renaissance entstandene Reichs- kammergericht neigte der modernen Rechtsprechung nach italienischem Muster zu, nud die deutsche Nation gab, unzufrieden mit den bisherigen Gerichten und ihrem Rechtsgang, dem andringenden Fremdling nach, der schärfern und erfolgreichen Widerstand nur in einzelnen Territorien und in den Reichsstädten fand. So bildeten sich die Landrechte in den Territorien im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, so die Reformationen in den deutschen Städten. Der Gegensatz des gemeinen Rechts und des Particularrechts trat so in die deutsche Rechts- geschichte ein, der im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert mit dem Gegensatz des italienischen und des fränkischen Rechts, soweit es gerettet war, zusammenfällt. Bis ins achtzehnte Jahrhundert behielt das recipirte italienische Recht ent¬ schieden die Oberhand. Dann beginnt die erfolgreiche Reaction der Partieular- rechte gegen das fremde Recht. Das Naturrecht und die Gesetzgebung der ab¬ solute,? Monarchie bekämpften das gemeine Recht, und das preußische Landrecht, wie das österreichische bürgerliche Gesetzbuch erschütterten zuerst die Herrschaft des recipirten italienischen Rechts. Als dann Savigny und seine Schule das reine römische Recht des Lorüns.juris an die Stelle des überkommenen, mit italienischen und deutschen Gewohnheiten durchsetzten Rechts brachte, wurde zwar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/419>, abgerufen am 01.09.2024.