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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung des Rechts in Deutschland.

abdruck unter dem Titel Fränkisches Recht und Römisches Recht erschienenen
Abhandlung (Weimar, Bostan, 1880) unternommen, auseinanderzusetzen, daß
für die Rechtsgeschichte der abendländischen Culturwelt nur zwei Rechte in Be¬
tracht kommen: das römische Recht mit seiner Fortentwicklung durch kanonisches
und lombardisches Recht und das fränkische Recht.

Das fränkische zunächst ist der bestimmende Factor für den Entwicklungsgang
des mittelalterlichen Rechts. Es drängt im sechsten Jahrhundert das römische
Recht aus der Oberherrschaft hinaus, unterwirft sich die übrigen germanischen
Stmnmesrcchte, die neben ihm im fränkischen Reiche bestehen, und behauptet bis
ins sechzehnte Jahrhundert seine dominirende Stellung, aus der es erst durch die
Reception des italienischen Rechts wieder verdrängt wird. Im einzelnen schließt
sich der Fortschritt des fränkischen Rechts zunächst an die Fortschritte des frän¬
kischen Reiches an. Von Chlodwig gegründet und von Karl dem Großen zu
einer abendländischen Weltmonarchie germanisch-romanischer Nationalität erweitert,
hatte dieses seinen Ausgang von den salischen Franken genommen, deren salisch-
fräntisches Recht auf die Rechte der übrigen Stämme umwandelnd und absor-
birend einwirkte, so daß die mittelalterliche Rechtsgeschichte in der Geschichte dieser
Einwirkung sich darstellt. Zuerst wurde das Recht der ribuarischen Franken,
dessen ältester Theil, das Strafrecht, etwa der ersten Hälfte des sechsten Jahr¬
hunderts angehört und in einem selbständigen Cvmpositionssystem von den Bnß-
sätzeu der Iiöx LMos, abwich, bis gegen Ende des sechsten Jahrhunderts in seinem
zweiten Theile dahin mit dem salischen Rechte verschmolzen, daß dieser das ge¬
meinsame Recht der neustrischen und austrasischen Franken enthält, wobei das
ribuarische Recht in seiner Besonderheit zu existiren aufhörte. Ein ähnlicher
Einfluß des salischen Rechts zeigt sich bereits, ebenfalls unter den Merovingern,
in Bezug auf das alamannische und bairische Volksrecht; doch behaupten beide
im ganzen noch ihre altüberlieferten Eigenschaften infolge der Toleranz der mero-
vingischen Negierung, die weit entfernt ist, das ganze rechtliche Leben des Reichs
von einem Mittelpunkte aus einheitlich zu gestalten. Als aber in der christlichen
Weltmonarchie Karls des Großen der letzte Zweck aller Bestrebungen die Uni-
fvrmirung der Stämme in staatlicher und kirchlicher Hinsicht wurde, die dem
römischen Kaiserthum beiwohnende Idee von der Omnipotenz der Staatsgewalt
alle Culturinteresscn in den Kreis ihrer Wirksamkeit zog, da wurde die Nivel-
lirung auch der Stammesrechtsunterschiede das bewußte Ziel der fränkischen
Staatsgewalt, und zur Ergänzung der Gewohnheits- und Stammesrechte, welche
die Mcrovingerzeit hatte aufzeichnen lassen, traten nun die Karolingischen Capi-
tularien, die OsMulg. oouiibuZ lsgidus s-cläviM, welche zu sämmtlichen Stammcs-
rcchtcn gleichlautende Novellen hinzufügten, und die (^Mula xsr s<z seMmM,
welche recht eigentlich dazu bestimmt waren, der Centralisirung des Reichs die
Centralisirung des Rechtslebens im Sinne des salisch-fränkischen Rechts an die
Seite zu stellen. Zuerst unterlagen diesem Prozeß die Reichsgerichtsverfassung,


Die Entwicklung des Rechts in Deutschland.

abdruck unter dem Titel Fränkisches Recht und Römisches Recht erschienenen
Abhandlung (Weimar, Bostan, 1880) unternommen, auseinanderzusetzen, daß
für die Rechtsgeschichte der abendländischen Culturwelt nur zwei Rechte in Be¬
tracht kommen: das römische Recht mit seiner Fortentwicklung durch kanonisches
und lombardisches Recht und das fränkische Recht.

Das fränkische zunächst ist der bestimmende Factor für den Entwicklungsgang
des mittelalterlichen Rechts. Es drängt im sechsten Jahrhundert das römische
Recht aus der Oberherrschaft hinaus, unterwirft sich die übrigen germanischen
Stmnmesrcchte, die neben ihm im fränkischen Reiche bestehen, und behauptet bis
ins sechzehnte Jahrhundert seine dominirende Stellung, aus der es erst durch die
Reception des italienischen Rechts wieder verdrängt wird. Im einzelnen schließt
sich der Fortschritt des fränkischen Rechts zunächst an die Fortschritte des frän¬
kischen Reiches an. Von Chlodwig gegründet und von Karl dem Großen zu
einer abendländischen Weltmonarchie germanisch-romanischer Nationalität erweitert,
hatte dieses seinen Ausgang von den salischen Franken genommen, deren salisch-
fräntisches Recht auf die Rechte der übrigen Stämme umwandelnd und absor-
birend einwirkte, so daß die mittelalterliche Rechtsgeschichte in der Geschichte dieser
Einwirkung sich darstellt. Zuerst wurde das Recht der ribuarischen Franken,
dessen ältester Theil, das Strafrecht, etwa der ersten Hälfte des sechsten Jahr¬
hunderts angehört und in einem selbständigen Cvmpositionssystem von den Bnß-
sätzeu der Iiöx LMos, abwich, bis gegen Ende des sechsten Jahrhunderts in seinem
zweiten Theile dahin mit dem salischen Rechte verschmolzen, daß dieser das ge¬
meinsame Recht der neustrischen und austrasischen Franken enthält, wobei das
ribuarische Recht in seiner Besonderheit zu existiren aufhörte. Ein ähnlicher
Einfluß des salischen Rechts zeigt sich bereits, ebenfalls unter den Merovingern,
in Bezug auf das alamannische und bairische Volksrecht; doch behaupten beide
im ganzen noch ihre altüberlieferten Eigenschaften infolge der Toleranz der mero-
vingischen Negierung, die weit entfernt ist, das ganze rechtliche Leben des Reichs
von einem Mittelpunkte aus einheitlich zu gestalten. Als aber in der christlichen
Weltmonarchie Karls des Großen der letzte Zweck aller Bestrebungen die Uni-
fvrmirung der Stämme in staatlicher und kirchlicher Hinsicht wurde, die dem
römischen Kaiserthum beiwohnende Idee von der Omnipotenz der Staatsgewalt
alle Culturinteresscn in den Kreis ihrer Wirksamkeit zog, da wurde die Nivel-
lirung auch der Stammesrechtsunterschiede das bewußte Ziel der fränkischen
Staatsgewalt, und zur Ergänzung der Gewohnheits- und Stammesrechte, welche
die Mcrovingerzeit hatte aufzeichnen lassen, traten nun die Karolingischen Capi-
tularien, die OsMulg. oouiibuZ lsgidus s-cläviM, welche zu sämmtlichen Stammcs-
rcchtcn gleichlautende Novellen hinzufügten, und die (^Mula xsr s<z seMmM,
welche recht eigentlich dazu bestimmt waren, der Centralisirung des Reichs die
Centralisirung des Rechtslebens im Sinne des salisch-fränkischen Rechts an die
Seite zu stellen. Zuerst unterlagen diesem Prozeß die Reichsgerichtsverfassung,


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[0414] Die Entwicklung des Rechts in Deutschland. abdruck unter dem Titel Fränkisches Recht und Römisches Recht erschienenen Abhandlung (Weimar, Bostan, 1880) unternommen, auseinanderzusetzen, daß für die Rechtsgeschichte der abendländischen Culturwelt nur zwei Rechte in Be¬ tracht kommen: das römische Recht mit seiner Fortentwicklung durch kanonisches und lombardisches Recht und das fränkische Recht. Das fränkische zunächst ist der bestimmende Factor für den Entwicklungsgang des mittelalterlichen Rechts. Es drängt im sechsten Jahrhundert das römische Recht aus der Oberherrschaft hinaus, unterwirft sich die übrigen germanischen Stmnmesrcchte, die neben ihm im fränkischen Reiche bestehen, und behauptet bis ins sechzehnte Jahrhundert seine dominirende Stellung, aus der es erst durch die Reception des italienischen Rechts wieder verdrängt wird. Im einzelnen schließt sich der Fortschritt des fränkischen Rechts zunächst an die Fortschritte des frän¬ kischen Reiches an. Von Chlodwig gegründet und von Karl dem Großen zu einer abendländischen Weltmonarchie germanisch-romanischer Nationalität erweitert, hatte dieses seinen Ausgang von den salischen Franken genommen, deren salisch- fräntisches Recht auf die Rechte der übrigen Stämme umwandelnd und absor- birend einwirkte, so daß die mittelalterliche Rechtsgeschichte in der Geschichte dieser Einwirkung sich darstellt. Zuerst wurde das Recht der ribuarischen Franken, dessen ältester Theil, das Strafrecht, etwa der ersten Hälfte des sechsten Jahr¬ hunderts angehört und in einem selbständigen Cvmpositionssystem von den Bnß- sätzeu der Iiöx LMos, abwich, bis gegen Ende des sechsten Jahrhunderts in seinem zweiten Theile dahin mit dem salischen Rechte verschmolzen, daß dieser das ge¬ meinsame Recht der neustrischen und austrasischen Franken enthält, wobei das ribuarische Recht in seiner Besonderheit zu existiren aufhörte. Ein ähnlicher Einfluß des salischen Rechts zeigt sich bereits, ebenfalls unter den Merovingern, in Bezug auf das alamannische und bairische Volksrecht; doch behaupten beide im ganzen noch ihre altüberlieferten Eigenschaften infolge der Toleranz der mero- vingischen Negierung, die weit entfernt ist, das ganze rechtliche Leben des Reichs von einem Mittelpunkte aus einheitlich zu gestalten. Als aber in der christlichen Weltmonarchie Karls des Großen der letzte Zweck aller Bestrebungen die Uni- fvrmirung der Stämme in staatlicher und kirchlicher Hinsicht wurde, die dem römischen Kaiserthum beiwohnende Idee von der Omnipotenz der Staatsgewalt alle Culturinteresscn in den Kreis ihrer Wirksamkeit zog, da wurde die Nivel- lirung auch der Stammesrechtsunterschiede das bewußte Ziel der fränkischen Staatsgewalt, und zur Ergänzung der Gewohnheits- und Stammesrechte, welche die Mcrovingerzeit hatte aufzeichnen lassen, traten nun die Karolingischen Capi- tularien, die OsMulg. oouiibuZ lsgidus s-cläviM, welche zu sämmtlichen Stammcs- rcchtcn gleichlautende Novellen hinzufügten, und die (^Mula xsr s<z seMmM, welche recht eigentlich dazu bestimmt waren, der Centralisirung des Reichs die Centralisirung des Rechtslebens im Sinne des salisch-fränkischen Rechts an die Seite zu stellen. Zuerst unterlagen diesem Prozeß die Reichsgerichtsverfassung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/414>, abgerufen am 01.09.2024.